Selenskyj rüttelt zu Beginn seiner Amtszeit am politischen System.

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Lange haben seine Opponenten versucht, diesen Moment hinauszuzögern. Am Montag aber wurde Wolodymyr Selenskyj als sechster Präsident der Ukraine ins Amt eingeführt. Und der 41-Jährige verlor keine Zeit mit politischen Entscheidungen. Schon bei seiner Antrittsrede verkündete er die Auflösung der Rada und forderte die Regierung zum Rücktritt auf. Bereits Montagnachmittag kündigte Premier Wolodymyr Hrojsman dann an, er werde am Mittwoch zurücktreten.

Vor der Wahl habe das Parlament noch einige wichtige Entscheidungen zu treffen, so Selenskyj: "Ich bitte Sie, das Gesetz über die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität, das Gesetz zur Strafverfolgung illegaler Bereicherung und das leidgeprüfte Wahlgesetz zu verabschieden", wandte er sich an die Parlamentarier. Zudem solle die Rada die verbleibende Zeit nutzen, um den Chef des Geheimdienstes SBU, den Generalstaatsanwalt und den Verteidigungsminister zu feuern. Wenn die Abgeordneten das getan hätten, könnten sie sich "Orden anheften" und sich Pluspunkte für die anstehenden Neuwahlen sichern, sagte Selenskyj. Die von ihm genannten Posten werden traditionell vom Präsidenten neu besetzt.

"Macht Platz!"

An die Regierung gewandt zitierte er seinen ehemaligen Schauspiel- und Präsidentenkollegen Ronald Reagan: "Die Regierung ist nicht die Lösung des Problems, sie ist das Problem." Wenn das Kabinett aufgrund der zerfallenen Koalition nicht mehr in der Lage sei, Entscheidungen durchzusetzen, dann sollte sie ihren Platz für diejenigen "räumen, die an die nächste Generation und nicht an die nächsten Wahlen denken", sagte er.

Eigentlich hatte die Rada vorgezogene Neuwahlen verhindern wollen. Eben darum war noch vor der Inauguration die nationale Front aus der Regierung ausgetreten und hatte neue Koalitionsverhandlungen provoziert. In der Verhandlungszeit darf der Präsident keine Neuwahlen ansetzen. Selenskyjs Gegner sprechen daher von Verfassungsbruch. In seinem Lager hingegen heißt es, die Mehrheit sei schon 2016 nach dem Austritt von Julia Timoschenkos Vaterlandspartei zerfallen.

Wahlen im Sommer

Viel Zeit gewinnt Selenskyj mit den Neuwahlen nicht. Statt im Herbst findet die Parlamentswahl nun im Sommer statt. Doch der Polit-Newcomer will das Momentum seiner Präsidentschaftskampagne nutzen, in der er sich als Zerstörer des korrupten Systems in Kiew präsentiert hatte. Die Antrittsrede war eine entsprechende Ansage und könnte ihm und seiner Partei "Diener des Volkes" wichtige Punkte im nun beginnenden Parlamentswahlkampf sichern. Selenskyj braucht eine Mehrheit in der Rada, um seine Politik durchsetzen zu können.

Als vordringlichste Aufgabe seiner Präsidentschaft bezeichnete Selenskyj dabei die Beendigung des Kriegs im Donbass-Gebiet. Er sei bereit, alles dafür zu tun, versicherte der Präsident. Der erste Schritt dabei soll der Austausch von Kriegsgefangenen sein. So will Selenskyj den Dialog mit Russland suchen. Einen weiteren Gebietsverlust werde die Ukraine aber nicht hinnehmen, sagte er gleichzeitig.

Verbal bekam Selenskyj beim Thema Gefangenenaustausch immerhin Unterstützung von den Separatisten. Sie seien dazu bereit, Kiew müsse aber konkrete Vorschläge und Listen unterbreiten, hieß es aus Donezk. (André Ballin, 20.5.2019)