Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos wirft medienethische Fragen auf.

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Neben der strafrechtlichen und staatspolitischen Beurteilung der Ibiza-Affäre taucht auch die Frage nach der Rolle der Medien auf. Oder auf gut Österreichisch: Ja dürfen s' denn das? Ist es medienethisch vertretbar, ein derart belastendes Video, von dem klar ist, dass es eine Staatskrise auslösen kann, zu veröffentlichen, obwohl dessen Urheber – zumindest nach dem bisher bekannten Stand der Dinge – unbekannt sind?

Fritz Hausjell, der stellvertretende Vorstand des Publizistikinstituts an der Universität Wien, beantwortet diese Frage mit einer Gegenfrage: "Muss man das nicht sogar?" Wenn ein derart relevanter Sachverhalt vorliegt, der die Bereitschaft zur Korruption in höchsten Politkreisen aufzeigt, "dann wiegt das Interesse der Öffentlichkeit mehr als der Umstand, dass das Material mit illegalen Mitteln beschafft worden sein könnte", betont Hausjell, der auch Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen Österreich ist, im STANDARD-Gespräch.

Schwerwiegender Verdacht

Selbst wenn ein Rechercheteam eines Mediums zu derartigen Mitteln greife, wäre das Vorgehen berechtigt, wenn es zur Bestätigung eines begründeten schwerwiegenden Verdachts diene, meint Hausjell. Der Kommunikationswissenschafter verweist auf die Videofalle der "Sunday Times", die 2011 den damaligen EU-Abgeordneten Ernst Strasser (ÖVP) zu Fall gebracht hatte. Zur Erinnerung: Strasser hatte damals für ein jährliches Honorar von 100.000 Euro zugesichert, bezogen auf konkrete EU-Richtlinien ein entsprechendes Stimmverhalten an den Tag zu legen. Ex-Innenminister Strasser wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, die Journalisten der britischen Sonntagszeitung mussten sich nie vor Gericht verantworten.

Immer eine Abwägungsfrage

In puncto journalistische Videofalle widerspricht der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) Hausjell. "Es wäre völlig undenkbar, dass Journalistinnen oder Journalisten eine solche 'Falle' stellen", sagte DJV-Vorsitzender Frank Überall der Deutschen Presseagentur. "Das entspricht nicht den ethischen Regeln einer Recherche. Die Veröffentlichung des Skandalvideos mit dem früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sei aber gerechtfertigt. "Wir haben es hier mit einem Video zu tun, das in der Welt ist", so Überall. Es sei immer eine Abwägungsfrage, ob ein nicht genehmigter Mitschnitt veröffentlicht werden dürfe. Aber "ich glaube, hier ist diese Aussage von einer Person des öffentlichen Lebens so eindeutig, dass das gedeckt ist."

Der deutsche Enthüllungsjournalist Günter Wallraff bezeichnete die heimlichen Aufnahmen am Montag als "gelungenen Coup". "Aber man möchte wissen, wer dahintersteckt. Wahrscheinlich eine größere Organisation", heizte Wallraff Spekulationen an.

Kritik von außen

Auf derartige Spekulationen will sich Kommunikationswissenschafter Hausjell nicht einlassen. Warum das Video deutschen und nicht österreichischen Medien angeboten wurde, ist für ihn aber klar: "Die publizistische Schlagkraft ist ungleich höher, wenn Medien wie 'Der Spiegel' und die 'Süddeutsche Zeitung' berichten." Diese Medien seien nicht seriöser als heimische Qualitätsmedien, aber in Österreich hätte die Gefahr bestanden, "dass das Video in der kleinen, unter politischem Druck stehenden Medienszene untergegangen wäre". Kritik von außen würde in Österreich überhaupt immer ernster genommen.

Einen bemerkenswerten Drive brachte auch der deutsche Satiriker Jan Böhmermann in die Affäre. Wie berichtet, kannte er bereits im April zumindest Teile der Aufnahmen, wie seiner Videobotschaft anlässlich der Verleihung der Romy-Akademiepreise zu entnehmen war. Den Preis könne er nicht persönlich abholen, weil er "gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rumhänge", hatte Böhmermann gesagt. Er verhandle gerade, wie er die "Kronen Zeitung" übernehmen könne, dürfe darüber aber nicht reden.

Satire und Journalismus

Schadet diese Vermengung von Satire, politischem Aktivismus und Journalismus klassischen Medienhäusern? "Nicht wenn Medien eine klare Trennlinie ziehen", meint Kommunikationsforscher Hausjell. "Medien müssen verdeutlichen: Bei uns bekommst du nicht Satire, sondern Fakten." Dafür müssten Recherchen und Recherchemethoden offengelegt werden – und dort, wo das nicht möglich sei, müsse darauf explizit hingewiesen werden. (Michael Simoner, 21.5.2019)