Vincents Mutter Viviane Lambert kämpft seit einem Jahrzehnt für das Überleben ihres Sohnes. Jahrelang blitzte die praktizierende Katholikin ab – nun feierte sie einen Erfolg.

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Spektakuläre Kehrtwende im Fall Lambert, der Frankreich seit über zehn Jahren in Atem hält: Aufgrund eines Gerichtsentscheids von Montagabend muss das Universitätsspital Reims in der Bretagne die lebenserhaltende Behandlung des Patienten wiederaufnehmen. Das Ärzteteam hatte am Montag bereits mit dem Abschalten der Apparate begonnen, nachdem die französische und die europäische Justiz durch alle Instanzen grünes Licht gegeben hatten.

Etappensieg für die Mutter

Lambert ist seit einem Autounfall im Jahre 2008 querschnittgelähmt und auf sein vegetatives System reduziert; er erkennt niemanden und zeigt keine vitalen Regungen. Seine Frau Rachel erklärte, der heute 43-jährige Psychiatriepfleger habe sich mündlich mehrfach gegen lebensverlängernde Maßnahmen im eigenen Fall ausgesprochen.

Vincents Mutter Viviane kämpft hingegen seit einem Jahrzehnt für das Überleben ihres Sohnes. Jahrelang blitzte die praktizierende Katholikin ab: Die Gerichte bezeichneten die Behandlung einhellig als "therapeutisches Beharren". Am Montag begann die auf einige Tage angesetzte und vom Patienten nicht wahrgenommene Abschaltung der Ernährung.

In einem letzten Verzweiflungsakt veröffentliche die Mutter ein Video mit angeblichen Tränen Vincents. Zugleich gelangte sie an ein Pariser Gericht, weil das Behindertenkomitee der Uno Ende April einen Aufschub zwecks eingehender Fallprüfung angeregt hatte. Zur allgemeinen Überraschung empfahl das Pariser Gericht am Montagabend, den Sachentscheid des Uno-Komitees abzuwarten. Völkerrechtler sind sich uneins, wie verbindlich der Uno-Befund ist.

Feiern wie beim Fußballsieg

Eine zeitgleich stattfindende Kundgebung mit Lamberts Eltern feierte den Entscheid wie einen Fußballsieg. Viele der gegen Sterbehilfe und Abtreibung engagierten Vertreter christlicher Verbände skandierten "on a gagné" (Wir haben gewonnen). Dagegen verurteilte ein Neffe Lamberts, der mit dessen Frau für die "Erlösung" des unheilbar Verletzten eintritt, das medizinische Hin und Her als "puren Sadismus".

Diese Reaktionen zeugen von der Leidenschaft, die der Fall Lambert in Frankreich seit Jahren weckt. Aktive und passive Sterbehilfe sind in dem zwar laizistischen, aber immer noch sehr katholischen Land verboten. In einer Umfrage sprachen sich allerdings über 90 Prozent der Befragten für die Zulassung gewisser Formen der Euthanasie aus. Diese Debatte wird nun zweifellos neu lanciert. In Frankreich sollen mehr als 1.500 Menschen in einer ähnlich unheilbaren Lage in Krankenzimmern "vegetieren".

In Reims schlossen die Ärzte die Apparate am Dienstag wieder an. Die Eltern wurden eingeladen, sich davon vor Ort zu vergewissern. Wie lange Vincents Zustand zwischen Leben und Tod noch anhalten soll, weiß niemand mehr. (Stefan Brändle, 21.5.2019)