Der Orbit – dereinst ein Satellitenfriedhof? Wenn künftig tausende Satelliten die Erde umkreisen, werden Zusammenstöße jedenfalls unvermeidlich.

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Video: Wie herumschwirrender Müll im Orbit zu einer Gefahr für die Raumfahrt werden kann.

DER STANDARD

Eine schnelle Internetverbindung, auch jenseits der Metropolen – das versprechen die Betreiber künftiger Satellitenkonstellationen. Tausende Satelliten sollen die Erde umkreisen, um einen schnellen Datentransfer zu ermöglichen. Vorne dabei ist Elon Musks Firma Space X, die bereits vergangene Woche 60 Satelliten der "Starlink"-Konstellation ins All schicken wollte. Der Start wurde jedoch mehrmals verschoben und gelang schließlich am frühen Freitag Morgen (MESZ).

Wie viele Satelliten insgesamt gestartet werden, gibt Space X nicht bekannt. Genehmigt sind allein für den Orbit in 550 Kilometern Höhe rund 1500 Stück, fast 3000 weitere dürfen in größerer Höhe stationiert werden. Das Unternehmen One Web, an dem auch Airbus beteiligt ist, rechnet aktuell mit gut 600 Satelliten.

Amazon plant ebenfalls eine Konstellation namens "Kuiper" und hat bei den zuständigen Behörden ein Netz von 3236 Satelliten beantragt. Auch Facebook, Boeing und weitere Firmen haben Pläne für eine Internetversorgung aus dem All.

Platzprobleme im Orbit

Nicht alle werden es bis zur Startrampe schaffen, und selbst die Aktiven dürften am Ende weniger Satelliten ins All schicken, als sie sich jetzt genehmigen lassen. Trotzdem scheint klar: Im Orbit dürfte es zu gröberen Platzproblemen kommen. Je mehr Satelliten dort kreisen, desto größer ist die Gefahr eines Zusammenstoßes. Und die Bruchstücke können weitere Schäden anrichten.

Er habe "große Sorgen" angesichts der geplanten Konstellationen, sagt Holger Krag, Leiter des Weltraumsicherheitsprogramms bei der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Die Zahl der geplanten Satelliten liege weit über dem, was die Menschheit bisher ins All geschossen habe. "Die Maßnahmen gegen Weltraumschrott sind schon heute bei der klassischen Raumfahrt nicht wirklich effektiv. Es ist fraglich, ob das Firmen, die unter kommerziellem Druck stehen, besser gelingt."

Am besten ist es, Satelliten nach ihrem Dienstende zu entsorgen: Die im erdnahen Raum, wenige hundert Kilometer über der Erdoberfläche, sollten nach unten geführt werden, damit sie in der Atmosphäre verglühen. In größeren Höhen sollten sie in Friedhofsorbits gebracht werden, wo sie ihre Nachfolger nicht weiter stören.

Steigende Kollisionsgefahr

Diese Manöver werden bereits beim Bau der Satelliten vorgesehen, doch vielfach kommt es gar nicht dazu, weil wichtige Teile kaputtgehen oder schlicht die Funkverbindung abreißt, berichtet Krag. Nur 60 Prozent aller Raumfahrtobjekte in niedrigen Umlaufbahnen werden 25 Jahre nach ihrem Einsatzende verschwunden sein, zeigen Daten der Esa.

"Anders ausgedrückt: Von 100 Satelliten, die jedes Jahr in den erdnahen Raum gebracht werden, entsorgen sich ungefähr 60, weitere 40 bleiben dort und verschärfen das Problem weiter", rechnet Krag vor. "Wenn man diese Rate auf die geplanten Großkonstellationen anwendet, laufen wir auf eine Katastrophe zu."

Berechnungen der Nasa stützen das. Selbst wenn es gelingt, 90 Prozent der Satelliten in den Konstellationen nach Betriebsende zu entsorgen, wird es Zusammenstöße geben. Je nachdem, wie die Anfangsbedingungen gewählt werden, muss man in den nächsten 200 Jahren mit etlichen hundert Kollisionen im erdnahen Raum rechnen, schreiben die Studienautoren um Jer-Chyi Liou, Nasa-Chefwissenschafter für Weltraummüll. Demnach müssten 99 Prozent der Satelliten entsorgt werden, damit eine zunehmend gefährliche Vermüllung verhindert wird.

Satelliten-Tüv

Um das zu erreichen, sollten Satelliten so gebaut werden, dass sie wirklich bis zum Ende durchhalten. "Dazu gehören zum Beispiel elektrische Antriebe, die zuverlässiger sind als treibstoffbasierte", sagt Krag. Am liebsten wäre es ihm, wenn es eine Art Satelliten-Tüv gäbe, bei dem regelmäßig nachzuweisen wäre, dass das Gerät entsorgungsfähig ist. Andernfalls müsste der Betrieb eingestellt und der Satellit fortgeschafft werden.

Das Müllproblem verschärft sich auch durch militärische Protzereien wie jüngst der Abschuss eines Satelliten durch ein indisches Waffensystem. Aufgrund des hohen Tempos haben umherfliegenden Teile große Zerstörungskraft. Ein Schrottteilchen von einem Zentimeter Größe hat eine ähnliche Gewalt wie eine Bowlingkugel, die mit 500 Kilometern pro Stunde auf einen Gegenstand trifft.

Schätzungen zufolge gibt es rund 900.000 Objekte in der Größenspanne von ein bis zehn Zentimetern da oben und 34.000 Objekte, die noch größer sind. Krag warnt vor Kaskadeneffekten durch immer neue Kollisionen und weitere Trümmer, die ihrerseits Schaden anrichten. Einige Orbitregionen könnten in Zukunft so belastet sein, dass sie nicht mehr nutzbar sind. "Man kann auf andere Bahnen ausweichen, doch das ist teurer und technisch anspruchsvoller." Daher lohne es sich, den Weltraum möglichst sauber zu halten.

Himmlische Entsorgung

Die künftigen Flottenbetreiber müssen zeigen, dass sie die Sache im Griff haben. Space X erklärt auf Anfrage, dass der aktuell gewählte Orbit in 550 Kilometern Höhe besonders geeignet sei.

Dort ist so viel Restatmosphäre vorhanden, dass selbst jene Satelliten, die nicht mehr aktiv entsorgt werden können, binnen fünf Jahren in die dichteren Luftschichten eindringen und verglühen. Bei höheren Orbits in 1150 Kilometern Höhe dauere der natürliche Abstieg mehrere hundert Jahre.

In dieser Gegend werden die One-Web-Satelliten unterwegs sein. Grundsätzlich sind alle so ausgelegt, dass sie nach Dienstende entsorgt werden, betonen die Betreiber. Sollte das aus technischen Gründen nicht gelingen, müssten sie aktiv entfernt werden, weshalb das Konsortium entsprechenden Entwicklungen unterstütze. Noch gibt es jedoch keine himmlischen Müllsammler – diverse Konzepte sind derzeit noch unfinanzierbar.

Überwachung

Eher wird auf Überwachung gesetzt: Gerade bei ausgedienten Satelliten und Raketenoberstufen ist es zunächst erforderlich, den genauen Orbit zu kennen, bevor diese eingefangen und entsorgt werden können. Daran arbeiten unter anderem Wissenschafter des Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Die Laserstation Graz kann die Distanz zu Weltraumschrott ab etwa einem Meter Größe messen. "Wir schießen mit 200 Laserpulsen pro Sekunde in Richtung des Objekts und können anhand des reflektierten Lichts die Entfernung bis auf wenige Meter genau bestimmen", sagt Michael Steindorfer. Die diffus reflektierten Lichtteilchen verteilen sich über ganz Mitteleuropa.

Bei sogenannten "multistatischen Messungen" empfangen mehrere Stationen das reflektierte Licht, wodurch die Vorhersagegenauigkeit deutlich gesteigert werden kann. Dies sei genauer als Radartechnik, die ebenfalls für die Weltraumüberwachung eingesetzt wird.

Zunächst müssen die Objekte anhand des von ihnen reflektierten Sonnenlichts mit optischen Verfahren aufgespürt werden, daher sei die Methode bisher auf die Dämmerungszeit beschränkt, ergänzt Steindorfer. "Unser Ziel ist es, auch tagsüber zu messen und so die Beobachtungszeit deutlich auszudehnen."

Erste Tests dazu seien positiv verlaufen. Eine Gefahr geht von der Laserstation übrigens nicht aus. Der Strahl wird nur gen Himmel gerichtet und automatisch abgeschaltet, sobald sich ein Flugzeug nähert. Zum Abschuss eines Satelliten ist er viel zu schwach. Er soll ja nur bei der Beobachtung helfen – und da gibt es schließlich genug zu tun. (Ralf Nestler, 24.5.2019)