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Ein Geretteter an Bord der Sea Watch 3, der mittlerweile auf Lampedusa an Land gehen durfte.

Foto: Reuters / Sea Watch

Es war eine denkwürdige Szene: Verbunden per Live-Schaltung hatte Salvini am Sonntagabend in einer TV-Talkshow erklärt, dass die Häfen für NGO-Schiffe geschlossen blieben und kein einziger Flüchtling italienischen Boden mehr betreten werde. Da liest ihm der Moderator eine gerade dem Newsticker entnommene neue Agenturmeldung vor, wonach die 47 geretteten Flüchtlinge, die sich seit mehreren Tagen auf der Sea Watch 3 der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation befanden, in Lampedusa an Land gegangen seien. Der Innenminister war sichtlich überrumpelt und blickte auf sein Handy: "Während Sie das vorlesen, sehe ich es auch", erklärte Salvini. Er hatte von nichts gewusst.

Dass er vor laufender Kamera bezüglich der geschlossenen Häfen widerlegt wurde, war für Salvini eine Schmach. Die Anordnung, die Flüchtlinge an Land gehen zu lassen, stammte vom Staatsanwalt von Agrigento, Luigi Patronaggio. Dieser hat das Schiff zugleich beschlagnahmen lassen und gegen den Kapitän des Schiffs ein Ermittlungsverfahren wegen Begünstigung der illegalen Immigration eingeleitet. Als Salvini sich wieder gefasst hatte, unterstellte er dem Staatsanwalt, dass die Beschlagnahmung der Sea Watch 3 lediglich ein Vorwand gewesen sei, um die Flüchtlinge nicht mehr länger auf dem Schiff festzuhalten.

Immunität schützt Salvini

Auf den 61-jährigen früheren Mafiajäger Patronaggio ist Salvini ohnehin schlecht zu sprechen: Der Staatsanwalt hatte im vergangenen August auch gegen den Innenminister ein Verfahren eingeleitet, weil er 177 Flüchtlinge auf der Diciotti, einem Schiff der Küstenwache, fast zwei Wochen lang nicht an Land gehen lassen hatte. Der Vorwurf an den Innenminister: Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Salvini konnte einen für ihn potenziell sehr gefährlichen Prozess dank seiner parlamentarischen Immunität vermeiden.

Jetzt droht er dem Staatsanwalt, den Spieß umzudrehen: "Wir werden prüfen, ob er sich ebenfalls der Begünstigung der illegalen Einwanderung schuldig gemacht hat." Und: "Wenn Patronaggio Innenminister spielen will, dann soll er sich wählen lassen."

Dem Innenminister, der sich seinen Anhängern kurz vor den Europawahlen noch einmal als harten Hund empfehlen wollte, fährt inzwischen aber nicht nur die Justiz, sondern auch die eigene Regierung in die Parade.

So wartet Salvini seit über einer Woche darauf, dass Regierungschef Giuseppe Conte und der Koalitionspartner, die Fünf-Sterne-Bewegung, grünes Licht für sein neues Sicherheitsdekret geben, mit denen saftige Geldstrafen für private Rettungsorganisationen eingeführt werden sollen. Der Tarif: Künftig sollen nach dem Willen Salvinis NGOs zwischen 3500 und 5500 Euro Strafe pro geretteten Flüchtling zahlen.

Nein zum Sicherheitsdekret

Dass das Retten von Menschen zur Straftat gemacht werden soll, akzeptieren seine Koalitionspartner nicht: Die Verabschiedung des Dekrets ist in einer chaotischen Sitzung in der Nacht auf Dienstag einmal mehr vertagt worden, obwohl Salvini auf einem sofortigen Beschluss bestanden hatte.

Den Rückzug des Dekrets verlangt hat auch das Flüchtlingshochkommissariat der Uno (UNHCR). Es kritisiert, dass mit der Vorlage die Einhaltung der Menschenrechte sowie diverse völkerrechtliche Bestimmungen verletzt würden. Staatspräsident Sergio Mattarella ließ die Regierung informell wissen, dass das Sicherheitsdekret seiner Meinung nach in mehreren Punkten gegen die Verfassung verstoße.

Lega-Staatssekretär entlassen

Eine erste Niederlage hatte Salvini bereits vor zwei Wochen einstecken müssen, als der Lega-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Armando Siri, von Regierungschef Conte gegen den Willen des Innenministers entlassen wurde. Gegen Siri wird wegen Bestechlichkeit ermittelt.

Die Korruptionsaffäre und letztlich die Entzauberung Salvinis als heimlichen Regierungschef hat sich auch in den Umfragen niedergeschlagen: Die Lega hat in den letzten Befragungen bis zu sechs Stimmenprozente eingebüßt. Der Parteichef ist entsprechend gereizt – und benötigt dringend noch einen wirksamen Werbespot. Deshalb besteht er weiterhin auf der Verabschiedung seines Dekrets noch vor den Europawahlen. (Dominik Straub aus Rom, 21.5.2019)