Sichtweisen auf die Körpermisere I.: Maria Lassnigs "Sprechzwang".

Foto: Maria Lassnig Stiftung

Sichtweisen auf die Körpermisere II.: Martin Kippenberger "Ohen Titel"

Foto: Estate of Martin Kippenberger

Die Serie an internationalen Lassnig-Retrospektiven reißt auch 2019 nicht ab, zumal sich ja im September der Geburtstag der österreichischen Malerin zum 100. Mal jährt. Neben großen Solo-Schauen (jene im Amsterdamer Stedelijk Museum wandert im Herbst in die Albertina) mehren sich allmählich auch interessante Gegenüberstellungen.

Das Linzer Lentos hat sich zuletzt dem Frühwerk von Maria Lassnig und ihrem einstigen Weggefährten Arnulf Rainer gewidmet, im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses steht man vor einer völlig anderen Ausgangssituation: Hier die eher introvertierte Einzelgängerin, die mit ihren "Body Awareness Paintings" konsequent einen eigenen Weg in der Malerei verfolgt, dort das dem Exzess zugeneigte, 34 Jahre jüngere "Heavy Burschi", das ganz allgemein den subversiven Kunst-Punk gibt.

Intensiv und wild

Eine Konstellation wie diese landet zwangsläufig im Widerspruch. Das macht aus der Gegenüberstellung von Lassnig und Kippenberger aber eine nicht weniger schöne kuratorische Idee. Sie stammt von Veit Loers, Ex-Direktor des Fridericianums in Kassel und Wegbegleiter von Kippenbergers kurzer, intensiver Karriere. Kunst und (wildes) Leben bedingten sich gegenseitig und kamen sich am Ende letal in die Quere.

Malend schaute Kippenberger von außen auf den eigenen körperlichen Verfall, während Lassnig das innere Körpergefühl auf die Leinwand stülpt. Der Effekt ist mitunter trotzdem ähnlich, besonders dort, wo beide das Körpergehäuse auch als Gefäß für einen schlechten Witz begreifen: Seine Pointe ist die menschliche Daseinsmisere an sich. Und speziell das Künstlerdasein animiert auch zu ironischen bis grotesk übersteigerten Leidensposen: Mit einem Glas Rotwein in der Hand im Haifischbecken der Kunst treibend wie bei Lassnig, oder als einer, der sich samt all dem lästigen Künstler-Ballast einem eh schon Gekreuzigten umhängt ("Bitteschön – Dankeschön").

Pillen wirken bald, im Birkenwald

Die Schau mit dem Titel Body Check war zuerst im Museion in Bozen zu sehen und wurde in München nochmals erweitert. Sie versammelt rund 200 Werke, darunter auch einige Kippenberger-Installationen. Wenn man so will, liegen seine Prothesen in Pillenform auch im Birkenwald herum.

Kippenberger ist in Kunst und Leben fraglos der extrovertiertere, ein gewisser Hang zur Selbstinszenierung kennzeichnet allerdings keineswegs nur ihn. Daran erinnern gleich eingangs affichierte Foto-Reproduktionen beider Künstler. Unterschiedlich sind die Zugänge zum Medium Malerei: Lassnig hat kaum je nach fotografischen Vorlagen gemalt, spielt mit Realitäts- und Bildebenen, lässt ihre Figuren zuweilen innig mit der Leinwand verwachsen. Kippenberger betont mit den "Hand Painted Pictures" Anfang der 1990er explizit die Rückkehr zum malerischen Tun. Er malt Selbstporträts in Radlerhosen und nackte Fragmente seiner selbst auf orangem Grund.

"Nachahmer"

Eine persönliche Begegnung ist nicht überliefert, doch man darf annehmen, dass die beiden einander aus gar nicht so großer Distanz beäugt haben. Gelegenheit dazu gab es zum Beispiel in Berlin, wohin Lassnig 1978 mit einem Stipendium kam und wo sich beide im Atelier von Ulrike Ottinger aufgehalten haben.

Kippenberger starb 1997, ein Jahr später schrieb Lassnig unter eine Zeichnung: "Ich bin der Nachahmer meiner Epigonen". Das Blatt zeigt zwei in sich selbst verschlungene Körper auf einer Wippe, die hoch über einem Gebirge aufragt. Wen die Malerin mit ihren Epigonen gemeint haben könnte, darüber lässt sich trefflich spekulieren. (Ivona Jelčić, 23.5.2019)