Der Stardirigent Christian Thielemann will die vertrackte Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal als Märchen erzählt wissen: "Wir belehren politisch nicht."

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Eine Runde ausgewählter Journalistinnen und Journalisten hat im Besprechungszimmer der Direktion der Wiener Staatsoper Platz genommen: mittendrin die am saloppsten gekleidete Hauptperson, der wie meist polohemdsärmelige Christian Thielemann, der bereitwillig Auskunft gibt. Genauer gesagt hält er eine Folge von mehr oder weniger ausgedehnten Monologen auf Fragenimpulse: zum Anlass der Festpremiere von Richard Strauss’ Oper Die Frau ohne Schatten am Samstag, dem 25. Mai, aber auch über Gott und die Welt.

Der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden und künstlerische Leiter der Salzburger Osterfestspiele plaudert genauso locker, wie er dasitzt, singt Beispiele vor und erzählt auch gleich, worum es in der gegenständlichen Oper geht: "Eigentlich ist Die Frau ohne Schatten ein Stück, das man nicht so genau versteht. Wenn man erzählen soll, worum es geht, muss man das sehr destillieren: Da wirft jemand keinen Schatten, sondern bloß als Ausformung von einer anderen, und dann gibt es eine böse Frau, die macht das alles, und zum Schluss ist die tot, und der Schatten ist wieder da. Wie man das erklären soll, weiß ich nicht. Wie es sich löst, ist unklar, soll auch gar nicht klar sein, denn es ist ja ein Märchen. Das dürfen wir nicht vergessen. Jeder soll das selbst interpretieren."

Launige Bonmots

Eine psychologische Deutung der Handlung hält er für eher hinderlich: "Wenn Sie in die Oper gehen, wollen Sie eine Inszenierung sehen, die Sänger und vielleicht auch den Dirigenten hören. Wenn man dann auch noch mit Psychoanalyse anfängt, ist das zu viel! Es wird alles nur noch komplizierter."

Der Kapellmeister freut sich, einen Partner gefunden zu haben, der da mitmacht: "Gottlob spielt die Inszenierung hier mit. Der Regisseur Vincent Huguet macht auch etwas Fabelhaftes und hat wahnsinnig viel Geschmack. Wir haben uns von vornherein darauf verständigt, dass wir nicht politisch belehrt werden wollen."

Thielemann fährt fort: "Es wäre natürlich eine Versuchung, das Stück 1919 spielen zu lassen – was da alles los war! Der Wechsel von der Welt der Kaiser zur Welt der Menschen, die katastrophalen Folgen des Ersten Weltkriegs, das ist alles im Stück drin. Nicht umsonst bricht am Ende des zweiten Akts an der brutalsten und atonalsten Stelle die Welt zusammen. Das spiegelt die Zeit völlig wider. Aber ich hätte das platt gefunden, es einfach so auf die Bühne zu bringen."

"Sonst tut's weh"

Und er verweist auf den Schlüssel zum Verständnis, den er ganz eindeutig seinem Metier zuordnet: "Strauss hat uns doch mit seiner irrsinnig farbigen Musik ein Mittel an die Hand gegeben, um der Geschichte zu folgen. Am meisten beeindruckt mich die unglaubliche Bandbreite des Orchesters vom einzelnen Instrument, vom Leisesten bis zum gerade brutalen Ausbruch, den man nur ganz selten anwenden darf. Sonst tut’s weh."

Thielemanns Sprache ist gewürzt mit launigen Bonmots, etwa: "Kapellmeister ist ein handwerklicher Beruf wie Fliesenleger. Die Fugen müssen stimmen." Auch bei seinem Beruf möchte er dem Denken nicht das Übergewicht geben: "Man muss so viel wie möglich hörbar machen, ohne Gerichtsmediziner zu sein. Wenn ich das Stück seziere, geht das Musikalische verloren. Da den Ausgleich zu finden, im Moment zu sein und auf die Genauigkeit zu achten, ist die Balance in diesem Stück."

Originale Uraufführungspartitur

Was macht ein guter Kapellmeister? "Er achtet darauf, das Orchester zurückzunehmen, wenn es zu laut ist. Das war früher völlig klar, dass man das gemacht hat. Strauss hat bei den Proben immer darauf geachtet, die Sänger zu schonen. Damals gab es eher lyrische Stimmen. Wie leise muss das Orchester damals gespielt haben! Daran orientiere ich mich. Man muss sich als Kapellmeister immer zurücknehmen und auf die Stimmen Rücksicht nehmen. Die Sänger müssen ja irgendwie den Abend überleben."

Stolz verweist er auch darauf, dass er die Wiener Uraufführungspartitur von 1919 verwendet: "Ich bin froh, dass ich die anfassen darf, aber es ist ein Erlebnis. Wer die alles in der Hand hatte! Die hat eine Aura! Es ist übrigens wahrscheinlich überhaupt die erste Aufführung der gesamten Oper, ohne Striche. Sie werden sich wundern, das Stück ist damit nur acht oder neun Minuten länger. Aber die ganze Sache wird logischer und klarer!"

Daneben sinniert Thielemann etwa ausführlich über das Trauma des Friedensvertrags von St. Germain sowie die Folgen für Deutschland (und Österreich), aber hat auch eine schnelle Antwort für die Frage nach Geschlechterrollen parat: "Es ist trotz aller Bemühungen noch nicht gelungen, einen Mann zum Gebären zu bekommen. Das ist ein Naturgesetz so wie das, dass Wasser bei 100 Grad kocht. Daran werden Sie nichts ändern können. Ist doch gut!" (Daniel Ender, 23.5.2019)