Hans-Gert Pöttering war 35 Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments.

Foto: Gerald Schubert

Rekord für Hans-Gert Pöttering: Als die Bürgerinnen und Bürger im Jahr 1979 das Europäische Parlament zum ersten Mal direkt wählen konnten, erhielt der deutsche CDU-Politiker ein Mandat – und er behielt es ohne Unterbrechungen bis zum Jahr 2014. Damals war er in Straßburg der längstdienende Abgeordnete. Wenn Pöttering heute als Ehrenmitglied auf seine Anfänge im Europaparlament zurückblickt, dann erinnert er sich an eine Institution, die mit jener der Gegenwart nur wenig gemein hat: "Bei der ersten Europawahl 1979 hatte das Europäische Parlament noch keinerlei Gesetzgebungsbefugnisse", sagt der mittlerweile 73-Jährige am Rande der Konferenz "Forum Mitteleuropa" im Sächsischen Landtag zum STANDARD. "Heute ist es mächtig und einflussreich. Es ist bei der Gesetzgebung gleichberechtigt mit dem Ministerrat. Und es ist – neben den nationalen, regionalen und kommunalen Parlamenten – der Repräsentant der europäischen Demokratie."

Durch den Aufwind für populistische und nationalistische Parteien habe sich zuletzt auch die politische Landschaft stark verändert, sagt Pöttering, der von 2007 bis 2009 Präsident des Europäischen Parlaments war. Bei der bevorstehenden Wahl gehe es daher um viel: "Nämlich darum, ob die proeuropäischen Kräfte eine deutliche Mehrheit behalten, oder ob die Populisten und Nationalisten eine Bedeutung bekommen, die die europäische Einigung gefährden könnte."

Zäsur durch Brexit

Seit 1979 ist die Zahl der EU-Mitglieder schrittweise angewachsen – und damit auch die Zahl der Mandatare. 410 waren es damals, bei der ersten Wahl. Nach dem Beitritt Kroatiens im Jahr 2013 hatte das Europäische Parlament kurzzeitig 766 Sitze, nach der Wahl 2014 wurde die Anzahl dann erstmals reduziert – auf die nun vertraglich festgesetzten 751. Dass durch den aufgeschobenen, jedoch nicht aufgehobenen Brexit einmal ein ganzes Land seine Abgeordneten abziehen könnte, das hätte Hans-Gert Pöttering sich aber nicht vorstellen können.

Der Brexit, beklagt er, sei auch eine Folge der oft verzerrten Darstellung von Entscheidungsprozessen innerhalb der EU: "Die Regierungen müssen zu dem stehen, was sie in Brüssel entschieden haben." Doch auch wenn gerade das häufig nicht der Fall sei: Den europäischen Einigungsprozess sieht Pöttering insgesamt als Erfolgsstory. 1979, gerade sechs Jahre nach dem Beitritt Großbritanniens zur damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG), war für ihn nicht nur der Brexit unvorstellbar, sondern auch der Beitritt der damals noch kommunistischen Diktaturen Mittel- und Osteuropas: "Die große historische Entwicklung der EU sollte man nicht aus dem Blick verlieren."

EU braucht heimatverbundene Fachleute

Den Abgeordneten, die diese Woche zum ersten Mal gewählt werden, möchte der Parlamentsveteran zwei Ratschläge mit auf den Weg geben. Erstens: "Sie sollten sich in irgendeinem Bereich der europäischen Politik besonders engagieren, sich zu wirklich sachkundigen Fachpolitikerinnen oder Fachpolitikern machen und sich auf ihrem Gebiet Autorität und Vertrauen erwerben."

Pötterings zweite Empfehlung: engen Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern in der Heimat halten. "Nur so kann man Europapolitik zu Hause vermitteln." Und umgekehrt: "Nur durch die Nähe zu den Menschen in der Heimat konnte ich Kraft schöpfen, um im Europäischen Parlament wirksame Arbeit zu leisten." (Gerald Schubert, 23.5.2019)