Carmen Thornton ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Kanzlei ist spezialisiert auf Trennungen und Scheidungen sowie Obsorge- und Unterhaltsverfahren. Auf derStandard.at/Familie beantwortet sie rechtliche Fragen bezüglich des Familienlebens.

Foto: Jana Madzigon

Zahlreiche Masernfälle haben in der letzten Zeit wieder zu einer heftigen Impfdebatte geführt. Das Thema spaltet seit jeher die Gemüter und führt auch regelmäßig zu – meistens sehr emotional geführten – Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, wenn sich einer der beiden gegen die Durchführung von Impfungen ausspricht. Doch wie sieht hier eigentlich die Rechtslage aus? Ist man als Elternteil dazu verpflichtet, seine Kinder impfen zu lassen? Und kann man seine Kinder auch gegen den Willen des anderen Elternteils impfen lassen?

Keine völlig freie Entscheidung

Derzeit gibt es weder Strafen noch droht eine Kürzung von staatlichen Leistungen. Gleich vorweg: Trotz der Forderung zahlreicher Experten, unter anderem der Ärztekammer, gibt es in Österreich nach wie vor keine generelle Impfpflicht, und derzeit sieht es auch nicht so aus, als würde sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern. Es gibt allerdings einen offiziellen Impfplan, der vom Gesundheitsministerium und dem Nationalen Impfgremium erarbeitet wurde und jährlich nach den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft aktualisiert wird.

Im Impfplan werden alle empfohlenen Impfungen für sämtliche Altersstufen aufgelistet. Nachdem es sich dabei um eine bloße Empfehlung handelt, drohen Eltern, die den Impfplan nicht einhalten, keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen. Insbesondere haben sie keine Verwaltungsstrafen zu befürchten, und die Nichtbefolgung führt auch nicht zum Verlust von staatlichen Leistungen (zum Beispiel des Kinderbetreuungsgeldes oder der Familienbeihilfe). Das bedeutet aber nicht, dass Eltern völlig frei entscheiden können, ob sie ihre Kinder impfen lassen.

Unterlassene Impfungen: Verstoß gegen die Fürsorgepflicht

Eltern sind nämlich gesetzlich dazu verpflichtet, das Wohl ihrer minderjährigen Kinder zu fördern und für eine angemessene medizinische Betreuung zu sorgen. Sie müssen die Gesundheit ihrer Kinder also bestmöglich wahren und fördern. Unter die gesetzliche Fürsorgepflicht fallen grundsätzlich auch vorbeugende Maßnahmen wie Impfungen. Das Unterlassen der im Impfplan empfohlenen Schutzimpfungen ist daher nur gerechtfertigt, wenn es dafür eine nachvollziehbare Begründung gibt, die auf einer medizinischen Fachmeinung beruht (zum Beispiel bei bekannten Unverträglichkeiten).

Eine generelle Impfgegnerschaft ist jedoch kein Grund, seine Kinder nicht impfen zu lassen. Es reicht auch nicht aus, sich von einem Arzt, der Impfungen von Vornherein und unter allen Umständen ablehnt, eine medizinische Bestätigung zu holen. Solange die Eltern einvernehmlich vorgehen, wird das Unterlassen von Impfungen meistens sanktionslos bleiben. Bei einer generellen Ablehnung der Schulmedizin könnte das Gericht den Eltern aber bei einer Gefährdung des Kindeswohls schlimmstenfalls sogar die Obsorge im Bereich medizinischer (Heil-)Behandlung entziehen.

Im Streitfall: Muss der andere Elternteil zustimmen?

Vor allem nach einer Trennung führen unterschiedliche Auffassungen der Eltern regelmäßig zu heftigen Streitigkeiten. Dann stellt sich die Frage, ob ein Elternteil die Kinder gegen den Willen des anderen impfen lassen kann. Dies hängt in erster Linie von der Obsorgeregelung ab.

Wenn ein Elternteil mit der alleinigen Obsorge betraut ist, kann er grundsätzlich selbst entscheiden, welche Impfungen er durchführt. Nachdem ein grundloses Unterlassen der empfohlenen Impfungen in der Regel das Kindeswohl gefährdet, kann der nicht obsorgeberechtigte Elternteil beim Pflegschaftsgericht aber beantragen, dass ihm die Entscheidungsbefugnis in dieser Angelegenheit übertragen wird.

Da der Impfplan auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, werden die Gerichte in der Regel der Empfehlung des Gesundheitsministeriums folgen und im Streitfall jenem Elternteil, der die offiziell empfohlenen Impfungen des Kindes befürwortet, die Entscheidungsbefugnis übertragen.

Bei der gemeinsamen Obsorge sieht das Gesetz zwar vor, dass die Eltern einvernehmlich vorgehen sollen, trotzdem kann jeder Elternteil das Kind in Angelegenheiten des täglichen Lebens auch allein vertreten. Die Zustimmung beider Elternteile ist nur in ganz bestimmten Fällen erforderlich. Medizinische Behandlungen zählen nicht zu diesen Angelegenheiten, sodass ein Elternteil die Kinder auch ohne Zustimmung oder sogar gegen den Willen des anderen impfen lassen kann. Allerdings könnte auch in diesem Fall jeder Elternteil eine Entscheidung des Pflegschaftsgerichts herbeiführen.

Ab wann können Kinder selbst entscheiden?

Sobald Kinder über die entsprechende Einsicht- und Urteilsfähigkeit verfügen, also in der Lage sind, den Grund und die Bedeutung von Schutzimpfungen zu erkennen und eine vernünftige Entscheidung zu treffen, können sie selbst entscheiden, welche Impfungen sie durchführen lassen möchten. Die Einsicht- und Urteilsfähigkeit wird bei Kinder ab 14 Jahren vermutet, kann unter Umständen auch früher oder später eintreten. Die Zustimmung der Eltern ist dann nicht mehr notwendig.

Ein einsicht- und urteilsfähiges Kind kann sich daher auch gegen den Willen der Eltern impfen lassen oder auch Impfungen, die von den Eltern befürwortet werden, ablehnen. (Carmen Thornton, 28.5.2019)