"Aber das ist ja ein Blödsinn, den Sie da reden." Medienminister Blümel an "ZiB 2"-Moderator Martin Thür in einem Interview zum geplanten Gesetz.

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Im Gastkommentar erläutert Rechtspraktikant Michael Holzmannhofer, dass das geplante Gesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz über das Ziel hinausschießt.

Die 30. Bundesregierung der Zweiten Republik steht nach der Ibiza-Affäre vor dem Aus. Bis zu den vorgezogenen Nationalratswahlen tagt der Nationalrat jedoch noch einige Male, und bekanntlich werden bis zum Wahltag diverse Gesetze im letzten Moment durchgepeitscht. Eines davon wird das Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz (SVN-G) sein, besser bekannt unter dem Titel "digitales Vermummungsverbot".

Das Thema "Vermummungsverbot" konnte die Regierung bislang ihrer Wählerschaft tadellos verkaufen. Trotz der rechtspopulistischen Betitelung ruft das Gesetz jedoch kritische Stimmen aus dem gesamten politischen Spektrum auf den Plan. Der Grund dafür ist, dass durch die neue Regelung Medien, die Internetforen betreiben und eine kritische Größe erreichen, zur Erfassung umfangreicher personenbezogener Daten gezwungen werden. Dies geschieht unter dem Vorwand der Rechtsdurchsetzung bei Beleidigung und Verhetzung.

Kein rechtsfreier Raum

Um im Jargon des Bundesministers Gernot Blümel zu bleiben: Das ist aber ein Blödsinn, den die Bundesregierung da redet. Denn der vielzitierte Satz "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum" ist seit jeher Realität. Vielmehr ist zu hinterfragen, weshalb die Regierung über private Unternehmen Zugriff auf unsere Daten haben möchte.

Nun sollten Rechtsbrüche selbstverständlich auch verfolgt werden. Die erwähnten Tatbestände sind jedoch nicht dazu gedacht, auf jede digitale Äußerung angewandt zu werden. Die Staatsanwaltschaften beweisen dabei ein gewisses Fingerspitzengefühl, welches Verhalten tatsächlich einer general- und spezialpräventiven Sanktion bedarf. Demgegenüber ist die üble Nachrede wie die Beleidigung ein Privatanklagedelikt, dessen Durchsetzung vom Opfer abhängt, vor einem Strafgericht verhandelt wird und im Falle einer Verurteilung zu einem Eintrag im Strafregisterauszug führt. Eine Partei macht von dieser Möglichkeit vermehrt Gebrauch, um sich unliebsamer Kommentare auf Fanseiten zu entledigen, weshalb diese gesetzliche Verschärfung wohl nicht ungelegen kommt.

Vorrang des EU-Rechts

Abgesehen von den zusätzlichen Hürden hinsichtlich der Meinungsäußerung des einzelnen Nutzers verstößt das Gesetz jedoch vor allem gegen europarechtliche Bestimmungen und Verfassungsgesetze zugunsten des Plattformanbieters.

Zunächst muss unterschieden werden, ob der Betreiber einen Sitz im EU-Ausland, wie Facebook, hat oder ein rein innerstaatliches Medium ist. Bei Ersterem wird die E-Commerce-Richtlinie tangiert. Diese normiert das Herkunftslandprinzip, wonach der Betreiber im Netz lediglich dem Recht des Sitzstaates unterliegt. Zwar beinhaltet die Richtlinie Ausnahmeregelungen, doch muss der Eingriff verhältnismäßig sein. Die Verpflichtung, höchstpersönliche Daten von – im Beispiel Facebook – circa vier Millionen Nutzern zu sammeln und zu speichern, um möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt den Beschuldigten ausfindig machen zu können, kann keinesfalls verhältnismäßig sein. Darüber hinaus dürfen in der österreichischen Umsetzung der Richtlinie nur Gerichte und Verwaltungsbehörden eine Beschränkung des Herkunftslandprinzips vornehmen.

Werden demgegenüber lediglich Betreiber mit Sitz in Österreich – darunter auch DER STANDARD – dazu verpflichtet, eine solche "Ausweispflicht" einzuführen, wird gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Auf Basis dieses in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs verfestigten Grundsatzes muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden. Demnach darf ein Betreiber eines Forums mit Sitz in Österreich nicht schlechter als einer mit Sitz im Ausland gestellt sein.

Verstoß gegen den Datenschutz

Die verpflichtende Identifikation bei Kommunikationsmitteln des täglichen Lebens widerspricht überdies dem Datenschutz. So ist eine flächendeckende Speicherung personenbezogener Daten zum Zwecke potenzieller Strafverfolgung unverhältnismäßig. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Vorratsdatenspeicherung festgestellt hat, ist eine solche nur dann denkbar, wenn sie der strafprozessualen Verfolgung und Aufklärung von besonders schweren Taten dient. Die Delikte der Verhetzung, üblen Nachrede und Beleidigung – mögen sie auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – erreichen diese Schwelle nicht, weshalb das SVN-G unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig ist.

"Grundprinzipien, Regeln und Gesetze müssen auch im digitalen Raum gelten." Sofern dieser in den Erläuterungen des SVN-G stehende Satz von den Nationalratsabgeordneten tatsächlich ernst genommen wird, muss eine Verabschiedung dieses Gesetzes unterbleiben. (Michael Holzmannhofer, 24.5.2019)