Parteienfinanzierung: Nein, das Thema klingt nicht sehr sexy. Doch Ibiza-Gate hat nun auch das Interesse daran geweckt, wie und woher Österreichs Parteien eigentlich ihr Geld nehmen, was schiefläuft – und was sich ändern sollte. Hubert Sickinger gilt als einer der renommiertesten Experten des Landes für Parteienfinanzierung. Ziel des Interviews war, selbst Laien einen guten Überblick zu verschaffen.

STANDARD: Herr Sickinger, gibt es eine große Lehre aus Ibiza-Gate? Haben wir es nun schwarz auf weiß, dass Österreichs Parteien, allen voran die FPÖ, sich systematisch Geld aus illegalen Quellen holen?

Sickinger: Das würde ich so nicht sagen. Heinz-Christian Strache dürfte den Mund sehr voll genommen haben, um die angebliche Oligarchennichte zu beeindrucken. Dass es Spenden an den Rechenschaftsberichten der Parteien vorbei gegeben hat, ist offensichtlich. Aber es lässt wenig darauf schließen, dass es um Millionenbeträge geht, die heimlich über illegale Kanäle fließen. So teuer sind die Wahlkämpfe in Österreich dann auch nicht. Aber es läuft auch nicht so gut, dass man nach Ibiza sagen könnte: Schwamm drüber. Ganz abgesehen davon, was sich hier für ein Sittenbild offenbart hat. Der Obmann einer Partei, die mit dem Slogan "Österreich zuerst" wirbt, war offensichtlich bereit, im Gegenzug für einen finanziellen Vorteil die Interessen des Landes und der österreichischen Unternehmer an eine osteuropäische Oligarchin zu verkaufen.

Heinz-Christian Strache bei seiner Abtrittspressekonferenz.
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STANDARD: Wer ist in Österreich hauptverantwortlich dafür, dass Parteien Gelder gesetzeskonform bekommen und im erlaubten Ausmaß ausgeben?

Sickinger: Zunächst die Parteien selbst. Sie sind verpflichtet, ein entsprechendes internes Kontrollsystem aufzubauen. Die Parteien haben dem Rechnungshof Ende September einen Rechenschaftsbericht über ihre Einnahmen und Ausgaben aus dem jeweiligen Vorjahr abzugeben. Die Angaben der Partei in diesem Bericht werden, das ist die zweite Kontrollinstanz, vorher von zwei externen Wirtschaftsprüfern überprüft, die auch Einblick in die Parteibücher haben. Der dritte Akteur ist der Rechnungshof: Er überprüft diese Berichte formal. Wenn sich Hinweise auf Verstöße ergeben, meldet der Rechnungshof dies an den unabhängigen Parteitransparenzsenat weiter. Dieser verhängt gegebenenfalls Geldbußen gegen die Parteien.

STANDARD: Klingt doch vernünftig.

Sickinger: Das Problem entsteht dort, dass dieses System in einem entscheidenden Bereich nur darauf aufbaut, dass die Parteien ehrliche Angaben machen: bei den Sachspenden Dritter für die Parteien und bei Kostenübernahmen durch Dritte. Wenn solche Ausgaben von den Parteien nicht in ihren Rechenschaftsbericht aufgenommen werden, dann können diese Vorgänge aktuell nicht überprüft werden. Der Rechnungshof kann selbst nicht erheben, er kann keine Prüfer in die Parteizentralen schicken, sondern er muss auf die Ehrlichkeit der Partei vertrauen – und er kann auch mögliche Spender nicht prüfen. Das ist etwa so, als wenn die Polizei einen Bankräuber, der die Beute nicht mehr in der Tasche hat, nur fragen kann: Sind sie der Täter?

STANDARD: Gibt es Fälle, wo sich das ausgewirkt hat?

Sickinger: Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem niederösterreichischen Landtagswahlkampf. Dort war es immer üblich, ein Personenkomitee für Erwin Pröll einzurichten, hinter dem ein Verein stand. Dieses Komitee hat Werbeplakate und Inserate finanziert. Solche Spenden sind eigentlich eine Sachspende für die Parteien und müssten bei Überschreiten einer Schwelle im Rechenschaftsbericht aufscheinen. Niemand kann von außen überprüfen, ob die ÖVP Niederösterreich das tatsächlich in den Rechenschaftsbericht und in ihre Wahlwerbeausgaben aufgenommen hat. Unternehmen und Privatpersonen dürfen spenden, sie dürfen aber nicht anonym spenden. Der Kandidat muss sie deklarieren. Doch das geschieht nicht, wenn die Spenden an den Verein gegangen sind.

Niederösterreichs Landeshauptmann bis 2017: Erwin Pröll.
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STANDARD: Gibt es noch relevante Lücken?

Sickinger: Einige weitere Schlupflöcher hat zusätzlich die besonders formalistische, konfliktscheue Spruchpraxis des unabhängigen Parteientransparenzsenats aufgemacht.

STANDARD: Ein Beispiel bitte.

Sickinger: Bei der Nationalratswahl 2013 wurde bekannt, dass Parlamentsklubs der Parteien den Wahlkampf querfinanziert haben. Der FPÖ-Klub hat an alle Wahlberechtigten Österreichs Werbebriefe verschickt und nebenbei für die Partei Inserate geschaltet. Das dürfte einen Millionenbetrag gekostet haben. Die FPÖ hat sich auf den Standpunkt gestellt: Nein, das war keine Parteispende. Es war aber natürlich eine – und noch dazu eine unzulässige. Das Geld, das die Parlamentsklubs bekommen, ist ja dafür da, eine Waffengleichheit des Nationalrats mit der Regierung sicherzustellen.

STANDARD: Was ist dann passiert?

Sickinger: Die Sache war öffentlich bekannt. Die FPÖ hat den Vorgang aber nicht in ihren Rechenschaftsbericht aufgenommen. Der Rechnungshof hat in der Causa eine Meldung an den Parteientransparenzsenat gemacht. Dieser hat aber gesagt: Ich kann nur über Meldungen entscheiden, die der Rechnungshof auf Basis seiner Überprüfung des Rechenschaftsberichtes erstattet. Und eben in diesem Bericht gab es keinen Hinweis auf die Spende, weshalb nie eine Geldbuße in der Sache verhängt wurde.

STANDARD: Welche Rolle spielen private Spenden für Parteien? Um es anschaulich zu machen: Spielen wir es durch. Ich gründe morgen eine Partei, wie komme ich an Geld?

Sickinger: Ist eine Partei erfolgreich gegründet, hat sie zunächst kein Geld. Dann kommt es drauf an: Wer viele Mitglieder hat, kann Mitgliedsbeiträge einheben. Sie können um Spenden bitten. Die Partei kann jedenfalls bei einer Nationalratswahl kandidieren. Wenn Sie es ins Parlament schaffen: Bingo! Dann bekommen Sie jährlich eine Parteienförderung, entsprechend ihrer Stärke. Dann können Sie einen Parlamentsklub gründen, der ebenfalls Steuergeld bekommt. Und sie können zusätzlich eine Parteiakademie gründen, für die es auch staatliche Mittel gibt.

Kanzler Kurz im Wahlkampf 2017.

STANDARD: Mitgliedsbeiträge, Spenden, Steuergeld: Was ist wie wichtig?

Sickinger: Der Steuergeldanteil ist der wichtigste. Bei den Freiheitlichen liegt dieser angeblich bei 94 Prozent. Laut Rechenschaftsberichten erhält die Partei nahezu keine Spenden. Ein bisschen was nimmt sie durch Abgaben von den Mandatsträgern noch ein, das ist eine Art Parteisteuer. Bei der SPÖ ist der Anteil an Mitgliedsbeiträgen etwas höher, aber gut drei Viertel der Einnahmen kommen auch durch öffentliche Förderungen zustande. Bei der ÖVP detto.

STANDARD: Ausländische Unternehmen dürfen kaum an Parteien spenden. Gibt es für Spenden inländischer Konzerne auch irgendwelche Grenzen? Im vergangenen Wahlkampf machte die Spende von KTM-Chef Stefan Pierer an die ÖVP Schlagzeilen.

Sickinger: Pierer hat als Privatperson gespendet. Nein, es gibt nur eine Begrenzung für Unternehmen, an denen die öffentliche Hand mehr als ein Viertel der Anteile hält. Diese dürfen nicht an die Partei spenden. Ansonsten gibt es keine Begrenzung.

STANDARD: Jetzt sagten Sie vorher, das Gros der Parteigelder kommt vom Steuerzahler. Spielen dann Spenden Privater überhaupt eine Rolle?

Sickinger: Schon. Wenn man sich anschaut, mit welcher Intensität und Wucht die ÖVP im vergangenen Wahlkampf aufgetreten ist: Das hätte die Partei aus öffentlichen Fördermitteln und in Erwartung einer höheren Parteienförderung nach der Wahl nie und nimmer stemmen können. Die Spendenaktion, die damals über die Kampagnenseite von Sebastian Kurz gemacht wurde, hat der Partei 2,1 Millionen Euro eingebracht. Zahlenmäßig waren das weit überwiegend Kleinspenden, den Großteil des Ertrags machten allerdings mittlere bis sehr hohe Spenden aus. Die Spenden sind also der Weg, mit dem Parteien, die relativ ähnlich viel an Parteienförderung bekommen, dann doch einen entscheidenden Vorsprung herausholen können.

Politologe Hubert Sickinger.
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STANDARD: Es gibt eine Höchstgrenze für Wahlkampfausgaben von sieben Millionen Euro. Die SPÖ hat etwas überschritten, die FPÖ ordentlich, und die ÖVP hat 13 Millionen ausgegeben. Lässt sich sagen, wie diese immensen Mehrausgaben finanziert wurden?

Sickinger: Ich könnte Ihnen mehr sagen, wenn der Rechenschaftsbericht der ÖVP für 2017 bereits veröffentlicht worden wäre. Das ist er nicht, ebenso wenig wie die Berichte der FPÖ, der SPÖ und der Grünen. Das ist wiederum ein Hinweis auf ein Problem der Rechenschaftsberichte: Sie werden sehr spät erstellt.

STANDARD: Warum gibt es überhaupt eine Begrenzung für Ausgaben der Parteien, warum sagt man nicht, alle sollen so viel ausgeben, wie sie wollen, freies Spiel der Kräfte also?

Sickinger: Weil es ein Level-Playing-Field geben soll, also eine gewisse Fairness zwischen den Parteien. Man soll sie davor bewahren, sich an Großspender heranzuschmeißen, von denen sie dann abhängig sind. Man will sie auch davor bewahren, sich hemmungslos zu verschulden.

STANDARD: Nun wird über eine Gesetzesänderung in Österreich diskutiert. Was würden Sie ändern?

Sickinger: Es gibt Vorschläge der Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker, die in die richtige Richtung gehen. Die Finanzen der Parteien müssten von außen geprüft werden, insbesondere die Wahlkampfabrechnungen. Der Rechnungshof sollte auf Basis der Berichte der Parteien zu Wahlkampfkosten eigene Nachforschungen anstellen dürfen, Rechnungen verlangen. Er müsste Prüfer in die Parteizentralen entsenden können, Einsicht in Konten nehmen dürfen. All das kann er derzeit nicht. Und alle Third Actors wie Personenkomitees und Vereine, die Campaigning betreiben, müssen in die Rechenschaftspflicht einbezogen werden: Sie sollten, so wie das Rechnungshofpräsidentin Kraker vorschlägt, verpflichtet werden, an den Rechnungshof über ihre Geld- und Sachspenden zu berichten.

FPÖ-Plakat aus dem Nationalratswahlkampf.
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STANDARD: Noch etwas?

Sickinger: Für Spendenverschleierung sollte es nicht nur wie derzeit hohe Geldbußen geben – das ist Verwaltungsrecht. Vorsätzliche Spendenwäsche müsste auch ein Straftatbestand sein. Wenn es jetzt wirklich so wäre, wie es Strache auf Ibiza behauptet hat, dass es Millionenspenden von Unternehmen an einen ausgelagerte Verein gegeben hat, dann müsste das für sich genommen bereits mit einigen Jahren Freiheitsstrafe bedroht sein. Derzeit sind illegale Parteispenden nicht strafrechtlich relevant. Das Strafrecht hätte den Vorteil, dass die Staatsanwaltschaft Konten Dritter öffnen und Personen unter Wahrheitspflicht vernehmen könnte.

STANDARD: Wer wäre betroffen, auch die Parteispitze?

Sickinger: Ja, alle involvierten Personen. Üblicherweise werden Spenden von weit oben, Parteichefs oder Abgeordneten, eingefädelt. Manche Parteifunktionäre fürchten nur den Staatsanwalt. (András Szigetvari, 25.5.2019)