Foto: Heribert Corn www.corn.at

BRIXLEGG, 21. Mai 2019, 20.30 Uhr:

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Robert sitzt im MyWay Pub am Herrenhausplatz, dreht an einer Flasche Zipfer Märzen und zitiert Nietzsche: "Wenn du lange in einen Abgrund blickst, dann blickt der Abgrund auch in dich hinein." Das fällt ihm ein, wenn er nach einem harten Tag am Bau an die Regierungskrise in Wien denkt. Dichte Rauchschwaden hängen knapp über der Budel, aus den Boxen jault B-Seiten-Hardrock. "Ich habe gewusst, dass die nicht sauber sind. Aber dass die sich so in die Luft sprengen, hätte ich mir nicht gedacht", sagt der Zimmermann im Led-Zeppelin-T-Shirt, der sich nur sehr ungern fotografieren lassen will.

Viele Leute in Brixlegg seien enttäuscht von den Politikern. "Sie denken: Jetzt haben wir etwas Neues probiert. Und wieder nix." Robert hatte mit der FPÖ in der Regierung kein Problem. "Das war nun einmal die Mehrheit. Etwas anderes ist sich nicht ausgegangen." Rot-Schwarz sei eh allen bis da gestanden. Und es wurde immerhin gearbeitet in Wien und nicht gestritten. Natürlich, jede Regierung mache auch Fehler ("Der Zwölfstundentag war nicht so lässig"). "Aber wir haben jetzt den Familienbonus. Warum ist das eigentlich den Roten nicht eingefallen?" Für Robert ist das wichtig, er hat zwei kleine Kinder.

Er glaubt, dass bei der FPÖ nicht diejenigen gefährlich seien, die in der Provinz Rattengedichte veröffentlichen, sondern vielmehr jene in Wien, von denen man nichts hört. Im 3.000-Einwohner-Ort Brixlegg jedenfalls hätten die Blauen trotz einiger Zustimmung (29 Prozent bei der NR-Wahl 2017 und 19 Prozent bei der Landtagswahl 2018) nie wirklich ein Leiberl gehabt. Die Mehrheit sei schwarz: "Wir sind immer noch in Tirol. Und schaut’s euch um, geht’s uns schlecht?"

Arbeit gebe es genug. Bei den Montanwerken, der Sandoz in Kundl oder bei der Jenbacher. Aber auch bei den vielen kleineren Betrieben. Migration ist für ihn kein Thema, sagt Robert. In der Nachbargemeinde gebe es seit 20 Jahren ein Asylantenheim, damit habe es nie große Probleme gegeben. Ihm sei es gleichgültig, ob ein "paar tausend Schwarze" mehr kommen. Es gebe ja eh einen großen Facharbeitermangel hier. Nur kommunizieren müsse man halt können mit den Leuten. Der Rest finde sich dann schon.

Wie es in Wien weitergeht, will Robert nicht prognostizieren. Dass Strache weg vom Fenster ist, findet er richtig. "Der Haider wäre inzwischen ja auch im Häfn." Am Sonntag gehe er natürlich zur Wahl, "weil das gehört dazu".

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SALZBURG, 22. Mai 2019, 10 Uhr:

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Von wegen Schnürlregen. Es schüttet wie aus Kübeln. Barbara und Erika Amanshauser sitzen in ihrem Haus am Schlossberg und schauen in einen trüben Morgenhimmel. Trotzdem ist die Stimmung aufgeräumt.

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"Ich bin eine Wassermelone. Außen grün und innen rot", sagt Erika (87) über sich. Und: "Ich bin schrecklich erleichtert, dass diese blaue Bande endlich weg ist. Besonders der Kickl." Dass der Bundeskanzler am Montag entmachtet wird, das will sie aber doch nicht. Und zwar nicht, weil sie Sebastian Kurz mag, sondern weil Instabilität erzeugt würde und das sicher ungünstig für die SPÖ wäre.

Barbara (81) sieht die Sache anders. Sie findet, man könne Kurz nicht trauen und ihn auch taktisch nicht weiter stützen. Er sei ihr sehr unsympathisch. Wie der Herr Doskozil aus dem Burgenland übrigens auch. Und der Landeshauptmann Haslauer habe ganz recht damit gehabt, dass er die Blauen hier im Land nicht in eine Koalition genommen habe.

Unter ihren Bekannten sind sie die Einzigen, sagen sie, die in der Angelegenheit so dächten. Viele würden Kurz noch immer vertrauen, "denn der sei ja so nett".

WELS, 21. Mai 2019, 13.45 Uhr:

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Vor dem Café da Mika in der Schmidtgasse stehen Peter Neundlinger, Klaus Emmerstorfer und Oliver Schernhamer zusammen und unterhalten sich. Letzterer führt ein Modegeschäft in der Stadt, Neundlinger und Emmerstorfer sind Juweliere. Sie alle finden, dass Türkis-Blau alles in allem ganz gute Arbeit geleistet hat. Und zwar was die Wirtschaft betrifft, aber auch was die Migrationsfrage angeht.

Die Ibiza-Geschichte mit Heinz-Christian Strache halten die Herren für so skandalös wie strunzdumm ("So deppert muss man erst einmal sein!"). Dass Kurz deswegen abgesetzt werden soll, ist ihnen aber gar nicht recht: "Was soll dann kommen? Schwarz-Rot? Das kostet wieder ein irres Geld. Wer soll das bezahlen?"

Peter Neundlinger erklärt, er sei ein klassischer Wechselwähler. Er habe schon grün gewählt und zuletzt bei den Nationalratswahlen die FPÖ. Und zwar wegen der Zuwanderer. In einigen Stadtvierteln und Schulen in Wels gebe es große Probleme deswegen. "Das regt die Leute auf." Würde er die Blauen jetzt noch einmal wählen? "Nein." Für ihn ist aber wichtig, dass Sebastian Kurz Bundeskanzler bleibt und der bisherige Kurs der Regierung fortgesetzt wird.

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Die SPÖ sei früher anders gewesen. "Die Rendi, die is a Vorgabe. Sie ist eine intelligente Frau, aber die brauchen wen anderen." Wels (60.000 Einwohner) wurde jahrzehntelang von der SPÖ regiert. Seit 2015 hat die Stadt einen blauen Bürgermeister (Andreas Rabl). Der sei "jung und gut", sagen die Herren. Und in der Lokalpolitik gehe es ja eh nicht um Ideologie.

KAPFENBERG, 21. Mai 2019, 21.45 Uhr:

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Bei der Voest wechselt kurz vor zehn Uhr abends die Schicht. Von den Hacklern, die vom Tor 2 zu ihren Autos marschieren, will kaum einer etwas sagen. Nur Andreas bleibt stehen. "Der Strache, der gehört ins Straflager zum Putin. Und seinen Freund Kurz kann er gleich mitnehmen. Ich habe 2017 blau gewählt. Nie wieder", schimpft er.

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Vor allem bringt Andreas auf, dass bei der Einführung des Zwölfstundentags so über die Arbeiter drübergefahren worden sei. "Das geht einfach nicht. Wir kleinen Leute machen den Umsatz, nicht die Konzerne." Und außerdem: "Bei denen gibt es einfach zu viele Einzelfälle. Wenn die mit zum Hitlergruß erhobener Hand auftreten wollen, dann sollen sie es sagen. Dann wissen wir wenigstens, woran wir sind."

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Wirtschaftlich läuft es in der Obersteiermark dieser Tage wieder deutlich besser. Die Voest baut dort ein neues Edelstahlwerk und investiert eine halbe Milliarde Euro in den Standort. 2017 ist die FPÖ in Kapfenberg bis auf 2,6 Punkte an die SPÖ herangekommen (34,6 zu 37,2 Prozent).

Für Renate Kahlbacher lag das ganz klar an der Zuwanderung. Sie ist Rechtsanwältin und hat ihr Büro im zentral gelegenen Einkaufszentrum. Es gebe einfach zu viele "Asylanten und Giftler" in der Stadt. Am kommenden Tag müsse sie den ganzen Tag Verfahrenshilfe für Asylwerber leisten, unter anderem wegen Körperverletzung, Dealens und Sozialbetrugs.

Dass Strache mit dem Video irgendetwas Strafrechtsrelevantes nachzuweisen sein wird, glaubt sie nicht. Am Sonntag werde sie nicht nur wählen gehen, sondern auch Wahlleiterin sein. Wen sie wählt? Wahlgeheimnis.

PINKAFELD, 22. Mai 2019, 11.30 Uhr:

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Wer in Norbert Hofers Heimatstadt Bürger treffen will, muss vor der Raiffeisen Bank am Hauptplatz Position beziehen. Hier sagt die gepiercte junge Frau, die anonym bleiben will, dass sie trotz des Videos FPÖ wählen wird ("einmal blau, immer blau").

Der Berufsschullehrer Michael Friedrich dagegen erklärt, dass Rechtspopulisten in der Regierung einfach keine gute Idee gewesen seien und der Bundeskanzler die Verantwortung dafür trage.

In seiner Schule hat Friedrich, der auch Ersatzmitglied des Gemeinderats für die Grünen ist, an diesem Tag mit einer Gruppe von 15- bis 19-jährigen Lehrlingen über die Affäre diskutiert.

"50 Prozent der Schüler sagen, die Sache interessiere sie nicht. Von der anderen Hälfte, die diskutieren wollte, haben etwa wieder die Hälfte gesagt, dass sie die FPÖ nicht mehr wählen wollen." Ihn persönlich wundere es dennoch, dass die Blauen in jüngsten Umfragen nach dem Skandal noch immer auf 18 Prozent kämen.

ORTH AN DER DONAU, 22. Mai 2019, 15 Uhr:

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Eduard Lass parkt gerade seinen Mercedes ein. Der Pensionist war 30 Jahre lang Justizwachebeamter, zuletzt kommandierte er eine Außenstelle der Haftanstalt Wien-Josefstadt. In dem Job, sagt er, habe er einiges gesehen.

Mit der Regierung Kurz sei er "sehr zufrieden" gewesen. Auch Innenminister Kickl habe seine Sache nicht schlecht gemacht, nur "zu radikal" sei er mitunter vorgegangen. Den Misstrauensantrag gegen Kurz hält Lass für eine schlechte Sache, aber der werde ohnehin wieder Kanzler werden. Er jedenfalls werde ihn wieder wählen. Wieder Schwarz-Blau? Vielleicht. "Aber auch Schwarz-Rot mit Doskozil wäre eine gute Sache." (Christoph Prantner, 25.5.2019)

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