Im Gastkommentar erinnert sich die Filmemacherin Ruth Beckermann an Aktivitäten während der Waldheim-Affäre. Das Strache-Video bezeichnet sie als gelungenen Dokumentarfilm. Eine andere Position nimmt die Juristin Miriam Gassner-Olechowski ein.

Grafik: Felix Grütsch

Das sogenannte Strache-Video ist ein dokumentarischer Kurzfilm, wie Bert Rebhandl bereits feststellte (siehe "Alexa, die Mata Hari des Kompromats", DER STANDARD). Jeder meiner Freunde hat eine Meinung zur Herkunft desselben. Die Annahmen reichen von Geheimdienst ("der deutsche, denn die fürchten die Russland-Connection der FPÖ") über Kurzens ÖVP (Robert Menasse in der "Süddeutschen Zeitung") bis zur SPÖ, sprich Tal Silberstein. Alle sind sich einig, dass das Video "so professionell" gemacht sei und viel Geld gekostet habe.

Sand ins Getriebe streuen

Als Dokumentarfilmerin und Filmproduzentin sehe ich das etwas anders. Mich erinnert es an unsere Aktivitäten während der Waldheim-Affäre, als ein kleines Grüppchen von Intellektuellen sich kluge und witzige Aktionen ausdachte, um zur Entlarvung der offiziellen Lügen beizutragen. Die Zeiten waren natürlich andere. Damals konnte man mit ein paar Presseausweisen leicht einige für den Anlass gut gekleidete Protestler ins Hotel Ambassador schleusen. Auch unangemeldeter Protest bei einer Wahlveranstaltung war möglich, wenn er auch zur Verhaftung zweier Teilnehmer führte, die eine Nacht in der Rossauer Kaserne verbringen mussten.

In meiner Fantasie handelt es sich bei den Kollegen und Kolleginnen, die dieses Material drehten, um relativ junge, sehr kluge Menschen, die in Wien, München oder Berlin bei Kaffee oder Bier immer wieder über den Aufstieg der Rechtsextremen diskutierten und irgendwann darüber nachzudenken begannen, wie man diesen Sand ins Getriebe streuen könnte. Und dann hatte einer oder eine die Idee, nicht allein zu reden, sondern zu handeln.

Keine Nazifalle

Nach langer, vielleicht siebenstündiger Diskussion war klar: Sie in eine Nazifalle zu locken kann nicht funktionieren, denn in diesem Milieu kennen sie sich zu gut aus, um drauf reinzufallen. Sex interessiert niemanden mehr und ist außerdem Privatsache (Callgirls, die Politiker entlarven, gab es nur in England, und das ist lange her). So entstand der Plan, sie bei Geld und Machtgier zu packen. Und wo sitzt das Geld? Bei den Russen. Und wer ist mächtig genug, dem laut Strache "dekadenten Westen" entgegenzuwirken? Die Russen. Dass der Kontaktmann zu jenen Gudenus heißt, war allgemein bekannt. Und los konnte es gehen.

Was hier geplant wurde, würde ich durchaus als Dokumentarfilm bezeichnen, wobei unser Genre vom Direct Cinema bis zu hybriden Formen reicht, die seit dem "perfomative turn" besonders beliebt und bei vielen Festivals zu sehen sind. Ein Setting wird aufgebaut, in dem sich die Protagonisten bewegen. Das Setting ist Fiktion, die Worte und das Verhalten der Protagonisten dokumentarisch. Da es sich bei den beiden um Politiker handelt und der Inhalt ihrer Aussagen von öffentlichem Interesse ist, spricht wenig gegen die in Ibiza angewandte Methode.

Andere Art des Widerstands

Jede Zeit hat ihre Politiker und Umgangsformen und erfordert daher eine andere Art des Widerstands. Da ich annehme, dass unter den Politfilmern auch Österreicher waren, haben sie seit Jahrzehnten und lange vor dieser FPÖ-Mitregierung erlebt, dass Nazi-nahe Ideologie in diesem Land als jeweiliger Einzelfall abgewertet wird und einen Großteil der Bevölkerung, angeleitet von der "Kronen Zeitung", nicht stört. Umso genialer war es, die russische Schiene zu bedienen. Die mag "das Volk" nicht.

Nun zur Professionalität und den Kosten. Wie inzwischen bekannt, war die Villa mit sieben Kameras ausgestattet. Eine sogenannte Russin, die Lettin ist, und ihr angeblicher Bekannter, ein Deutscher, waren die Lockvögel. Beide laut Spekulationen bezahlte Schauspieler. Nun ja, die beiden müssen ihre Rollen schon sehr gut gespielt haben, schließlich mussten sie sieben Stunden ohne Skript arbeiten. Was immerhin den Gedanken wert ist, dass es keine Schauspieler waren, sondern Mitstreiter, die genau wussten, was sie tun und worum es geht. Auch eine Mischform, das heißt, es wären politisch motivierte Schauspieler gewesen, ist natürlich möglich. Was dagegen spricht: Eine Schauspielerin mit dreckigen Fußnägeln habe ich noch nie gesehen.

Intelligente Montagearbeit

Die gesamten Dreharbeiten kann man mit einem Minibudget durchführen. Kleine Kameras, wie hier benutzt, gibt es überall. Man kann sie leihen oder um wenig Geld erwerben. Die Miete der Villa für drei Tage – einen zum Verstecken der Kameras, einen zum Vorbereiten des Abends (Catering, Tisch-Decken, Wodka-Einkauf), einen zum Abbau – kostet inklusive Speis und Trank geschätzte 4000 Euro. Die teuren Substanzen wurden wahrscheinlich von den Gästen mitgebracht, und am Billiginterieur der Location wurde sichtlich nichts verändert. Dazu kommen die Miete der beiden Autos für einen Tag und ein paar Flugtickets und Hotelzimmer für die Lockvögel und das Team. Die Gäste weilten ja bereits an ihrem Ferienort. Falls keine Honorare bezahlt wurden, hätte ich den Dreh mit einem flotten Zehner produzieren können.

Mit Freude möchte ich den Kollegen und Kolleginnen gratulieren. Mir macht ihre Arbeit Hoffnung. Sie zeigt, dass man mit klugem Kopf und wenig Geld große Wirkung erzielen kann. Dass die Journalisten von "SZ" und "Spiegel" eine intelligente Montagearbeit leisteten, kommt als ganz wichtiger Faktor hinzu. Die Intelligenz eines Films liegt in der Montage. Befremdlich stimmt, wenn Florian Klenk, der beste und fast einzige investigative Journalist Österreichs, die Arbeit seiner Undercover-Kollegen nicht nur nicht würdigt, sondern gar als strafbar bezeichnet.

Das ist sie ebenso wenig wie der aufdeckende Journalismus eines Günter Wallraff oder Hans Weiss oder die Filmaufnahmen von Nazis, die Claude Lanzmann mit versteckter Kamera aus einem Übertragungswagen machte. Im Gegenteil: Es ist mutig und sollte Mut machen, zwei, drei, viele Ibizas zu drehen. (Ruth Beckermann, 26.5.2019)