Direktoren, Dirigenten kommen und gehen, das Opernhaus bleibt. Es lockt mit hohen Tönen, schönen Bildern und Intrigen, die auch außerhalb der Werke stattfinden

Foto: Pöhn, Bearbeitung: STANDARD

Als die Wiener Staatsoper am 25. Mai 1869 in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth eröffnet wurde, weilten die Architekten August von Sicardsburg und Eduard van der Nüll schon nicht mehr auf Erden. Nüll hatte sich aus Gram das Leben genommen; Sicardsburg folgte per Herzversagen nach. Seine Gesundheit dürfte nicht unterstützt haben, dass das Haus am Ring als "Königgrätz der Baukunst" verhöhnt wurde.

Ein trauriger Opernstoff. Unter den Direktoren des Hauses hatte es zwar keine Suizide gegeben. Wie schmerzvoll sich der Opernthron jedoch anfühlen konnte, mussten jene Musiker erfahren, die dachten, auch Manager sein zu müssen. Ihre Karrieren endeten immer mit freiwilligen Abgängen. Ab Gustav Mahler wurde dies zum Ritual. Er litt ab 1897 zehn Jahre lang an dem Amt.

Vermeintlicher Traumjob

Dabei schien es ein Traumjob zu sein. Der Komponist war eigens zum Katholizismus übergetreten, um Direktor werden zu können. Mahler geißelte Tradition als Schlamperei und setzte auch Alltagsrituale vor die Tür. Er verpflichtete Sänger per Ehrenwort, auf die Unterstützung von Claqueuren zu verzichten. Er erließ Einlasssperren für Zuspätkommende. Er domestizierte das Fernbleiben gastspielfleißiger Sänger und forderte Musteraufführungen.

"Menschlich mache ich jede, künstlerisch gar keine Konzession", war allerdings ein Motto, das in Zermürbung mündete. Die öffentliche Meinung kippte im Finale mit antisemitischem Unterton ins Gehässige, die Zensur untersagte die Aufführung von Richard Strauss' Salome. "Ich reise eben nach Wien. O weh!", schrieb Mahler an Strauss und demissionierte schließlich, um später zu klagen: Statt ein Ganzes habe er "nur Stückwerk, Unvollendetes" hinterlassen.

Die Ära war jedoch folgenreich: Sie definierte jenes Niveau, hinter welches die Oper nicht mehr zurückfallen durfte. Da kam jemand wie Richard Strauss gerade recht, der sich allerdings die Arbeit mit Franz Schalk teilte, was ein Staatsoperngesetz in Erinnerung ruft. Zwei Männer an der Spitze, das geht schief: Aus Verbundenheit wurde Misstrauen, der Konflikt eskalierte im Zuge eines Kompetenzgerangels, Strauss demissionierte.

Böhm landet in Wien

Großer Komponist hin, arrivierter Dirigent her: Auch die Anwesenheit im Haus blieb Krisenthema. Im Falle Karl Böhms lässt sich festhalten: Dessen Nähe zu den Nationalsozialisten wurde eher verziehen als sein Fernbleiben. Als Böhm bei der Landung in Wien grantelte, er würde seine "internationale Karriere doch nicht für die Staatsoper opfern", waren die Reaktionen ausreichend gnadenlos, um Böhm zu vertreiben. Herbert von Karajan tat es ihm gleich – und dies zweimal: Im Zuge eines Streiks, der das Haus lähmte, arrangierten sich Regierung und Gewerkschaft, ohne Karajan informiert zu haben. Er demissionierte "wegen schweren Eingriffs in die Kompetenzen", wobei man ihn halten wollte. Er hatte internationalen Glanz gebracht, Kooperationen forciert und Starsänger geholt. Doch er ließ sich erweichen und blieb. Nach einem Streit um die Wahl eines italienischen Souffleurs ging Karajan dann aber endgültig.

Die vielen Wünsche

Kein Wunder, die Staatsoper ist Projektionsfläche für alle und alles. Sie ist ein prunkvolles Erinnerungsstück an ein verflossenes Kaiserreich. Gleichermaßen umweht sie die Aversion gegen elitäre Traditionspflege. Als Repertoirehaus lebt sie zudem im Spannungsverhältnis zwischen Alltagsniveau und der Utopie einer permanenten Sternstunde. Der Direktor sitzt dazwischen auf Subventionstöpfen. Sie gelten den Gegnern als überfüllt, dem Direktor aber als löchrig. Wehe aber, er will das Repertoiresystem aufweichen und auch seine Karriere pflegen wie Dirigent Lorin Maazel. Es setzte eine auch auf seine jüdische Herkunft zielende Gehässigkeit ein. Maazel demissionierte nach nur eineinhalb Jahren.

Auch überragende Produktionen schützen nicht, wenn Finanzlöcher entstehen. Direktor Claus Helmut Drese hatte den großen Claudio Abbado an seiner Seite. Letztlich aber gingen beide. Es kamen Eberhard Waechter und Ioan Holender, der als Stimmenkenner nach Waechters überraschendem Tod reüssierte.

Das Modell Doppelspitze blieb aber heikel. Dominique Meyer und Dirigent Franz Welser-Möst wurden eilig zusammengespannt. Meyer schwärmte, Welser-Möst würde sich "mit all seiner Erfahrung total einbringen". Mittlerweile ist auch Welser-Mösts Demission Operngeschichte, und auch Meyer deutet an, dass seiner Nichtverlängerung als Auslastungskaiser böse Intrigen vorausgingen.

Widersprüchliche Vorgaben

Blickt Meyer nun aus Anlass des 150. Geburtstags des Hauses in die Geschichte, wird er vielleicht aber erkennen: Neben der Qualität des Staatsopernorchesters, das als Wiener Philharmoniker gar reisefreudig ist, neben einem guten Ensemble und Stars muss das Haus auch Werke glaubhaft ins Heute übertragen. Die Staatsoper muss eine Zeitgenossin sein, die Historie verlebendigt und kreiert. Es ist ein Haus der widersprüchlichen Vorgaben. Die Widersprüche müssen aber auf künstlerischem Weltniveau ausgelebt werden. Wenn es nicht möglich ist, sie strukturell zu beheben.

Der kommende Direktor Bogdan Roscic hat mit Dirigent Philippe Jordan einen Könner an seiner Seite. Musikalisch wird es also spannend. Es wäre allerdings nicht die Staatsoper, würde Roscic nicht schon vorgeworfen werden, noch nie ein Opernhaus geleitet zu haben, obwohl er dieses Schicksal mit dem längstdienenden Direktor teilt. Mit Ioan Holender, der, wie zu hören ist, seine Erfahrung beratend zur Verfügung stellt. (Ljubisa Tosic, 24.5.2019)