Bilderbuch in Wien.

Foto: niko ostermann

Um Punkt 20 Uhr 45 beginnt der Reality Check. Die Band Bilderbuch betritt die Bühne, und Maurice Ernst muss erst einmal kurz überprüfen, ob das alles wahr ist. Es ist. Ernst frohlockt: Bilderbuch stehen vor 15.000 Besuchern vor dem Schloss Schönbrunn und geben ein Konzert. Es ist das erste von zweien, am heutigen Samstag bittet man noch einmal zur Audienz, dafür gibt es noch Restkarten. "Wenn mir das vor fünf Jahren jemand gesagt hätte", sagt er später im Konzert, ganz scheint er es immer noch nicht glauben, dabei ist er mittendrin.

Im Wavebreaker-Bereich vor der Bühne findet die erste Tiefenrecherche des Berichterstatters statt. Die Brustwarzen des Gitarristen, vom edlen Tuch seines Netzleiberls nur wenig verdeckt, könnte ich seitenlang porträtieren, ebenso berichten, ob die Zehennägel der beiden Schlagzeuger den Hygienestandards der FPÖ entsprächen oder nicht. Embeded Prostitution vom Feinsten. Das Problem in dieser Intimzone ist der Sound. Es ist zu leise, klingt einseitig und flach. Und dann sind die Bilder auf den Videowalls nicht synchronisiert, was eine etwas bescheuerte Optik ergibt: Die Ohren haben längst gehört, was auf den Bildwänden dem Antlitz des Sängers erst mit Verspätung entfährt.

Druck und Kontur

Also nach hinten auf die billigen Plätze und plötzlich: Konzertgeräusch, wie es sein soll. Von der Bühne weht es gerade Seifenblasen übers Publikum, die Band spielt dazu den Song "Softdrink" vom Album "Schick Schock".

Gut und schön, aber dem Großformat der Veranstaltung zeigen sich nicht alle Titel der Wiener Band gewachsen. Detailarbeit, die in kleinem Rahmen funktioniert, verfehlt hier ihre Wirkung, drückt die Stimmung. Daran kranken in der ersten Hälfte auch einige Hits. Ihnen fehlen Druck und Kontur, selbst mit zwei Schlagzeugern wirken manche schlapp, da hat man Bilderbuch schon besser erlebt.

Belastungsprobe

Zur Belastungsprobe wird "Europa 22". Der Platz wird in blaues Licht getaucht, auf die royale Fassade hinter der Gruppe gelbe Sterne projiziert. Hübsch. Das Lied ist ein proeuropäisches Statement von fast zehn Minuten Dauer, doch das Gitarrenspiel, in das sich der Song am Ende minutenlang ergeht, verströmt live über die Maßen Fadgas. Ob der Kaiser in dem Moment stolz gewesen wäre, wie Ernst einmal behauptet. Man bezweifelt es.

Dennoch gibt es eine Reihe von Ausreißern nach oben. "Maschin" begeistert das Publikum schon mit dem ersten Riff, Ernst durchmisst es stilsicher mit gelben, dem Volant zugedachten Autofahrerhandschuhen. Oder "Ich habe Gefühle", das mit einem blubbernden Keyboard über den Platz fegt.

Selfiestangengefechte

Das Publikum ist in Heimspiellaune, der Getränkehandel floriert: "Sprit N’ Soda" steht in Anlehnung an einen Song des Albums "Magic Life" auf den Dächern der Getränkestände, und endlich ist auch das Wetter im Mai angekommen. Bei "Frisbee" segeln ein paar Wurfscheiben übers Publikum, das singt mit und danced, wo sonst Touristen mit Selfiestangen fechten. Konzertant wird der Abend aber kein Höhepunkt in der Biografie der Band. Dafür müsste sie aggressiver und auf mehr den Punkt spielen, ein paar Abkürzungen nehmen und zwei, drei Nieten aus der Setlist entfernen. So ist es hauptsächlich das Ambiente, das Bilderbuch an diesem Abend adelt. (Karl Fluch, 25.5.2019)