"Jetzt muss man sicher Kurskorrekturen vornehmen, bedachter und bewusster und vielleicht auch noch anständiger sein." "Krone"-Chefredakteur Klaus Herrmann über Besserungsmöglichkeiten.

Foto: Robert Newald

Wie geht es einem jener drei, vier "Krone"-Journalisten, die Heinz-Christian Strache vielleicht "zack, zack, zack abservieren" wollte? Wenn die "scharfe" Dame tatsächlich eine russische Oligarchennichte gewesen wäre, mit der der damalige FPÖ-Chef am 24. August 2017 in einer Finca auf Ibiza ausgiebig trank und plauderte und Pläne für die Übernahme der "Kronen Zeitung" besprach – wie das heimlich aufgenommene Ibiza-Gate-Video dokumentiert.

Unabhängigkeit, Regierungsinserate und Kampagnen

DER STANDARD traf am Freitag "Krone"-Chefredakteur Klaus Herrmann zum Interview über das Strache-Video. Es ging um die auf der gedruckten "Krone" seither noch größer geschriebene Unabhängigkeit, die nun auch Krone.at hervorhebt. Um Politiker, die Österreichs weitaus größte Tageszeitung übernehmen wollten – was laut Herrmann gar nicht so einfach ist. Um Regierungsinserate und die Käuflichkeit des Kleinformats. Um die "Krone"-Kampagnen und die Beziehung zur FPÖ.

Haider, Faymann, Kurz

Es ging um die Lieblinge des Massenblatts von Jörg Haider über Werner Faymann bis Sebastian Kurz – und jäh erkaltende Zuneigung. Es ging um die Zweimarkenstrategie der "Krone" –Krone.at arbeitete eng mit Strache und seiner Facebook-Seite zusammen, die gedruckte "Krone" war längst viel begeisterter von Sebastian Kurz. Es ging um die "Krone"-Appelle gegen den Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz. Und um Brachialkolumnist Michael Jeannée, der in seiner "Post" "durchaus nicht immer" die Meinung der Redaktion vertritt – und auch nicht (immer) jene von "Krone"-Chefredakteur Herrmann.

Herrmann ist seit 1. Oktober 2015 geschäftsführender Chefredakteur der "Kronen Zeitung" – damals übersiedelten "Krone"-Herausgeber und -Chefredakteur und Eigentümervertreter Christoph Dichand und seine Frau, "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand, für ein Sabbatical von einigen Monaten nach New York.

"Jetzt muss man Kurskorrekturen vornehmen"

Und es ging in dem Interview darum, dass die "Kronen Zeitung" laut ihrem Chefredakteur Klaus Herrmann "noch anständiger" werden soll: "Jetzt muss man sicher Kurskorrekturen vornehmen, bedachter und bewusster und vielleicht auch noch anständiger sein." Selbst der Presserat sei Thema, sagt er im STANDARD-Interview. Die "Krone" sprengte das Selbstkontrollorgan der österreichischen Presse 2002 und ignoriert ihn seit seiner Wiedergründung 2010.

Was dachte "Krone"-Chefredakteur Herrmann also, als er das Ibiza-Gate-Video erstmals sah – in einer Runde führender "Krone-Macher", Herausgeber Christoph Dichand war offenbar darunter? "Verrückt, verrückt, verrückt." Hier das – ausführliche – STANDARD-Interview mit Krone-Chefredakteur Herrmann:

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STANDARD: Haben Sie mehr aus dem Ibiza-Video als jene Sequenzen, die "Süddeutsche" und "Spiegel" bisher veröffentlicht haben? Die "Krone" schreibt ja zum Beispiel in der Freitagausgabe von "kompromittierenden Szenen" gegen Ende des Videos.

Herrmann: Wir haben viele Informationen drumherum, es tröpfelt nicht nur, es fließen Informationen zu uns. Wir müssen natürlich sehr genau prüfen, was dran ist. Wir oder andere werden das schon ganz aufdecken. Wir arbeiten jedenfalls daran. Noch sind wir nicht ganz durch. Wir haben es noch nicht.

STANDARD: Wurde Ihnen das Video eigentlich vor der Veröffentlichung am vorvergangenen Freitagabend angeboten? Nach unseren Infos wurde nach damaligem Stand ein Video schon vor Jänner 2019 angeboten mit der Beschreibung, Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus würden sich darin mit Russen berauschen.

Herrmann: Uns wurde das definitiv nicht angeboten. Auch nach unseren Informationen war das Video im Jänner oder noch früher auf dem Markt. Aber wir waren nicht involviert.

STANDARD: Seit wann wissen Sie von dem Video?

Herrmann: "Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung" haben auch bei uns recherchiert, deshalb wussten wir davon seit Anfang der vorigen Woche. Da hat man uns aber auch nur gröbsten Einblick gegeben. Wir haben deshalb aber gewusst, dass am Freitag um 18 Uhr etwas veröffentlicht wird, bei dem es um die FPÖ geht – und um die "Kronen Zeitung" gehen könnte.

STANDARD: Und dann haben Sie sich das Video mit Herausgeber Christoph Dichand und einer Handvoll Kollegen in Ihrem Büro angesehen. Was denkt man da als "Krone"-Macher?

Herrmann: "Wahnsinn" ist unter diesen fünf, sechs Leuten in den ersten Minuten sicher zehn-, zwanzigmal gefallen. Mir war in der ersten halben Minute klar, und wahrscheinlich auch allen anderen: Das muss das Ende des Heinz-Christian Strache sein.

STANDARD: Das haben wahrscheinlich mehr Leute bei diesem Video gedacht. Aber in dem Video geht es ja um Sie und Ihren Job und Ihr Medium.

Herrmann: Verrückt, verrückt, verrückt. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass man so denken kann, dass man solche Ideen haben kann, so absurde, so wahnsinnige Ideen, die uns in unserer Existenz bedrohen oder sogar vernichten würden – zack, zack, zack, um Strache zu zitieren.

STANDARD: Wären Sie einer von den drei, vier "Krone"-Journalisten gewesen, die Strache sofort "abservieren" wollte?

Herrmann: Diese Ehre nehme ich für mich schon in Anspruch.

STANDARD: Eine zweifelhafte Ehre, oder?

Herrmann: Das würde ich dann schon als Ehre sehen. Das Ganze ist so absurd. Die "Krone" und ihre Redaktion einfach zu übernehmen, das ginge eben nicht "zack, zack, zack", indem man drei, vier Köpfe austauscht. Dann wäre die "Kronen Zeitung" gestanden. Davon kann man mit Sicherheit ausgehen.

STANDARD: Das heißt, die "Kronen Zeitung" hätte sich gewehrt.

Herrmann: Die "Kronen Zeitung" hätte sich mit aller Kraft gewehrt. Es ist gänzlich undenkbar, dass man da bei uns mitgespielt hätte.

STANDARD: Sie als Journalist haben mit Heinz-Christian Strache vermutlich schon das eine oder andere Mal zu tun gehabt. Haben Sie nicht vielleicht schon früher vermutet: Der denkt so oder so ähnlich über mich?

Herrmann: Nein. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand solche Gedanken hegt und und sie sogar verfolgt und darüber Gespräche führt. Wie kann man solche Ideen nicht nur haben und dann auch noch verfolgen? Das ist ungeheuerlich.

STANDARD: Gerade die "Kronen Zeitung" hat doch einen wesentlichen, vielleicht entscheidenden Beitrag geleistet, dass die FPÖ so groß geworden ist – in einem Gleichklang von Ideen, Zugängen, Politik. Hat die "Krone" Herrn Strache womöglich vermittelt: Wir haben ohnehin die gleichen Ziele, da ist die Übernahme nur der Vollzug eines großen Gleichklangs, einer großen Liebesbeziehung?

Herrmann: Uns wurde von vielen Medien über Jahre eine zu große Nähe zur FPÖ zugeschrieben. Die FPÖ hat das offenkundig nicht so wahrgenommen – sonst hätte Strache nicht so abstruse Projekte verfolgt, die "Krone" zu übernehmen und "zack, zack, zack" auf FPÖ-Kurs zu bringen. All diese Überlegungen beweisen unsere Unabhängigkeit. Ja, wir haben all die Jahre auch immer wieder positiv über die FPÖ berichtet und haben uns damit vom Mainstream unterschieden. Aber ich erinnere mich auch an viele kritische Berichte, Kommentare über die FPÖ. Ich denke zum Beispiel an den Kommentar eines Kollegen vor wenigen Wochen, der diese FPÖ als nicht regierungsfähig bezeichnet hat. Das hat für einige Aufregung in den Medien gesorgt, das könne man nicht sagen, und schon gar nicht die "Krone" – auch seltsam.

STANDARD: Autor war Claus Pandi, bis Herbst Innenpolitikchef, nun Chefredakteur der Salzburg-"Krone".

Herrmann: Wir haben auch außerordentlich kritisch über den Braunauer Vizebürgermeister berichtet und sind für klare Entscheidungen und Sauberkeit eingetreten. Ich kann an viele kritische Beiträge erinnern ...

STANDARD: Die "Krone" bewegt sich in den vergangenen Jahren schrittweise weg von der FPÖ und auch von lange die "Krone" prägendem, sehr weit rechtem Gedankengut – das etwa der langjährige Kolumnist "Staberl" noch sehr explizit vertrat. Sie entfernt sich davon vielleicht auch, weil die alten Fans immer weniger werden.

Herrmann: Vor dem Büro des Herausgebers und in manchen Bundesländerredaktionen hängen noch jene Deix-Karikaturen, die den Bruch zwischen Hans Dichand und Jörg Haider zum Ausdruck bringen.

STANDARD: Hans Dichand wollte die FPÖ weiter in der Opposition und nicht in der Regierung, schon gar nicht mit Kanzler Wolfgang Schüssel.

Herrmann: Das war tatsächlich eine "Krone"-Kampagne gegen die erste ÖVP-FPÖ-Regierung ab 2000 – aber keine erfolgreiche,

STANDARD: Heinz-Christian Straches "Krone"-Übernahmefantasien 2017 könnten auch aus einer Kränkung entstanden sein: Die "Kronen Zeitung" hatte einen neuen Helden, Sebastian Kurz. Der versteht sich auch auf das Repertoire und die Themen der "Kronen Zeitung" und wohl auch weiter Teile der Bevölkerung, zum Beispiel Migration und Zuwanderung. Da sah Heinz-Christian Strache womöglich seine Felle davonschwimmen – und wollte seinen Partner mit Gewalt zurückholen.

Herrmann: Interessantes Gedankenspiel, das hatten wir noch nicht. Das würde aber nichts anderes heißen als eine Affäre, eine Eifersuchtsgeschichte, weil wir ...

STANDARD: ... einen anderen haben, der noch dazu gesellschaftsfähiger ist als die FPÖ.

Herrmann: Verschmähte Liebe ...

STANDARD: ... das treibt Menschen zum Äußersten.

Herrmann: In den Kopf des Heinz-Christian Strache konnte ich nicht hineinschauen ...

STANDARD: Möchte man vielleicht auch nicht, man hat mit dem Video ohnehin vielleicht zu viel davon mitbekommen.

Herrmann: Mir ist am "Runden Tisch" im ORF am Samstag der Ausdruck "Schwachköpfe" über die Herren Strache und Gudenus unbedacht entfleucht. Aber dazu stehe ich. Schon möglich, dass in deren – ich wäre fast geneigt zu sagen: kranken – Gehirnen auch das eine Rolle gespielt hat.

STANDARD: Die "Krone" hatte in den vergangenen Jahren eine Zweimarkenstrategie. Die gedruckte Zeitung war sehr begeistert von Sebastian Kurz. Krone.at hatte ein, sagen wir, sehr gutes Verhältnis, eine sehr gute Zusammenarbeit mit Heinz-Christian Strache und seiner Facebook-Seite. Richard Schmitt, der Krone.at als Chefredakteur großgemacht hat, hat selbst in einem Interview vor einigen Jahren gesagt: Wenn Strache unsere Inhalte teilt, dann steigert das markant die Zugriffe; Krone.at lieferte die passenden Inhalte, und Strache teilte sie wie keine anderen Medieninhalte. Teilen Sie den Befund dieser Zweimarkenstrategie?

Herrmann: Als Strategie würde ich das nicht unbedingt bezeichnen. Die Onlineredaktion hat bisher relativ autonom agiert, und so hat sich das ergeben.

STANDARD: Kommen wir zurück zu Heinz-Christian Straches "Krone"-Träumen ...

Herrmann: Für uns Albträume.

STANDARD: Strache steht damit eigentlich am vorläufigen Ende einer langen Reihe von Politikern der SPÖ und der ÖVP, die versucht haben, Anteile an der "Kronen Zeitung" zu bekommen oder, ganz am Anfang, zu behalten. Die Wiedergründung der "Krone" 1959 hat der damalige SPÖ-Politiker Franz Olah ermöglicht – offenbar als heimlicher Anteilseigner. Liegt die politische Sehnsucht nach Eigentum am Machtfaktor "Krone" nicht schon in ihrer DNA?

Herrmann: Tatsächlich begleitet das die "Krone" von ihrer Geburt an. Das hat sicher mit Machtgelüsten zu tun. Die "Krone" war anscheinend schon vor 60 Jahren Objekt der Begierde – und war das dann immer wieder. Nur haben wir diese Begierden nie erfüllen können und vor allem nicht wollen. Familie Dichand und die Redaktion konnten sich immer erfolgreich dagegen wehren.

STANDARD: Soll Politik Medien machen?

Herrmann: Nein. Natürlich nicht. Politik hat nichts in den Medien verloren. Die Parteizeitungen sind ja mit gutem Grund längst alle zugrunde gegangen.

STANDARD: Den Befund kann man diskutieren – mit Blick auf "unzensuriert.at", "Info-Direkt", "Wochenblick" und viele, viele andere Beispiele von Medien mit dem einen oder anderen ideologischen Fokus. Da gibt es doch eher ein Revival.

Herrmann: Auf lange Sicht kann es nur mit Unabhängigkeit funktionieren.

STANDARD: Sollen Medien Politik machen?

Herrmann: Nein, sollen sie auch nicht. Ich weiß schon, Ihre nächste Frage gilt den Kampagnen ...

STANDARD: Die nächste Frage lautet: Macht die "Krone" nicht ständig Politik?

Herrmann: Nein, das glaube ich nicht. Wir sehen uns tatsächlich im Vorhof der Macht, wie Hans Dichand es vielfach gesagt hat. Ich glaube nicht, dass wir Politik machen. Ich halte es für völligen Schwachsinn, wenn Strache im Ibiza-Video sagt, dass die plumpe Übernahme der "Krone" die FPÖ bei der Wahl von 27 auf 34 Prozent pusht. Das ist ein weiterer Beweis der Schwachköpfigkeit des Herrn Strache. Er hält die Österreicher und mithin die "Krone"-Leser für so blöd, dass eine Partei mit Jubelberichterstattung über die FPÖ plötzlich sieben Prozentpunkte mehr erreichen könnte. Sicher nicht.

STANDARD: Warum gibt es dann immer wieder Politiker, die so stark auf die "Kronen Zeitung" setzen? Heute Sebastian Kurz, Michael Ludwig, Hans Peter Doskozil, davor Werner Faymann, Heinz-Christian Strache, Jörg Haider. Die "Krone" geht ja auch auf diese Hoffnungen und Erwartungen ein. Wie war diese legendäre "Krone"-Schlagzeile? "Tiere würden Faymann wählen"? Sie waren da noch nicht Chefredakteur – aber: Die "Krone" macht doch Politik.

Herrmann: Politologe Peter Filzmaier hat zu unserem 60-Jahr-Jubiläum über die Headline geschrieben: Der größte Unsinn, den er je in der "Krone" gelesen hat. Es gibt viel großen Unsinn – in jeder Zeitung.

STANDARD: Aber das ist doch der Versuch, Politik zu machen, oder?

Herrmann: Das ist wohl die schiere Größe der "Kronen Zeitung". Das macht uns stark am Inseratenmarkt, auch auf dem politischen Inseratenmarkt, falls Sie das noch fragen.

STANDARD: Wäre eine meiner nächsten Fragen gewesen.

Herrmann: Es ist die schiere Größe, die uns interessant macht. Und natürlich: Wenn Botschaften über die "Kronen Zeitung" verbreitet werden, dann kommen sie eben bei zumindest jedem dritten Österreicher schnell an – und eher mehr.

STANDARD: Sie bleiben dabei: Die "Krone" macht nicht Politik?

Herrmann: Nein, Politik machen wir nicht. Wir begleiten die Politik. Wir zeigen manchmal Sympathie für Ideen. Wir zeigen Antipathie für anderen Idee. Wenn Sie anspielen auf den uns so oft nachgesagten Kampagnen-Journalismus ...

STANDARD: Wir werden die Kampagnen besprechen müssen.

Herrmann: ... bis hin zur angeblich schwindenden Kraft der "Kronen Zeitung" bei Kampagnen.

STANDARD: Bleiben wir erst einmal bei den Kampagnen: Die Zeitung ist gegen die EU, gegen – vor allem grenznahe – Atomkraftwerke, gegen Abfangjäger, gegen die Wehrpflicht, was auch immer: Da macht die "Krone" doch Politik.

Herrmann: Wenn wir zur Überzeugung kommen, zum Beispiel: Das geplante Wasserkraftwerk in Hainburg ist ein großer Schaden für Österreich, dann gibt es dazu eine Kampagne. Wenn uns viele junge Leser drängen, etwas gegen Plastik und Plastikmüll zu tun, machen wir aus Überzeugung eine Kampagne. Wenn Plastiksackerln daraufhin verboten werden, ist das ein schöner erster Schritt, der zeigt, dass wir schon noch viel Kraft haben. Das ist zum Beispiel eine Positivkampagne, die wir fortsetzen werden.

STANDARD: Und wenn Sie spüren, dass Sebastian Kurz gut ankommt in der Bevölkerung, dann setzen Sie sich drauf und schieben noch ein bisschen nach. Auch eine kampagnenhafte Unterstützung in den vergangenen Jahren.

Herrmann: Würde ich nicht so sehen.

STANDARD: Meine Lieblings-Dachzeile auf Seite 1 der "Krone" dazu war, aus dem Gedächtnis: Berlin liegt Kurz zu Füßen.

Herrmann: Das war durchaus auch so. Deutsche Medien überschlagen sich, wenn es um Sebastian Kurz geht, weit mehr als wir. Er hat schon Strahlkraft auf Medien, und dieser Strahlkraft verschließen wir uns nicht.

STANDARD: Als der mit Sebastian Kurz vertraute Immobilienmilliardär René Benko Ende 2018 mittelbar bei der "Krone" eingestiegen ist, erkaltete diese Sympathie fürs Erste recht rasch. War das nicht ein Dilemma für die "Krone"? Kann sie einem Politiker so ruckartig die Liebe entziehen, der so viel Rückhalt in der Bevölkerung hat – das war einige Zeit vor Ibiza-Gate und Regierungskrise?

Herrmann: Wenn Sebastian Kurz schwere Fehler macht, dann ja.

STANDARD: Und das würde sich nicht auf Auflage und Reichweite der "Krone" auswirken?

Herrmann: Wenn er schwere Fehler macht, dann würden wir das darstellen. Und dann wären wir sicher auch nicht die Einzigen, die das darstellen.

STANDARD: Kann die "Krone" ernsthaft gegen den Mainstream in der Bevölkerung anschreiben?

Herrmann: Das kann sie. Gegen das Kraftwerk in Hainburg zu sein, war in den 1980ern weit davon entfernt, Mainstream zu sein. Das war damals den "Krone"-Lesern vermutlich noch ferner als der Gesamtbevölkerung. Umweltschutz und grüne Ideen waren damals exotisch und sicher nicht mehrheitsfähig.

STANDARD: Bei einigen der "Krone"-Lieblinge deckt sich diese Sympathie auch mit den Werbeausgaben dieser Politiker und ihres Einflussbereichs.

Herrmann: Wir haben so viele Inserate, weil wir so viele Menschen erreichen. Es gibt oft auch keine Liebe trotz großer Inseratenbudgets. Wir wurden in den vergangenen Monaten oft gefragt, warum wir über Wiens Bürgermeister Michael Ludwig fallweise so kritisch berichten ...

STANDARD: Die "Krone" hat Ludwig die Liebe recht abrupt entzogen, als die stadteigenen Wiener Linien "Österreich/Oe24" mehr Zeitungsentnahmeboxen in den Stationen zugesagt haben.

Herrmann: Grundsätzlich: Die Inseratenbudgets stehen in keinem Zusammenhang mit der Berichterstattung. Keineswegs kann man's erkaufen.

STANDARD: Journalisten und Medienwissenschafter beschäftigt gerade ein Thema: Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, Schätzung: 30 Prozent, sucht beim Medienkonsum Bestätigung des eigenen Weltbilds. Vielleicht ist diesen Menschen die Realität nicht ganz egal, aber wichtiger ist ihnen die Bestätigung der eigenen Sicht. Das Phänomen gibt es womöglich schon sehr lange, und vielleicht trifft das auch zu auf die rund 30 Prozent "Krone"-Leser. Hat die "Krone" – frei nach dem langjährigen ORF-Chef Gerd Bacher – ein besonders gutes Gespür, eine besonders gute Nase für solche "Massenausdünstungen"?

Herrmann: Wir sind wirklich bei den Menschen – wo die Politik oft nur so tut, als wäre sie es. Wir sind in allen neun Bundesländern. Es zeichnet die "Krone"-Journalisten aus, dass sie die Ohren, Augen, Nasen aufsperren und wahrnehmen, was gedacht wird im Land. Aber die "Krone" bildet nicht alleine das ab. Sie zeigt viel mehr. Würden wir nur abbilden, was Mehrheitsmeinung ist, wären wir nicht so erfolgreich.

STANDARD: Was macht die "Krone" also aus, warum ist sie in Zeiten von Social Media, Onlinemedien, Gratiszeitungen noch immer weitaus größte Tageszeitung in Österreich – noch immer mit international selten hohen Reichweiten?

Herrmann: Die "Krone" hat Kommentare von Autoren sehr unterschiedlicher Weltanschauung. Wir haben einen ordentlichen Kulturteil, einen ordentlichen Wirtschaftsteil, wie ihn andere Boulevardzeitungen nicht haben. Und wir haben unsere Ohren offen im ganzen Land. Und vor allem: Wir sind unabhängig!

STANDARD: Vielleicht auch, weil sich die "Krone" bemüht, ihre Leserinnen und Leser nicht gänzlich depressiv zurückzulassen. Nach der schon uralten "Krone"-Sektion: "Die gute Nachricht ist die bessere." Oder ist man die "Krone" einfach so gewöhnt?

Herrmann: Wir sind eine Volkszeitung, eine Familienzeitung, wie es Hans Dichand einmal formuliert hat. Wir sind so stark, weil wir nicht nur abbilden, was der viel zitierte kleine Mann denkt, sondern weil wir so viel mehr haben.

STANDARD: Muss man eine Massenzeitung so machen wie die "Krone", damit sie eine Massenzeitung ist? Ressentiments schüren gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, vielleicht die Spaltung der Gesellschaft vertiefen, Persönlichkeitsrechte hintanstellen wie die Identität von Tätern und Opfern, die Unschuldsvermutung ... Muss das sein?

Herrmann: Nein, das muss nicht sein.

STANDARD: Warum macht die "Krone" das dann?

Herrmann: Da passiert manchmal etwas. Wir werden damit viel behutsamer und vorsichtiger umgehen. Gerade durch die Umstände in den vergangenen Tagen ist ein Ruck durch die Redaktion gegangen. Schon bei unserem 60-Jahr-Jubiläum haben wir viel zurückgeschaut in unsere Geschichte und in uns hinein. Wir beschäftigen uns intensiv mit uns und mit unserer künftigen Rolle.

STANDARD: Die "Kleine Zeitung" zum Beispiel schafft es, in der Steiermark und Kärnten Marktführer zu sein und doch vieles nicht zu tun, was die "Krone" tut.

Herrmann: Wir werden sicher noch behutsamer und vorsichtiger vorgehen, und noch mehr abwägen. Das ist uns auch durch unsere Bestandsaufnahme über die ersten 60 Jahre bewusst geworden. Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten nicht genug mit uns selbst beschäftigt. Wir waren immer erfolgreich – und dieser große Tanker ist immer auf seinem Kurs weitergefahren. Jetzt muss man sicher Kurskorrekturen vornehmen, bedachter und bewusster und vielleicht auch noch anständiger sein.

STANDARD: Das heißt: Die "Krone" war bisher unanständig?

Herrmann: Nein. Natürlich nicht.

STANDARD: Wird die "Krone" zum Presserat zurückkehren? Christoph Dichand schrieb einst in seiner Dissertation über den "Persönlichkeitsschutz im Mediengesetz": "Als Richtlinien für die journalistische Sorgfaltspflicht können auch die Entscheidungen des Presserates dienen." Wie stehen die Chancen, dass auch die "Krone" zum Presserat kommt, wenn sie jetzt noch anständiger wird?

Herrmann: Ist sicher ein Thema. Das kommt natürlich auch auf die Zusammensetzung des Presserats an.

STANDARD: Dort gibt es inzwischen gar einen Vertreter von "Österreich".

Herrmann: Wir haben die Zusammensetzung des Presserats bisher als unobjektiv gesehen – aber der Presserat ist sicher gerade auch in diesen Tagen ein Thema.

STANDARD: Als Chefredakteur der "Kronen Zeitung" lesen Sie die Kolumnen von Michael Jeannée vermutlich täglich um die Mittagszeit. Fragen Sie sich da nicht: Muss man einen Kolumnisten eine ORF-Korrespondentin publizistisch ansabbern lassen? Muss man Anspielungen auf NS-Parolen wie einst den "Endspielsieg" ins Blatt lassen – das war vor Ihrer Chefredaktion und wurde nach der Abendausgabe auch entfernt?

Herrmann: Michael Jeannée ist ein bei vielen Lesern sehr beliebter Kolumnist. Er repräsentiert durchaus nicht immer die Meinung der Redaktion – er ist Teil der Vielfalt der Meinungen der "Krone"-Redaktion, wie sie im Impressum als Blattlinie steht. Ja, wir diskutieren über Inhalte, und er geht auch noch einmal in sich und dreht noch eine Runde über seiner Kolumne. Und ja, ich teile nicht immer seine Einschätzungen. Aber er ist ein wichtiger Bestandteil der "Krone".

STANDARD: Mir fiel etwas auf – neben der auch typografischen Betonung des Wortes "Unabhängig" im "Krone"-Logo, und nun auch auf Krone.at: Herausgeber Christoph Dichand schreibt seit Ibiza-Gate so viel wie noch nie – unter dem Pseudonym "Aurelius", neben "Cato" ein Deckname schon seines Vaters Hans Dichand.

Herrmann: Der Ruck in der Redaktion geht von oben nach unten und von unten nach oben. Wobei: Wir haben gerade erst mit ihm diskutiert über die Kommentare unter den Pseudonymen "Cato" und "Aurelius". Christoph Dichand hat uns aufgeklärt, dass auch "Cato" nicht immer Hans Dichand war. Es könnte also durchaus sein, dass unter "Aurelius" mehrere Autoren schreiben.

STANDARD: Aus der Familie Dichand?

Herrmann: Aus der Familie arbeitet nur einer im Haus.

STANDARD: Montag geht es um den Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz als Bundeskanzler. Die "Krone" appelliert seit Tagen, Kurz arbeiten zu lassen. Vertritt das Zentralorgan der Massenausdünstungen da den sogenannten Volkswillen?

Herrmann: Sicher hören wir das. Wir betreiben in der Regel keine Meinungsforschung, um zu erfahren, was die Themen sind, die gerade gut ankommen. Es kommt immer noch aus den Bäuchen der "Krone"-Mannschaft, von Christoph Dichand abwärts. Und uns ist sehr klar, dass sich eine Mehrheit der Österreicher keine womöglich chaotischen Zustände in den nächsten Monaten wünscht.

STANDARD: Wer macht eigentlich die Aufmacher, also die Schlagzeilen der "Krone"? Wer schreibt sie, wer entscheidet sie? Das sind häufig ja keine Nachrichten, sondern Appelle.

Herrmann: Die Aufmacher entstehen in der Redaktion, als Ausdruck einer unserer vielen Konferenzen. Die gab es nicht immer in den 60 Jahren der "Krone" – aber noch Hans Dichand hat damit begonnen. Die letzte Verantwortung für den Aufmacher haben heute Christoph Dichand und ich.

STANDARD: Die "Kronen Zeitung" sieht heute dramatisch anders aus als vor wenigen Jahren – nach dem vermutlich längsten Relaunch der Welt, um die Stammleserinnen und -leser nicht zu verstören. Haben sich Leserinnen und Leser darüber beschwert?

Herrmann: Der Relaunch hat – wie wir jetzt wissen: im Ibiza-Jahr 2017 – im Wesentlichen ein Dreivierteljahr gedauert und ist noch nicht zu Ende.

STANDARD: Gab es darauf relevante Reaktionen?

Herrmann: Nein.

STANDARD: Dann ist der grafische Relaunch wohl gelungen. Sie haben mir vom Reformprojekt "Krone 2020" erzählt, das ist aus heutiger Sicht praktisch übermorgen. Wie ist diese "Krone" dann 2020? In drei Sätzen?

Herrmann: Moderner, nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich. Da hat sich schon in den vergangenen Jahren einiges getan. Schwerpunktthemen, modernerer Journalismus. Noch behutsamerer Journalismus ist sicher auch ein ganz wichtiger Punkt. Es wird dennoch immer die "Kronen Zeitung" bleiben, die für diesen Riesenerfolg gesorgt hat und noch immer sorgt. (Harald Fidler, 26.5.2019)