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Manon Aubrys Umfragewerte stagnieren.

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Alles geht auf Ex-Präsident Hollande zurück.

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33 Wahllisten bei den Europawahlen – das ist in Frankreich Rekord. Der Spaltpilz wuchert vor allem bei der Linken, die klar hinter den drei führenden Listen liegt. Das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und die Macron-Liste Renaissance liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit je 24 Prozent der Umfragestimmen, gefolgt von den Republikanern von François-Xavier Bellamy mit etwa 14 Prozent.

Abgeschlagen ist La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon mit seiner talentierten Listenführerin Manon Aubry: Das "Unbeugsame Frankreich" stagniert unter zehn Prozent. Die Sozialisten und ihr Listenführer Raphaël Glucksmann kämpfen mit der Fünfprozenthürde. Benoît Hamon von "Génération.s", die Kommunisten von Ian Brossat und die Trotzkisten liegen klar darunter. Noch schlechter sieht es für die drei Listen der Gelbwesten aus.

Gute Figur der Grünen

Klimabedingt im Vormarsch wären eigentlich die Grünen von Yannik Jadot, der im Wahlkampf eine gute Figur machte. Auch ihnen werden aber nur etwa 7 Prozent gutgeschrieben, da eine ganze Reihe weiterer Ökolisten – etwa die der früheren Umweltministerin Delphine Batho – antritt. Der ehemalige Entwicklungshilfeminister und WWF-Direktor Pascal Canfin hat sich zudem von Präsident Emmanuel Macron abwerben lassen.

An Einigungsversuchen hat es nicht gefehlt. Hamon regte im Februar eine "Bürgerabstimmung" an, um eine Einheitsliste der Linken zu schaffen. Mélenchon schlug im April eine "Volksföderation" vor und dazu gleich auch den Anführer – natürlich sich selbst. Glucksmann wollte die proeuropäischen Linken seinerseits auf seiner Plattform "Place publique" vereinen.

All diese Initiativen scheiterten schon im Ansatz. Der tiefere Grund ist die Fixierung der französischen Politik auf die Präsidentschaftswahlen. Bei den "Vorwahlen" auf kommunaler, regionaler oder europäischer Ebene zählt eigentlich bloß die Frage, wer die Formation anführt: Sie oder er positionieren sich damit für die nächste "présidentielle" im Jahr 2022. Die Platzhirsche Mélenchon, Jadot, Glucksmann und Hamon sind deshalb unfähig, sich zusammenzuraufen; wie die Zeitung "Libération" schreibt, liefern sie sich lieber "ein Rennen in den Abgrund", als vereint einen durchaus möglichen Wahlsieg zu erringen.

Wurzeln bei Hollande

Die – vor allem intern hitzigen – Debatten führen allerdings vor Augen, dass der Streit nicht nur personell, sondern auch sehr politisch ist. Er geht letztlich auf den sozialistischen Ex-Präsidenten François Hollande zurück, der in seiner Amtszeit von 2012 bis 2017 eine angebotsorientierte und unternehmensfreundliche Wirtschaftspolitik verfolgt hat. Der Ökonom Thomas Porcher, der Thomas Piketty ("Das Kapital im 21. Jahrhundert") nahesteht, hat sich deshalb im laufenden Wahlkampf von Glucksmann getrennt, als er erfuhr, dass dieser mit den Sozialisten zusammengehen wolle.

Glucksmann hat es selber mit vielen Sozialisten verscherzt. Er bezeichnete deren früheren Präsidenten François Mitterrand als "Komplizen des Völkermords in Ruanda" im Jahre 1995 und warf ihm diesbezüglich ein "radikalstes und abscheulichstes" Verhalten vor. Gegen dieses mutige Sakrileg liefen zahlreiche Ex-Minister wie Jack Lang, Michel Charasse oder Elisabeth Guigou Sturm. Um Glucksmann zu halten, mussten die Sozialisten eine Reihe anderer "Parteielefanten" (so der interne Jargon) wie Christiane Taubira, Martine Aubry oder Anne Hidalgo zu seiner Verteidigung aufbieten.

Abweichler nach rechts

All diese Dissonanzen und Differenzen werden aber in den Schatten gestellt durch eine spektakuläre Dissidenz. Der aus Lyon stammende Regionalpolitiker Andréa Kotarac kehrte den Unbeugsamen den Rücken, um in das Lager von Le Pens "Nationaler Sammlungsbewegung" zu wechseln. Mélenchon nannte ihn zuerst erbost eine "Stinkbombe"; dann versuchte er seinen "Verrat" zu bagatellisieren. Ein Einzelfall ist es aber mitnichten: Neuere Wählererhebungen zeigen, wie durchlässig die Grenze zwischen Lepenisten und Unbeugsamen geworden ist. Auch die Gelbwestenkrise illustrierte, dass der alte Links-rechts-Gegensatz in Frankreich zunehmend vom Bruch zwischen liberalen Proeuropäern und populistischen Globalisierungsgegnern überlagert wird. Und offensichtlich wird die Linke zwischen diesen Fronten stärker aufgerieben als die Rechte. (Stefan Brändle aus Paris, 26.5.2019)