Die glorreichen Fünf: Bei der Festwochen-Koproduktion spielen Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Martin Wuttke, Irina Sulaver und Kathrin Angerer (v. l.).


Reinhard Maximilian Werner

Sie spielen die Hauptrollen. Auch wenn nicht eindeutig geklärt ist, wofür sie stehen. Sieben Lipizzaner stehen auf der Bühne des Wiener Akademietheaters, sechs Schimmel und ein Brauner. Mal wackeln sie mit den Ohren, mal rudern sie mit ihren Schweifen. Einmal sabbert einer der Schimmel so ausgiebig, dass die Spieler einen Kübel unter seine Nüstern stellen müssen.

Was genau die sieben Pferdeattrappen (Bühne: Katrin Brack) erzählen sollen, das ist wie immer in den Stücken des René Pollesch eine Frage, über die es sich nachzudenken lohnt – um sie dann schnellstmöglich wieder zu vergessen. Das Stammgestüt der Lipizzaner liegt zwar in Slowenien, Österreich hat die Pferderasse aber längst eingemeindet. Geht es Pollesch also um eine Abrechnung mit Österreich? Wenn sich am Ende des hundertminütigen Abends plötzlich die Lipizzaner auf das slowenische Lipica und das spanische Ibiza reimen, dann sieht es fast danach aus. Die Western-Musik, die Bonanza-Outfits und die rauchenden Colts sprechen aber eine andere Sprache.

Rollen zerbröseln

Aber treten wir einen Schritt zurück: Pollesch flutet seit über zwei Jahrzehnten die großen deutschsprachigen Bühnen mit seinen Diskursstücken. Zusammen mit einem wechselnden Trupp gut eingespielter Schauspieler erarbeitet er seine Stücke erst während des Probenprozesses. Heraus kommen dabei meist wilde Ritte durch die Höhen philosophischer Werke und die Tiefen der Populärkultur. Die Handlung: Zerfällt einem zwischen den Fingern. Rollen: Sind nicht auszumachen.

Im Falle von Deponie Highfield, so der nicht weiter erklärte Titel dieser Koproduktion mit den Festwochen, sind das diesmal Schriften von Vinciane Despret, Donna Haraway, Jacques Lacan und Alain Badiou und Filme wie Spy oder Die glorreichen Sieben. Es geht um das Vergessen nach dem Verlassenwerden, um die Beobachtung von Orang-Utans und die Grundzüge von Repräsentation.

O-beiniger Wuttke

Und natürlich noch um viel mehr. Die Schauspieler: die Pollesch-Getreuen Martin Wuttke, o-beinig und mit Zigarette im Sattel, Birgit Minichmayr, bockig und mit Zehn-Zentimer-High-Heels, Caroline Peters, nachfragend und mit lockerem Colt, und die wunderbare Kleinmädchenspielerin Kathrin Angerer. Die Fünfte im Bunde: Pollesch-Novizin Irina Sulaver.

So weit das Gerüst des Abends. Wirklich viel ist damit aber nicht geklärt. Pollesch hält die Zügel diesmal um einiges lockerer, als man es von ihm gewohnt ist. Die Assoziationsstränge sind sehr grobmaschig gestrickt, der Rückgriff auf die Quellen kaum nachvollziehbar. Teilweise schaut der Abend aus, als wäre er in der dritten Probenwoche steckengeblieben. Aber das ist wohl Konzept, wie die Präsenz der Souffleuse auf der Bühne verdeutlicht.

Worum geht es?

Das Vergessen, von dem die Schauspieler immer wieder brabbeln, hat nämlich auch deren Textsicherheit erfasst. "Wenn du von etwas reden willst, verschwindet es", heißt es einmal, und das scheint das Grundprinzip des Abends zu sein.

Pollesch geht es offenbar um nichts weniger als die Frage, wie Repräsentation, und damit auch das Theater, funktioniert. Repräsentation bedeutet, etwas an den Platz des Anderen zu stellen. Der konkrete Politiker tritt an den Platz des Volksvertreters, der Schauspieler an jenen der Bühnenfigur.

War es in seiner letzten Wiener Inszenierung Carol Reed noch das Bühnenbild, das sich selbstständig machte, stellt Pollesch in Deponie Highfield die gesamte Repräsentationsmaschinerie Theater infrage. Anstatt ihre Wirkmächtigkeit aber verschmitzt und subversiv unter Beweis zu stellen, verheddert er sich im Diskursnetzwerk. Die Qualitäten des All-Star-Ensembles gehen dabei leider auch verschütt. Oder wie es Kathrin Angerer formuliert: "Worum ging es noch mal?" Ja, wenn man das wüsste. (Stephan Hilpold, 27.5.2019)