Brüssel – Nach der Parlamentswahl vom Sonntag steht Belgien einmal mehr eine schwierige Regierungsbildung bevor. Die flämischen Nationalisten (N-VA) wurden nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen trotz deutlicher Verluste stärkste Kraft, der rechtsextreme Vlaams Belang konnte jedoch kräftig zulegen. Die Zukunft des liberalen Premierministers Charles Michel ist ungewiss.

Obwohl die N-VA mehr Stimmen als jede andere Partei holte, sprach deren Vorsitzender Bart De Wever am Abend von einer Niederlage. "Wir haben die Wahlen verloren, ich gratuliere dem Vlaams Belang", sagte er der Tageszeitung "L'Echo" zufolge. Nach Auszählung der Stimmen aus rund 6.500 der 6.700 Wahlkreise kam seine Partei zwar auf knapp 16,5 Prozent der Stimmen. Vor fünf Jahren waren es aber noch gut 20 Prozent gewesen. Die N-VA geriet zuletzt unter Druck durch den Vlaams Belang, der dem Zwischenstand zufolge auf etwa zwölf Prozent kam – das wäre ein Plus von etwa acht Prozentpunkten.

Unabhängigkeit Flanderns

Die N-VA will langfristig eigentlich die Unabhängigkeit Flanderns. Im Wahlkampf hatte die Partei aber nicht für einen Separatismus getrommelt, sondern für einen "Konföderalismus", bei dem Flandern und Wallonien Entscheidungen selbst treffen, im beiderseitigen Interesse bei manchen Fragen jedoch auch gemeinsam handeln können.

Bis Ende 2018 war die N-VA sogar noch Teil der Mitte-rechts-Koalition gewesen. Dann stellte sie sich jedoch gegen den UN-Migrationspakt und ließ die Koalition platzen. Seitdem besteht die Regierung aus den flämischen Christdemokraten (CD&V) sowie den flämischen und den wallonischen Liberalen (Open-VLD und MR). Michel hatte im Wahlkampf vor allem betont, mehr Jobs schaffen zu wollen. Zudem stellte er den Klimawandel in den Vordergrund.

Zugewinne für Grüne

Hinzugewinnen konnten am Sonntag in beiden Landesteilen vor allem die Grünen. Michels MR verlor dem Zwischenstand zufolge rund zwei Prozentpunkte, auch die konservativen Parteien im Süden und im Norden büßten Stimmen ein. Gleiches gilt für die Sozialdemokraten in Flandern und Wallonien. Dennoch werden die beiden liberalen Parteien sowie die sozialdemokratischen Parteien beider Landesteile wohl die größten Fraktionen im Parlament stellen.

Regierungsbildungen sind in dem Königreich traditionell kompliziert. Die Parteien haben mitunter jeweils eigene Ableger im flämischen Norden und im französischsprachigen Wallonien im Süden, in der Koalition sollen Parteien aus beiden Teilen des Landes sein. Nach der Wahl vom Sommer 2010 hatte es 541 Tage gedauert, bis Sozialisten, Christdemokraten und Liberale beider Sprachgruppen sich auf eine Koalition einigten, um ohne die N-VA eine Regierung bilden zu können – ein Weltrekord. 2014 stand die Koalition bereits nach gut vier Monaten. Am Sonntagabend schlossen einige Politiker sofort die Zusammenarbeit mit dem Vlaams Belang aus. (APA, 27.5.2019)