Die aktuelle Politlandlandschaft erlaubt einen tiefen Blick in die Seele der österreichischen Innenpolitik. Nicht nur Geheimdienste erstellen penibel Persönlichkeitsprofile auf Basis zahlreicher Quellen und Informationen. Manche Politiker liefern uns dergleichen ohne Umschweife frei Haus. Bis zur kommenden Nationalratswahl, voraussichtlich im September, werden viel mehr derlei behaviorale und kognitive Daten bewusst oder unbewusst dem Wähler angeboten. Dazu wird es keine neuen Videoaufnahmen benötigen.

Die Macht des Unbewussten wird sich, auch wenn die Ergebnisse der EU-Wahl Noch-Kanzler Sebastian Kurz mit seiner neuen Volkspartei frohlocken lassen und die SPÖ mit Pamela Rendi-Wagner stagniert, zeigen und die berühmte österreichische Seele wird sich am Wahlabend manifestieren. Die durch Parteien oft mit Hilfe von Beratern, Coaches und Agenturen teuer gepflegte Fassade wird bis zum Herbst zu bröckeln beginnen. Am Ende wird der jeweilige Mensch in all seiner Fehlbarkeit und mit all seinen Defiziten übrig bleiben und die Karten am Wählermarkt werden neu gemischt.

Der menschliche Makel

Warum aber setzen wir alle und vor allem unsere politischen Hoffnungsträger so viel Energie in unser Image und in unsere Reputation? Das Leben bietet doch so viel mehr Facetten abseits der Gesellschafts-, Medien- oder Politblase. Wenn wir am Ende – ein gewisses Maß an Gläubigkeit vorausgesetzt – vor unseren Schöpfer treten und das Licht am Ende des Tunnels sehen, dann zählen weder Reichtümer noch die vielleicht schon längst verwelkte Schönheit und schon gar nicht unser so sorgsam aufpoliertes Image. Dann wird die Lebensbilanz gezogen, wie im Hollywood-Klassiker "Citizen Kane". Hier ist es nicht mehr wichtig, ob man über Millionen am Konto verfügt oder tausende Instagram-Follower hat. Von Bedeutung ist alleine, was man an Sozialkapital und ideellen Werten hinterlassen hat. Wie ist man mit seinen Nächsten umgesprungen und welche zwischenmenschlich prägenden Momente hat man erleben dürfen. Nicht ohne Grund finden viele gegen Ende ihres Lebens zum Glauben in der Hoffnung, dass es mehr als die rein materielle Welt gibt.

Dan Cheng

Macht, die einem zu Kopf steigt

Leider leben viele Menschen nicht wirklich ein ausgefülltes Leben und wenn einem dann noch die Macht als Politiker oder Wirtschaftskapitän ins Hirn steigt, dann ist es eine fatale Kombination. Abseits von mehr oder weniger abstrakten Gedankenspielen sollten wir alle regelmäßig einen mentalen Touchdown wagen. Im Sog der Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft vergessen wir allzu oft was uns wirklich wichtig ist, weil wir die Zeit zur Muße und Selbsterkenntnis nicht mehr haben. Österreich befindet sich nun in einer wahren Wendezeit. Die große Frage, die sich für viele in unserem schönen Land stellt: Was wird sich nach der Wahl wirklich ändern? Die Sozialdemokraten hoffen einen Systemwandel herbei. Die Grünen wittern wieder Morgenluft. Liste Jetzt und die Neos versuchen aus der Neuwahlchance das Beste zu machen. Endlich hat sich das Gesicht der Türkis-Blauen Regierung gezeigt – so der Tenor bei vielen Gegnern der Bundesregierung unter Kurz. Dieser erklärt seine Entscheidung für Neuwahlen in bekannt bedeutungsvoller Pose und die FPÖ, repräsentiert durch den neuen Parteichef Norbert Hofer und Mastermind Herbert Kickl, kennt bereits ihre Strategie mit dem Ibiza-Dilemma umzugehen. Alle gegen einen und einer gegen alle scheint nun die Devise zu sein.

Der Sieg der ÖVP bei der EU-Wahl wurde von der Partei als ein Sieg Kurz' verkauft.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Was wird sich nach den Neuwahlen ändern?

Doch was wird sich unabhängig von den Vorwahlscharmützeln für die Menschen nach der Neuwahl ändern? Bekommen wir dann endlich die besten Ministerinnen und Minister aller Zeiten? Wird Österreich ein Land fernab von Postenschacher und Parteiprivilegien? Oder werden je nach den neuen Kräfteverhältnissen einfach andere Statisten auf den Ministerposten Platz nehmen? Das Tauziehen um Macht und Einfluss sorgt nicht wirklich für mehr Vertrauen in die Politik oder gar zu einer Senkung der Politikverdrossenheit. Keine Partei kann sich ihres Erfolges sicher sein. Weder für Kurz ist der erste Platz sicher noch kann sich Rendi-Wagner – gerade im Hinblick auf das für die einst mächtige Sozialdemokratie bescheidene Ergebnis bei der vergangenen EU-Wahl –freuen.

Waldheim-Effekt

Die FPÖ bereits abzuschreiben wäre fatal. Denn mit dem "Jetzt erst Recht"-Wahlkampf wird der asketische Triathlet Kickl und sein Gegenpart, der amikale Hofer, zum Endkampf um ihre Reputation und die Ehre der Partei aufmarschieren. Die Wahlkampfstärke der scheinbar angeschlagenen Freiheitlichen sollte man trotz des Ibiza-Waterloos nicht unterschätzen. Kickl und Hofer wollen sicher nicht so vom Tanz gehen und es könnte durchaus in den Monaten bis zum Urnengang zu einer Art Waldheim-Effekt kommen. Bei der Diskussion um die zukünftige Führung in Österreich ist abschließend frei nach dem Psychoanalytiker Erich Fromm festzuhalten, dass der springende Punkt ist, ob man Autorität hat oder eine Autorität ist. Dies sollte sich die oder der kommende Bundeskanzler(in) ins Stammbuch schreiben. (Daniel Witzeling, 27.5.2019)

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