Maria Rauch-Kallat

Foto: apa

Die Anzahl der Frauen in Top-Positionen ist immer noch verschwindend gering, die Gehaltsschere dafür immer noch viel zu groß. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie lastet – trotz steigender Emanzipation gutwilliger Väter – immer noch zu weitaus größeren Teilen auf den Schultern der Frauen. Daher ist Teilzeit auf viele Jahre überwiegend weiblich und die damit verbundene Altersarmut ebenso. Beruflicher Aufstieg wird zugunsten der Familienarbeit hintangestellt. Muss das so sein? Und woran liegt das wohl?

"Sei wie das Veilchen im Moose: bescheiden, sittsam und rein! Nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein!" Das war ein beliebter Stammbuch-Spruch in meiner Kindheit, der natürlich ausschließlich für Mädchen gedacht war und den offensichtlich Generationen von Frauen internalisiert haben und auch heute noch an ihre Töchter weitergeben. Er spiegelt ganz klar das jahrhundertelange Erziehungsmuster für Mädchen, das auch in den letzten Jahrzehnten intensiver Gleichstellungsbemühungen nur sehr langsam durchbrochen werden konnte.

Brav und genügsam

Die Ergebnisse erleben wir leider immer noch tagtäglich: Mädchen bekommen laut einer deutschen Studie aus dem Jahr 2018 im Durchschnitt um zehn Prozent weniger Taschengeld als Buben. Das macht sie offensichtlich schon in der Kindheit genügsamer, also brauchen wir uns auch nicht zu wundern, dass die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen nur extrem langsam reduziert werden.

Frauen sind einfach bescheidener. Sie geben sich schon beim Berufseinstieg mit weniger Gehalt zufrieden, sie erheben kaum Ansprüche auf Gehaltserhöhungen, sie bewerben sich selten aktiv um höhere Positionen: Sie wollen – wie in der Partnerschaft – "entdeckt" werden ganz nach dem Motto: "Irgendwer wird doch erkennen, wie tüchtig ich bin" .

Das muss nicht so sein, liebe gut ausgebildete, karriereorientierte Erfolgsfrauen! Nehmen Sie Ihre Erfolgsgeschichte in die eigenen Hände. Und fordern Sie, was Ihnen zusteht.

Halbe-halbe

Das beginnt im eigenen Umfeld. Entscheiden Sie sich in der Partnerschaft und/oder Familie für tatsächliche Partnerschaft. Väter haben gleich viele Verpflichtungen wie Mütter, und das kann man ihnen gar nicht oft genug sagen. Halbe-halbe ist nicht 80:20! Und Zeit für den Nachwuchs bedeutet auch den Gewinn wertvoller Beziehungen zu den eigenen Kindern. Und achten Sie bei der Erziehung der eigenen Kinder auf Gleichbehandlung und allfällige überholte Erziehungsmuster aus der eigenen Kindheit, wenn es zum Beispiel um gut bezahlte technische Berufe für Ihre Töchter geht.

Investieren Sie in Ihr eigenes Zeitpotenzial, indem Sie weniger geliebte Haushaltsverpflichtungen an Dritte auslagern. Die Kosten dafür können Sie durch einen besser bezahlten Job wieder gut hereinbringen. Der Gewinn ist Ihre steigende Zufriedenheit mit der eigenen Work-Life-Balance.

Vorher informieren

In Ihrem Arbeitsumfeld achten Sie auf Information und Transparenz. Machen Sie sich vor Bewerbungen schlau über die Verdienstmöglichkeiten in der Branche, klären Sie die Möglichkeiten von Gehaltserhöhungen (automatisch durch Zeitablauf oder nur auf aktive Anfrage). Nehmen Sie sich Zeit für Weiterbildung und informieren Sie sich über Aufstiegsmöglichkeiten. Erkunden Sie berufliche Chancen und bewerben Sie sich aktiv um ausgeschriebene interessante Positionen. Bauen Sie sich ein tragfähiges Netzwerk im beruflichen und privaten Umfeld, das Ihnen einerseits zu wichtigen Informationen und Allianzen für den Berufsaufstieg verhilft und Sie andererseits in schwierigen Situationen auffangen kann.

Arbeiten Sie auch an sich selbst und an Ihren Selbstzweifeln. Entwickeln Sie Ihren eigenen Stil und präsentieren Sie sich professionell. Gönnen Sie sich Beratung und wenn notwendig auch Coaching. Entwickeln Sie Ihr Bewusstsein für sich selbst und Ihren Wert. Auch das kann frau lernen!

Lassen Sie Mobbing nicht zu: weder an sich selbst noch an anderen. Gehen Sie Konflikten nicht aus dem Weg. Sprechen Sie Probleme an und versuchen Sie, sie fair zu lösen. Notfalls machen Sie sich mit männlichen Kampftechniken vertraut und entwickeln Sie Gegenstrategien.

Klappern gehört dazu

Machen Sie Ihre Arbeit gut, aber sich selbst an Ihrem Arbeitsplatz nicht unentbehrlich, sonst wird Sie Ihr Chef wahrscheinlich nie gehen lassen. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel und lernen Sie, Lob anzunehmen und sich nicht selbst kleinzureden. Zeigen Sie, was Sie können, und seien Sie ruhig stolz darauf.

Sagen Sie bei einem beruflichen Angebot nicht gleich Nein. Denken Sie erst einmal darüber nach. Erwägen Sie Vor- und Nachteile. Trauen Sie sich! Sie sind wahrscheinlich besser, als Sie glauben.

Ja, und vergessen Sie nicht: Nur keine (falsche) Bescheidenheit! Männer wissen gar nicht, was das ist. (Maria Rauch-Kallat, 29.5.2019)