In der Leutasch versucht ein Hotelier die Abschiebung seines Lehrlinges zu verhindern.

Foto: Biohotel Leutascherhof

Leutasch – Christian Wandl fühlt sich ohnmächtig. Am Samstag wurde sein Restaurantfachmann-Lehrling Tengis, ein 18-jähriger Asylwerber, der aus Armenien stammt, von der Fremdenpolizei abgeholt. Er soll noch diesen Montag mit seiner Familie abgeschoben werden. Nach 30 Monaten Lehrzeit verliert Wandl mit Tengis einen seiner fähigsten Mitarbeiter. "Er wahnsinniges Talent, ich hatte selten einen so guten Lehrling. Ihm hätte nur noch die Abschlussprüfung gefehlt."

Auf seiner Facebook-Seite bittet das Hotel um Hilfe für den Lehrling.

Dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen, denn schon für Montagnachmittag hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Tengis' Abschiebung angesetzt. Das ist doppelt bitter, weil damit auch Wandls Notfallplan, seinen Lehrling als Fachkraft mit einer Rot-Weiß-Rot-Card zurück ins Land zu holen, unmöglich wird, wie er von der Wirtschaftskammer am Montag mitgeteilt bekam: "Ohne die Abschlussprüfung gilt die Lehre nicht als abgeschlossen, und er ist somit keine Fachkraft."

Hilfskräfte aus EU statt Fachkräfte

Wandl versteht das Vorgehen der Behörden nicht. Er betreibt mit seiner Frau das Biohotel Leutascherhof in Tirol. Als seine Eltern den Betrieb 1993 gründeten, beschäftigten sie zehn Mitarbeiter. Heute finden 25 Menschen Arbeit in Wandls Hotel. "Wir versuchen etwas aufzubauen und zu expandieren, aber die größte Schwierigkeit ist es, qualifiziertes Personal zu finden." Von derzeit sieben Servicemitarbeitern im Biohotel Leutascherhof sind nur zwei Fachkräfte. "Der Rest sind angelernte oder umgeschulte Leute, etwa Zimmermädchen aus Ungarn", erzählt Wandl von der Personalnot.

Vor einem Jahr versuchte der Hotelier auch Tengis' Bruder als Lehrling anzustellen. Doch die Gesetzeslage unter Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) machte das unmöglich. "Dabei wäre auch er ein sehr fleißiger junger Mann. Beide Brüder sind sehr tüchtig und hätten eine super Zukunft in Österreich", ist Wandl überzeugt. Er werde ihm derzeit wahrlich nicht leicht gemacht, seine Steuern zu bezahlen, ist der Unternehmer frustriert.

Kickls Gesetz als Schaden für Wirtschaft

Dass nun trotz Kickls Rauswurfs als Innenminister weiter die von ihm forcierten Gesetze gelten, hält Wandl für einen schweren Fehler: "Man sollte das umgehend aussetzen, um den Schaden, der damit angerichtet wird, nicht noch zu vergrößern." Im Innenministerium heißt es, dass die Gesetze nach wie vor gültig seien und weiterhin vollzogen werden. Eine Änderung müsse von politischer Seite veranlasst werden.

Der Tiroler Hotelier hat seit Samstag alles versucht, um die Abschiebung seines Lehrlings zu verhindern. Vom Bundespräsidenten bis zum Landeshauptmann hat er Politiker angeschrieben und um Hilfe gebeten. Vergebens. Am Sonntagabend fuhr er selbst nach Innsbruck zum Polizeianhaltezentrum, wo Tengis inhaftiert wurde. Dort warteten bereits mehrere Menschen vor dem Gebäude, die ebenfalls auf Nachricht plötzlich inhaftierter Schubhäftlinge hofften. Denn offenbar wurden am vergangenen Wochenende in Tirol zahlreiche Personen vom BFA abgeholt.

Anzeige für Hotelier

Wie viele es genau waren, ist bislang nicht zu erfahren. Die Landespolizei gibt dazu keine Auskunft. Das BFA wiederum verlangt eine schriftliche Anfrage. Erst dann werde der Regionaldirektor entscheiden, ob er dazu Auskunft an die Medien gibt. DER STANDARD wurde auch von Unterstützern eines jungen Afghanen in Tirol kontaktiert, dessen Beschwerde gegen seinen zweiten negativen Asylbescheid noch läuft, der aber ebenfalls verhaftet wurde und am Montag abgeschoben werden soll. Seine Freunde harrten seit Sonntag vor dem Anhaltezentrum in Innsbruck aus, um auf die Lage des jungen Mannes aufmerksam zu machen.

Hotelier Wandl hat für seinen Besuch vor dem Polizeianhaltezentrum übrigens eine Anzeige ausgefasst. Offenbar hielten ihn die Beamten für den Organisator dieser "nichtgenehmigten Versammlung". Die Episode stört ihn aber nicht, ihn ärgert vielmehr, wie mit ihm und seinen Mitarbeitern umgegangen wird: "Ich fühle mich so ohnmächtig." Er appelliert an die Wirtschaftskammer, endlich mehr Druck auf die Politik auszuüben, um die Abschiebungen von Fachkräften wie Tengis auszusetzen.

Hoteliers finden keine einheimischen Fachkräfte

Im Leutascherhof will man die Hoffnung auf ein gutes Ende für Tengis, der seit sechs Jahren in Österreich lebt, nicht aufgeben. "Wie kann man besser integriert sein als im Arbeitsprozess?", sagt Lehrherr Wandl. In Spitzenzeiten hatte er in seinem Haus zehn Lehrlinge, heute sind es nur mehr drei. Er suche seit Jahren Personal, doch die Branche sei für Einheimische wegen der Arbeitszeiten und Verdienstmöglichkeiten nicht interessant: "Dabei bezahlen wir ohnehin deutlich über Kollektiv."

Der grüne Landtagsabgeordnete Georg Kaltschmid, der selbst Hotelier ist, hat Verständnis für die Frustration Wandls. Bei ihm hätten sich in den vergangenen Monaten "zahlreiche Hoteliers und Gastronomen" in ähnlichen Problemlagen gemeldet und ihn um Hilfe gebeten. Aus menschlichen, wie auch wirtschaftlichen Gründen, glaubt Kaltschmid: "Es ist eine Win-win-Situation für Betriebe und Asylsuchende. Die Lehrlinge haben, wenn ihr Asylbescheid positiv ausfällt, dann schon einen Beruf erlernt und eine feste Anstellung. Die Betriebe können sich auf die Lehrlinge, die bereits mehrere Jahre in ihrem Betrieb gearbeitet haben, verlassen. Die Abschiebung durchbricht das." Das schade den Tiroler Betreiben und sei außerdem unmenschlich, so der grüne Integrationssprecher.

Kein Einzelfall, hunderte Betroffene

Der Fachgruppenobmann der Tiroler Wirtschaftskammer, Peter Trost, kennt den Fall Tengis und die Problematik: "Wir fordern schon lange ein Bleiberecht für Lehrlinge, doch die Politik hat unserem Wunsch bislang nicht entsprochen." Der konkrete Fall in Leutasch sei "enorm bedauerlich". Doch allein in Tirol gebe es aktuell rund 100 ähnlich gelagerte. Dabei wäre gerade der Tourismus die ideale Branche, um jungen Asylwerbern eine Chance zu geben, ist Trost überzeugt: "Wir bieten einen Arbeitsplatz, Ausbildung und Unterkunft." Zudem suche man landesweit dringend nach Fachkräften.

Österreichweit sind rund 700 Lehrlinge akut von Abschiebung bedroht. Ihre Asylanträge wurden in erster Instanz negativ entschieden. Obwohl sich dagegen seit Monaten Unternehmer und Wirtschaftsexperten starkmachen, hält die Regierung an der harten Politik fest. Der oberösterreichische Grünen-Landesrat Rudi Anschober kämpfte von Beginn an gegen diese Praxis und hat nach Kickls Entlassung als Innenminister einen neuerlichen Aufruf gestartet, die Abschiebungen auszusetzen. Bislang ohne Erfolg. Auch ein diesbezügliches Treffen mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verlief ergebnislos. (Steffen Arora, 27.5.2019)