Wien – Die FPÖ ist mit einem blauen Auge aus der sonntäglichen EU-Wahl hervorgegangen. Und das nur eine Woche nachdem das geheim aufgenommene Ibiza-Video veröffentlicht worden ist, auf dem Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache ganz offen darüber spricht, wie man der vermeintlichen russischen Oligarchennichte öffentliche Bauaufträge zuschanzen könne, wenn diese am Rechnungshof vorbei an die Partei spende, und wie man die Medienlandschaft im Orbán'schen Sinne umbauen wollen würde (Journalisten seien "die größten Huren").

So mancher politische Beobachter fragt sich nun, warum eine derart gravierende Geschichte, die immerhin zum Rücktritt des Vizekanzlers und des blauen Klubchefs Johann Gudenus geführt hatte, keinen stärkeren Einfluss auf das Wahlergebnis hatte. Strache bekam sogar so viele Vorzugsstimmen, dass er ein Mandat im EU-Parlament in Anspruch nehmen könnte.

Narrativ verändert

Es sei der FPÖ "erstaunlich schnell gelungen, das Narrativ zu verändern", analysiert der Linzer Kulturwissenschafter Walter Ötsch, der zu Populismus und politischer Kommunikation forscht und publiziert. "Die öffentliche Empörung darüber, dass jemand in flagranti dabei ertappt wurde, wie er sich offen zu Korruption bereiterklärt, ist rasch wieder abgeebbt", sagte Ötsch am Montag im Gespräch mit dem STANDARD. Die Opposition habe es nicht geschafft, die Deutungshoheit über das Geschehen zu bekommen.

Den Freiheitlichen sei es hingegen gelungen, den Fokus der Debatte zu verlagern. Zum einen passiere eine "Familiarisierung der Politik". Der designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer erzählte in der ersten Pressekonferenz nach dem Platzen der Koalition, dass er nun keine Zeit habe, den Führerschein mit seiner Tochter zu machen. Philippa Strache gibt Interviews mit dem Inhalt, wie sie und ihr Mann die familiäre Krise infolge von Ibiza-Gate meistern. "Die Botschaft der FPÖ ist: Wir sind eine große Familie", sagt Ötsch.

Die FPÖ inszeniert sich gern als Familie.
Foto: screenshot

Außenfeind und Verschwörung

Dazu komme die Fokussierung der Freiheitlichen auf die Hintergründe des Videos. Es geht also nicht mehr um das, was zu sehen ist, sondern primär um "den Feind von außen, ein Netzwerk, eine Verschwörung". Die FPÖ versuche sich in altbewährter Manier wieder in die Opferrolle zu begeben. Ötsch: "Das ist eine großartige Umdeutung." Und da die FPÖ in den vergangenen Jahren eine stabile Stammwählerschicht aufgebaut habe, komme man damit bei der Wählerin und beim Wähler durch. "Jene, die die Partei am Sonntag gewählt haben, sind die Kernschicht der FPÖ. Diese Leute sind durch nichts zu beeindrucken", so Ötsch.

Einer, den die passablen 17 Prozent bei der EU-Wahl nicht überrascht haben, ist Stefan Petzner. Er hat als langjähriger Sprecher des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider gelernt, wie populistische Politik funktioniert. Der heutige Politikberater findet, dass das "Krisenmanagement" der FPÖ in den Tagen nach dem Ibiza-Video "hervorragend funktioniert hat". Die Partei habe die Führungsfrage rasch geklärt, Flügelkämpfe sind nicht aufgekommen.

Blaue Doppelstrategie

Auch Petzner meint: "Sich in der Kommunikation auf die Hintermänner des Videos und die Verschwörung zu konzentrieren und eine Jetzt-erst-recht-Kampagne zu fahren, muss eindeutig als Erfolg betrachtet werden."

Der Slogan "Jetzt erst Recht" wurde im Wahlkampffinale massiv getrommelt.
DER STANDARD

Er geht davon aus, dass die FPÖ im nun folgenden Nationalratswahlkampf weiter die Doppelstrategie mit Norbert Hofer und Herbert Kickl fahren wird. "Hofer gibt den Staatsmann, den Gemäßigten. Er ist das Weichspülprogramm. Kickl ist für den harten Kern." Seine Prognose: Die Freiheitlichen legen es auf ein Duell Türkis gegen Blau an. "Von der SPÖ ist für die FPÖ nicht mehr viel zu holen. Da wurde schon alles abgegrast, mit Ausnahme von Wien." Für die FPÖ gehe es daher darum, Wähler von der ÖVP zurückzuholen.

Misstrauensantrag als Spagat

Die Unterstützung des Misstrauensantrags gegen den in der Bevölkerung beliebten Kanzler sei für die Blauen zweifelsohne ein "Spagat", meint Petzner. Aber: Im Grunde habe es keine Alternative gegeben. Der Druck der Basis sei zu groß gewesen. Petzner: "Das ist ein Risiko für alle Beteiligten. Aber jetzt gehen alle aufs Ganze."

Sowohl Petzner als auch Ötsch gehen angesichts der jüngsten Wortmeldungen Straches davon aus, dass dieser bereits an einem Comeback arbeite. Petzner: "Ich gehe davon aus, dass seine Facebook-Auftritte mit der Partei akkordiert sind." Sobald die Justiz strafrechtliche Ermittlungen einstelle, werde er das als "De-facto-Persilschein" verkaufen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Heinz-Christian Strache, wie er sich derzeit auf Facebook präsentiert: als Opfer einer Intrige, gegen die er kämpfen will.
Foto: reuters

Auch in der Nacht auf Montag wandte sich der Ex-Parteichef via Facebook wieder an seine Anhänger. Das Abschneiden der FPÖ bei der EU-Wahl sei "angesichts des niederträchtigen Dirty Campaignings ein mehr als respektables Ergebnis". "Danke für eure Stimme und das Vertrauen trotz der miesen kriminellen Intrige gegen mich und damit auch gegen die FPÖ!", schrieb Strache. Und wieder bediente er die Opferrolle: "Wir bleiben weiterhin an der Klärung dieses Kriminalfalles dran! Jeder Mittäter und die Auftraggeber werden hoffentlich auffliegen und ihre gerechte Strafe bekommen!", heißt es in dem Posting. (Günther Oswald, 28.5.2019)