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Jonathan Littell zwischen Schlachtfeld und Orgien-/Mysterienkeller.

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Ende Februar 2008 erschien mit der deutschen Fassung von Jonathan Littells Die Wohlgesinnten die deutsche Übersetzung eines knapp zwei Jahre zuvor im französischen Original erschienenen tausendseitigen Romanmonsters, das vor allem auch eines leistete:

Im Zeitalter von damals aufkommenden Serien-Streams und kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen handelte es sich bei dieser auf penibler Recherche der Fakten zum Holocaust beruhenden Reise in die allzumenschliche Seele eines fiktiven SS-Schlächters der Nazizeit wohl schon frühzeitig um einen der letzten "Literaturskandale", den uns das 21. Jahrhundert zu bieten haben wird.

Naziporno mit der feinen Klinge

Der ehemalige Kriegsberichterstatter, von dem mit Notizen aus Homs auch ein Zeugnis aus dem syrischen Bürgerkrieg vorliegt und dessen Dokumentarfilm Wrong Elements zuletzt von den Kindersoldaten im ugandischen Bürgerkrieg der 1980er-Jahre handelte, verschränkte darin die für ihn wesentlichen Themen der Menschheit. Die Wohlgesinnten geriet zu einem monumentalen Epos zwischen Eros und Thanatos – und jeder Menge pornografischem Kitsch möglicherweise ungewollt zynischer Herkunft.

Ähnliches im durchaus bescheideneren formalen und inhaltlichen Rahmen gelang zuvor 2004 nur dem deutschen Schriftsteller Thor Kunkel mit Endstufe. Allerdings wurde bei diesem von diversen deutschen Verlagen entsetzt abgelehnten Werk, in dem das in einschlägigen Special-Interest-Zirkeln gar nicht einmal so abwegige Thema Naziporno mit der feinen Klinge der Satire untergraben wurde, der Humor vollständig übersehen. Thor Kunkel ist heute übrigens informeller Berater der AfD. So viel dazu.

Jean Genet und Marquis de Sade

Jonathan Littell veröffentlicht nun mit "Eine alte Geschichte. Neue Version" eine auf mehr als die doppelte Länge angeschwollene Versuchsanordnung, die in deutscher Übersetzung urspünglich 2016 erschienen ist. Der gebürtige US-Amerikaner Littell transkribierte unter anderem ja auch Jean Genet oder den Marquis de Sade ins Englische, kann sich an deren Themenvorgaben Lust und Gewalt, Libertinage, "Liebe" und Tod profund vorgebildet orientieren.

Er schickt durch die diversen Tableaus eines Labyrinths verschiedener Räume und Schauplätze einen Erzähler, eine Erzählerin, einen Hermaphroditen, der/die/das ständig sein/ihr Geschlecht und seine sexuelle Ausrichtung wechselt. Vagina, Penis, Brüste, passiv, aggressiv, dominant, Opferrolle. Zwischen Schwulensauna, einem hübschen Garten, einem Orgien-/Msysterienkeller und natürlich dem obligaten Schlachtfeld, auf dem die dazugehörige Schlachtbank steht, steht in Eine alte Geschichte immer nur eine Tür.

Geil macht das nicht wirklich

Eine lineare Handlung sucht man in dieser Arbeit von Jonathan Littell vergeblich, die einzelnen Stationen werden allerdings präzise beschrieben. Wenn es ran ans Gerät geht, geht es richtig ran. Das ist nicht immer angenehm zu lesen – und, bitte keine falschen Hoffnungen: – geil macht das auch nicht wirklich.

Obendrein bricht das Konstrukt der Identität vollständig zusammen. Auch die Opfer- und Täterrolle lassen sich nicht immer eindeutig trennen. Das macht die Lektüre letztlich anstrengend. Was bleibt ist zwischendurch die Reinigung in einem Swimming Pool. Schmutzig geht es rein, sauber kommt man raus. Nächste Tür.

The Doors sangen einst: "Break on through to the other side." Man muss aber nicht alles wissen. (Christian Schachinger, 28. 5. 2019)