Jugend mit NS-Gedankengut: Weil die Protagonistin "Elsa" nicht vor die Kamera treten wollte, wurde ihre Geschichte in "Kleine Germanen" animiert.

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Eine Nacht im Kuhstall – das ist die harte Strafe für ein Mädchen, das von einem Großvater erzogen wird, der noch ganz den alten Geist der Abhärtung vertritt. Ein Mann, der aus dem Zweiten Weltkrieg die falschen Schlüsse gezogen hat. Ein schwarzer Pädagoge, der ein Kind in seiner Obhut hat, dem er Ideologien eintrichtert, wie sie die Nazis vertraten.

Inzwischen ist aus diesem Kind eine erwachsene Frau geworden. Von ihren Erfahrungen spricht sie nur unter Vorbehalt: In dem Film Kleine Germanen von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger ist Elsa die Kronzeugin. Der Name ist ein Pseudonym. "Wir sind zu diesem Kontakt gekommen über die Organisation Exit in Berlin, die Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene betreut", erzählt Mohammad Farokhmanesh bei einem Interview in Berlin. "Wir mussten sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, bis das Interview stattfinden konnte – es wurde telefonisch geführt. Wir durften sie nicht kennenlernen. Sie führt ein geheimes Leben. Die Quelle ist zu hundert Prozent glaubwürdig."

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Die Quelle, die sich Elsa nennt, führt in eine Welt, von der die Öffentlichkeit bisher nur wenig Notiz genommen hat: Wie wachsen die Kinder von Rechten oder gar von Rechtsradikalen auf? Sie werden indoktriniert, manchmal mit Gewalt, aber auch mit Attraktionen, etwa in Ferienlagern. Der Filmtitel Kleine Germanen ist ein wenig plakativ, aber im Wesentlichen läuft es darauf hinaus, dass Kinder zu einer völkischen Ideologie erzogen werden sollen.

Das Thema fand sich durch Eingrenzung, erinnert sich Farokhmanesh: "Ursprünglich war die Idee, einen Film über radikale Erziehung zu machen. Auch Phänomene wie der IS sollten vorkommen. Gleichzeitig haben wir einen Artikel entdeckt, dass in Niedersachsen ein vierjähriges Kind gestorben ist, weil die Eltern sich geweigert haben, ihm Insulin zu geben. Sie haben an germanische Medizin geglaubt. Wir stellten fest, dass es bei diesem Thema eine Recherchelücke gab."

Auch Sellner kommt vor

In Kleine Germanen erfährt man auf verschiedenen Wegen mehr über das Thema: durch Interviews, darunter mit einem Promipaar aus der Szene, mit Götz Kubitschek und Ellen Kositza, aber auch mit dem österreichischen Sprecher der Identitären. "Martin Sellner war zu der Zeit, als wir ihn interviewt haben, noch nicht so bekannt. Wir haben mit ihm 2016 gedreht. Schon damals war zu erkennen, dass diese Leute, die so harmlos tun vor der Kamera, wie Streichhölzer sind. Und der Typ in Neuseeland ist der Kanister." Neben Sellner schlägt sich der Umstand, dass es sich bei Kleine Germanen um eine deutsch-österreichische Koproduktion handelt, noch in einem weiteren Protagonisten nieder: einem Aussteiger aus der rechten Szene, der sich auch vor der Kamera zeigt.

Die dramaturgische Leerstelle, die Elsa durch ihre Beschränkung auf ein Telefoninterview ließ, füllten die beiden Filmemacher mit animierten Szenen – ein Mittel, das im neueren Dokumentarfilm sehr populär geworden ist und das auch hier einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Die Zeichentrickszenen wirken verniedlichend, wie ein Kompensationseffekt für das schwierige Thema.

Animation für mehr Emotion

Farokhmanesh sieht aber vor allem die Vorteile dieses Verfahrens: "Es gab mehrere Gründe, warum wir Animation gewählt haben: weil wir mit echten Personen nicht drehen konnten und mit Kindern sowieso nicht; und weil wir eine Welt aus kindlicher Sicht nachvollziehen wollten. Wenn wir Animation wählen, können wir Menschen auch besser emotional erreichen."

Kleine Germanen stößt mit nicht immer den allertauglichsten Mitteln eine wichtige Debatte an. Mohammad Farokhmanesh sieht sich als gebürtiger Iraner aufgrund seiner Erfahrungen mit einer totalitären Ideologie nun als Verfechter eines demokratischen Staats, der notfalls auch der Elternhoheit Grenzen ziehen sollte: "Ich bin kein Politiker, und ich will Leuten, die ein fertiges Produkt des Rechtsradikalismus sind, keine Bühne geben. Sie zu ignorieren ist aber auch nicht die richtige Methode. In ihren eigenen Räumen sind sie immer größer geworden. Man muss in die Schulen gehen, man muss Regelungen für eine offene Erziehung schaffen – genauso wie man gesetzlich festgelegt hat, dass man Kinder nicht schlagen darf." (Bert Rebhandl, 28.5.2019)