Es ist eine Zeit der harten Kontraste in der Politik. Am Wahlabend bot sich ein solcher Hell/Dunkel-Kontrast, der so perfekt inszeniert zu sein schien, dass er aus Sebastian Kurz’ Message-Control -Küche hätte stammen können: Hier der strahlende Gewinner im Scheinwerferlicht; seine Anhänger beklatschen ihn für das Kunststück, aus der EU-Wahl als Sieger hervorzugehen, obwohl seine Regierung gerade gegen die Wand gefahren ist, wofür er verantwortlich ist. Dort die Oppositionsführerin, im Dunkel der Nacht, das "ZiB 2"-Mikrofon umklammernd, von hinten beäugt von ihren Leuten. Trotz des Ibiza-Videos war es Pamela Rendi-Wagner nicht gelungen, bei der EU-Wahl von der Regierungskrise zu profitieren. Nun versuchte sie zu erklären, warum sie der Regierung das Misstrauen aussprechen will.

Der Nationalrat hat Montagnachmittag der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz das Misstrauen ausgesprochen und sie damit des Amtes enthoben.
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Politik lebt von Kontrasten. Die ÖVP sagt: Wir bieten Stabilität; die anderen ("Rot-Blau") stiften Chaos, agieren gegen den Willen des Bundespräsidenten. Die SPÖ sagt: Wir lassen uns die rücksichtslose "Ich-Politik" nicht gefallen; Kurz handelt abgehoben und ohne Abstimmung mit der Opposition. Und die FPÖ sagt: Kurz ist im Machtrausch; warum mussten wir die Regierung verlassen, da die für die Ibiza-Krise Verantwortlichen doch zurückgetreten sind?

Das sind die öffentlichen Botschaften an ihre Wähler. Was die großen Parteien nicht sagen: Eine Absetzung der Regierung Kurz hilft jeder von ihnen im Wahlkampf. Der ÖVP, weil sie sich ohne Rücksicht auf das Staatsamt nun voll dem Kampf widmen kann, ihre Wähler auf die Rückeroberung der Kanzlerschaft einzuschwören. Der SPÖ, weil sie ihren Wählern glaubhaft machen kann, den politischen Feind entmachtet zu haben. Der FPÖ, weil ihre Anhänger es Kurz übelnehmen, die blauen Minister aus dem Amt gejagt zu haben. All das eint die jeweilige Wählerschaft. Es wird sie mobilisieren, mit starken Kontrasten (Revanche, Machtrausch, Rachegelüste, Stabilität, Veränderung), die jeder verstehen kann.

Sieg des Parlamentarismus

Man kann die Absetzung der Regierung als Sieg des Parlamentarismus beurteilen – über eine Regierung, die das Parlament eher geduldet als ernst genommen hat. Aber man kann auch fragen: Ist dieses Votum langfristig klug? Sich als SPÖ – zumindest unter der aktuellen Parteiführung – den Weg zu versperren, nach der Wahl eine Koalition zu bilden? Sich als FPÖ eine Neuauflage von Türkis-Blau eher nicht offenzuhalten? Nach der Wahl wird es wieder Koalitionen brauchen. Rendi-Wagner und Hofer/Kickl zerstören diese Brücken zur ÖVP gerade.

Bei allem Verständnis für Parteitaktik: Eigentlich müsste es jetzt um etwas ganz anderes gehen. Das Ibiza-Video hat den Menschen gezeigt, wie rücksichtslos einzelne Politiker dazu bereit waren, die Interessen des Volkes zu verraten. Glaubhaft zu machen, dass man für dieses Interesse kämpft, müsste jetzt das Mindeste sein, um das Vertrauen der Menschen in die Politik wiederherzustellen. Es darf nicht passieren, dass sich Wähler denken, alle Politiker seien doch "gleichermaßen schlecht". Eine solche Vertrauenskrise wäre ein Schaden für unsere Demokratie. Es braucht konkrete Vorschläge, wie sich versteckte Parteienfinanzierung verhindern lässt. Es braucht ein Informationsfreiheitsgesetz, das politisches Handeln transparent macht. In einer solchen Krise wäre das das Minimum.

Alle denken an ihre Wahlchancen. Wer denkt eigentlich an Österreich? (Martin Kotynek, 27.5.2019)

Das Misstrauensvotum im Video
DER STANDARD