Ein freiheitlicher Parteichef, der in einem versteckt aufgenommenen Video über mutmaßlich illegale Parteispenden spricht. Eine Regierung, die daraufhin kollabiert. ÖVP und FPÖ, die daraufhin nach Monaten der Eintracht ("Message-Control") sich gegenseitig öffentlich zu zerfleischen beginnen. Hätte es eigentlich eine bessere Ausgangslage für die SPÖ, die größte Oppositionspartei, geben können?

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner wirkte in den vergangenen Tagen verunsichert. Die langfristig wichtigere Frage lautet für den Politologen Anton Pelinka aber: Was will die Sozialdemokratie?
Foto: APA

Vermutlich nicht. Doch wer mit Genossen, aktiven und ehemaligen Parteifunktionären und Sympathisanten über den Zustand der SPÖ spricht, bekommt rasch den Eindruck, als stecke die Partei selbst in einer Krise. Das hat nicht nur mit dem schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten bei der EU-Wahl zu tun.

Der ehemalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer und PR-Profi Joe Kalina fasst die Performance der Parteispitze so zusammen: Die Reaktionsgeschwindigkeit in den vergangenen Tagen sei zu langsam gewesen. Tagelang gab es in puncto Misstrauensantrag keine klaren Ansagen. Die Partei habe ihre Botschaften – was wollen wir? – nicht rüberbringen können.

Josef Kalina und Heidi Glück diskutierten im STANDARD-Studio über das Misstrauensvotum.
DER STANDARD

Und dann war da noch diese Szene aus dem ZiB 2-Interview von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Sonntagabend. Im Hintergrund waren die Mitglieder der Parteispitze versammelt, um Zusammenhalt zu symbolisieren. Nur waren die SP-Granden im Dunkeln kaum zu sehen. Sie standen zu weit weg, während die SPÖ-Chefin sich ans Mikrofon klammerte. "Bei solchen Bildern blutet einem das Herz", sagt Kalina. Fazit: "Das wirkt nicht eingespielt. Die Teams rund um Rendi-Wagner müssen sich neu aufstellen."

Doskozil nicht interessiert

Ein Teil der Frustration richtet sich gegen die Parteichefin und ihren Vertrauensmann, SPÖ-Geschäftsführer Thomas Drozda. Eine Ablöse der beiden betreibt niemand. Allein schon, weil die Zeit bis zur Nationalratswahl angeblich nicht ausreicht, um ein neues Führungsduo zu installieren, und kein Kandidat sich anbietet, sagt ein SPÖ-Insider. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil soll Parteikollegen gegenüber klargestellt haben, dass er nicht daran denke, jetzt die Partei zu übernehmen. Er hat im Jänner selber eine Landtagswahl zu schlagen.

Der in der SPÖ gut vernetzte Robert Misik sagt, dass "Rendi-Wagner seit Wochen verunsichert wirkt. Dadurch hat sie ihre Lockerheit, ihre Frische und ihre Strahlkraft verloren." Aber: Wenn es in den Umfragen einmal besser laufe und intern Geschlossenheit zurückkehre, könne das wieder werden. Aber wie wahrscheinlich ist das?

In puncto Geschlossenheit gilt Landeshauptmann Doskozil als Quertreiber. Er macht keine Anstalten, sich zurückzuhalten. Erst am Freitag erklärte er, dass die SPÖ "mit Blick auf Parteiinterna" keine andere Wahl habe, als dem Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz zuzustimmen. Die eigenen Funktionäre seien dafür. Das war eine Brüskierung Rendi-Wagners, die davor verkündet hatte, sich erst nach der EU-Wahl festzulegen.

Offensive auf Facebook

Und was spricht dafür, dass es in den Umfragen besser läuft und die SPÖ thematisch Fuß fasst? Die SPÖ versucht, präsenter zu sein. Ein altes Manko ist, dass die SPÖ auf Social Media schwach präsent ist. Sebastian Kurz hat mehr als 800.000 Follower auf Facebook, Rendi-Wagner weniger als 100.000. Die SPÖ hat in den vergangenen drei Monaten für Facebook-Werbung mehr Geld ausgegeben als die Konkurrenz, wenn man alle SP-Kanäle einrechnet. Besonders Rendi-Wagner wurde beworben.

Und sie scheint Boden gutzumachen. Die Netzexperten Ingrid Brodnig und Luca Hammer haben Likes, Kommentare und Shares auf Facebook für alle Parteichefs zwischen Anfang März und dem 26. Mai ausgewertet. Von Parteichefs entfallen 51 Prozent auf Strache, 31 Prozent auf Kurz und elf Prozent auf Rendi-Wagner. Für Letztere sei das ein Erfolg, sagt Brodnig, wenn man bedenkt, dass Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Werner Kogler von den Grünen auf nur je zwei Prozent kommen.

Die effektivste Werbung hilft wenig, wenn der Inhalt die Wähler nicht anspricht. Und hier hat die Sozialdemokratie europaweit ein Problem. Bei den EU-Wahlen zählte sie zu den großen Verlierern. In der SPÖ betont man, dass man auf die richtigen Themen setzen werde, um bei der Nationalratswahl zu punkten: leistbares Wohnen, sichere Arbeitsplätze.

Das große Bild

Nur, wie soll man Letzteres angesichts der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU garantieren? Der Politologe Anton Pelinka sagt, dass die SPÖ eine Neuausrichtung brauche: Sie müsse das Thema soziale Gerechtigkeit "entnationalisieren". Das hieße nicht nur, radikal für ein vereintes Europa einzutreten. Die SPÖ müsste zur Stimme der 1,1 Millionen Migranten in Österreich werden, die nicht wahlberechtigt sind. Gerade diese Gruppe, viele von ihnen sozial am unteren Ende der Gesellschaft, wären die klassische Klientel für eine moderne Sozialdemokratie, die für mehr Gerechtigkeit kämpft. Ob das SP-Stammwähler gut finden würden, ist eine andere Geschichte. (András Szigetvari, Günther Oswald, 28.5.2019)