Heinz-Christian Strache vor seinem Rücktritt am 18. Mai. Er scheiterte an der Macht der Bilder.

Foto: Heribert Corn, http://www.corn.at

Lukas Kaelin forscht zu Philosophie und Ethik in Linz. Im Gastkommentar hält er fest, dass die türkis-blaue Regierung letztlich an der Image-Control gescheitert ist.

Viel wurde in den vergangenen Tagen über den Inhalt des Videos, das den ehemaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und damit die Koalition zu Fall brachte, diskutiert – wenig jedoch über die Form. Aus medienphilosophischer Sicht ist bemerkenswert, dass eine kompromittierende Videoaufnahme schließlich die Koalition zu sprengen vermochte.

Nicht die Razzia im Geheimdienst, die Österreich im internationalen Nachrichtenaustausch isolierte, nicht rassistische und antisemitische Liederbücher und Gedichte, nicht die fast täglichen "Einzelfälle" haben Konsequenzen auf Regierungsebene nach sich gezogen, sondern ein Video, dass letztendlich nicht mehr gezeigt hat, als jedem aufmerksamen Beobachter blauer Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten ohnehin schon klar gewesen sein musste. Plötzlich hieß es: "Genug ist genug."

Authentizität und Wahrheit

Es ist aus mediengeschichtlicher Perspektive nicht selbstverständlich, dass ein Video die Wahrheit unmittelbar darstellt. Vor einigen Jahrzehnten wären die technischen Möglichkeiten, mit mehreren versteckten Kameras über Stunden ein Haus zu verwanzen, noch nicht möglich gewesen. In spätestens einigen Jahrzehnten, vermutlich schon deutlich früher, werden aber die Möglichkeiten der Bildmanipulation – Stichwort: Deep Fake – so ausgereift sein, dass wir bei solchen Videomitschnitten nicht auf die Authentizität der bewegten Bilder vertrauen können. Dass Bildern schon jetzt nicht ohne weiteres vertraut werden kann, zeigt die Sorgfalt, mit der die Journalisten von "Süddeutschen Zeitung" und "Spiegel" in wochenlanger Prüfung die Authentizität des Videos mit externen Gutachtern abklärten.

Für die Sprengkraft dieses Videos sprechen einige auf der Hand liegende Aspekte. Die Wahrheit des Videos konnte nicht bestritten werden. Strache und Johann Gudenus waren zweifelsfrei identifizierbar; abstreiten konnte man es nicht. Die gängigen blauen Strategien von Herunterspielen, zum Angriff auf "linkslinke" Medien überzugehen und sich als Opfer zu generieren, verfingen aufgrund der schieren Macht der Bilder nicht. Diese bekannten Strategien wurden zwar angewandt: Strache kündigte strafrechtliche und medienrechtliche Schritte an. Dieser Versuch, die Legitimität der Aufnahmen infrage zu stellen, stellte sich jedoch als eine hilflose Geste dar, der Macht der Bilder etwas entgegenzusetzen.

Gescheiterte Image-Control

Doch nicht der Inhalt des Videos ist für die Sprengkraft entscheidend, sondern die Form. Nicht zufällig wurde von den Medien bis hin zum Bundespräsidenten in bildlicher Sprache vom Video als "Sittengemälde" gesprochen. Ein Sittengemälde zeigt unmittelbar, ohne Argumente und Reflexion, schlagartig die moralische Verfassung des Dargestellten. Wenn bei "Willkommen Österreich" Christoph Grissemann die "modische Verkommenheit" problematischer als die "moralische Verkommenheit" findet, dann steckt darin wie in jedem Witz ein Korn Wahrheit. Die Sprengkraft des Videos lag maßgeblich im Kontrast zwischen den politisch inszenierten staatstragenden Bilder und den heimlich gemachten Aufnahmen, die die offiziellen Bilder als bloßer Schein zu entlarven scheinen.

Die Sprengkraft des Videos resultiert im Gegensatz dieser Bilder. Die nun gescheiterte Regierung war nicht nur ständig um Message-Control, sondern ebenso um Image-Control bemüht und überließ diesbezüglich nichts dem Zufall. Und je mehr eine glatte, inszenierte Oberfläche perfektioniert und die Macht über die Bilder bei den politischen Akteuren monopolisiert wird, desto größer ist die Fallhöhe zu den nun veröffentlichten Videomitschnitten, mit denen die Herrschaft über die Bilder den beiden politischen Akteuren entrissen wird. Auf die Publikation des Videos reagierten Strache und auch Sebastian Kurz mit Empörung; eine Empörung darüber, dass ihnen die Kontrolle über die eigenen Bilder entrissen wurde.

Macht der Bilder

Und so bleibt letztlich von diesem Video vor allem die Rohheit, die Unbedarftheit und das Proletenhafte in Erinnerung. Das Gefühl der Scham, das der Bundespräsident ausdrückte, und die beschwörungsartige Formel, dass Österreich nicht so sei, richtete sich gegen die verheerende Macht dieser Bilder. Nicht primär das Übertreten moralischer Grenzen löste dieses innenpolitische Erdbeben in Österreich aus, sondern die überwältigende Macht von Bildern, denen man sich nicht entziehen kann. (Lukas Kaelin, 29.5.2019)