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Mitte Mai trafen sich Kandidaten, die sich in Position für den nächsten Kommissionschef brachten: Der Tscheche Jan Zahradil, der Spanier Nico Cue, die Deutsche Ska Keller, Dänemarks Margrethe Vestager, der Niederländer Frans Timmermans und der Deutsche Manfred Weber.

Foto: AP/Francisco Seco

Brüssel – Das Europaparlament eröffnet das Ringen um den nächsten EU-Kommissionspräsidenten mit einer Kampfansage an die Staaten. Das EU-Parlament fordert, dass der nächste EU-Kommissionspräsident aus dem Kreis der Spitzenkandidaten für die EU-Wahl kommt. Wie EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani am Dienstag nach Beratungen mit den Fraktionschefs sagte, unterstützt eine Mehrheit der Parteien diese Forderung.

Gegen einen Spitzenkandidaten hatten mehrere EU-Staats- und Regierungschefs mobil gemacht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnt das Spitzenkandidatenmodell ab, ebenso die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite und Luxemburgs Premier Xavier Bettel.

Zur Europawahl waren sechs Spitzenkandidaten für das Amt des nächsten EU-Kommissionspräsidenten angetreten: Manfred Weber (EVP), Frans Timmermans (Sozialdemokraten), Jan Zahradil (Allianz der Konservativen und Reformer in Europa), Ska Keller (Grüne), Nico Cue (Partei der Europäischen Linken). Die Liberalen (Alde) gingen mit einem Team in die EU-Wahl, darunter die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

"Die Mehrheit der Fraktionen ist für einen Spitzenkandidaten", sagte Tajani. Im EU-Parlament äußerten die Liberalen Bedenken gegen das Spitzenkandidatenmodell, sagten der sozialdemokratische Fraktionschef Udo Bullmann.

Vestager sei Spitzenkandidatin

Die grüne Ko-Fraktionschefin Ska Keller betonte aber, Vestager sei sehr wohl Spitzenkandidatin. Es wäre höchst an der Zeit, dass eine Frau an die Spitze der EU-Kommission und anderer EU-Institutionen gelange, verlangte Keller. Das Spitzenkandidatenmodell wird von rechten Fraktionen EFDD und ENF abgelehnt. "Wir verlangen, dass Kompetenzen an den Nationalstaat zurückgehen", sagte Jonathan Bullock von der britischen Brexit-Partei (EFDD).

Tajani begründete die Forderung des EU-Parlaments unter anderem durch die gestiegene Wahlbeteiligung. Er werde diese Position beim EU-Gipfel am Abend vertreten. Es müsse eine "transparente, demokratische Debatte" über die nächste EU-Kommission geben, betonte Tajani.

Weber versus Timmermans

"Die EVP ist bereit für die notwendigen Kompromisse", sagte Weber. Für die Sozialdemokraten bekräftigte Fraktionschef Bullmanns dagegen den Anspruch, dass ihr Spitzenkandidat Timmermans Nachfolger von Amtsinhaber Jean-Claude Juncker werden müsse. Außerdem müssten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit jetzt zur Prioritäten erklärt werden. "Den Spitzenkandidatenprozess zu versenken wäre ein großer Fehler." Die EVP müsse ihre Identität klären, ob sie die Europäische Volkspartei eines Orbán, Kurz oder Robert Schuman sei, sagte Bullmann.

Auch die Fraktionsvorsitzende der Linken, Gabriele Zimmer, warnte den EU-Gipfel vor "Entscheidungen hinter verschlossenen Türen". Damit müsse jetzt Schluss sein. Die Ernennung des nächsten EU-Kommissionspräsidenten müsse transparent ablaufen.

Interimskanzler Löger statt Kurz in Brüssel

Österreich ist beim Gipfel durch den interimistisch bestellten Bundeskanzler und bisherigen Vizekanzler Hartwig Löger (ÖVP) vertreten. Der am Montag gestürzte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte sich stets für den EVP-Spitzenkandidaten Weber als nächsten EU-Kommissionspräsidenten stark gemacht.

Laut EU-Diplomaten wird der Gipfel noch keine Entscheidung treffen. Erste Entscheidungen seien für den nächsten regulären EU-Gipfel Mitte Juni vorgesehen, hieß es. Neben der Juncker-Nachfolge müssen bis Herbst auch die Posten des nächsten EU-Ratspräsidenten (derzeit Donald Tusk), des EZB-Chefs (derzeit Mario Draghi), des EU-Außenbeauftragten (derzeit Federica Mogherini) entschieden werden. Das EU-Parlament wählt im Juli außerdem einen neuen Parlamentspräsidenten (derzeit Antonio Tajani).

Die EVP wurde trotz herber Verluste bei der Europawahl wieder stärkste Kraft. Die beiden Volksparteien – EVP und Sozialdemokraten – kamen erstmals in der Geschichte des Parlaments nicht mehr auf eine Mehrheit. Bisher haben sie in Brüssel vieles in einer informellen Koalition unter sich ausgemacht. Nun brauchen sie neue Partner. Für eine Mehrheit sind 376 Stimmen nötig. EVP, Sozialdemokraten und Grüne kommen zusammen auf rund 395 Sitze. (APA, 28.5.2019)