In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

Wir haben schon zwei Kinder und bekommen demnächst ein drittes. Es ist ein absolutes Wunschkind. Fast alle reagieren darauf aber mit Unverständnis. Mehr als einmal ist es uns schon passiert, dass jemand sagte: "Oje, das war wohl ein Unfall?" Verneinen wir, ernten wir ungläubige Blicke. Das ärgert uns! Obwohl es uns eigentlich egal sein sollte, es ist ja unser Leben, unsere Familie.

Und, wann kommt das Zweite? Diese Frage hören Eltern oft. Nach dem dritten Kind fragt so schnell niemand.
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Beim zweiten Kind war das ganz anders: Sonnenklar, dass man noch ein zweites bekommt, wenn sonst alles passt! Wir haben uns nun angewöhnt, klar unsere Meinung zu dem Thema zu sagen, und sind überrascht, wie angegriffen sich manche deswegen fühlen. Was steckt da dahinter?

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Da haben Sie recht. Die offene Überraschung der anderen über Ihren neuerlichen Kinderwunsch sollte eigentlich kein Grund zum Ärgern sein. Schließlich brauchen Sie deren Bestätigung ja nicht. Doch wie lässt sich diese Überraschung erklären? Offenkundig handelt es sich dabei um ein Phänomen der heutigen Zeit in unserer westlichen Kultur. Denn früher waren bei uns und sind heute auch noch in vielen Ländern der Welt Großfamilien eine Selbstverständlichkeit.

Mir scheint das Problem darin zu bestehen, dass man bei uns als Eltern mit mehr als zwei Kindern am Rand des Asozialen entlangschrammt: Nicht nur der zeitliche Aufwand, sondern auch die Kosten für viele Kinder verlangen fast immer deutliche Einschränkungen in der Lebensführung. Statt des Zustellbetts im Hotelzimmer braucht man ein oder gar zwei Extrazimmer. Von den Preisen für Flugreisen ganz zu schweigen. Ein Verzicht auf Lebensqualität und Komfort zugunsten von Kindern ist für viele schlichtweg nicht nachvollziehbar. Schon gar nicht, wenn sie sich im Wettlauf um den allerneuesten Schnickschnack befinden.

Und dann verlangt die Erziehung von vielen Kindern oft ein höheres Maß an häuslicher Struktur, an Regeln und Mitarbeit aller. Da gilt man schnell als zu streng und ist nicht mehr zeitgemäß in der Erziehung. Oder man hat eine wilde Rasselbande, deren Verhalten von anderen nicht toleriert wird, die sich dann in Hotels und Restaurants nur für Erwachsene flüchten oder vielleicht auch flüchten müssen. (Hans-Otto Thomashoff, 2.6.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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Antwort von Katharina Weiner:

Gratulation! Viele Eltern möchten perfekt sein. Energie, Aufmerksamkeit und auch finanzielle Mittel konzentrieren sich auf das Kind. So kann es passieren, dass Kinder mit zu viel überhäuft werden und den Eltern schlichtweg die Luft ausgeht. Wobei Kinder weder perfekte Eltern haben wollen noch überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit brauchen. Die Vorstellung von einem zweiten Kind rückt somit in weite Ferne.

Jene, die sich für ein Geschwisterkind entscheiden, stellen fest, dass Harmonie zwischen den beiden und Familienidylle doch nicht ganz der ursprünglichen Vorstellung entsprechen. Die Konflikte in der Partnerschaft häufen sich, und schon kann es kompliziert werden. Ein drittes Kind also unvorstellbar – ob der vielen "Baustellen".

Meiner Beobachtung nach entstehen in Mehrkindfamilien bereichernde Phänomene. Geschwisterkinder lernen Facetten des Lebens miteinander kennen, die keine Kinderbetreuung der Welt bieten kann. Eltern erfahren, dass Unterschiedlichkeiten und zugleich tiefe Zuneigung möglich ist und sehen vieles entspannter als noch Jahre zuvor.

Mit dem dritten Kind erübrigen sich Sorgen, die beim ersten allgegenwärtig waren. Gelassenheit setzt ein, denn die zwei Vorgänger/innen haben bereits Vorarbeit geleistet. Demnach sind die Drittgeborenen auch oft die Entspannteren.

Trotz allem braucht es bis dahin gute Nerven, die ungeschönte Erkenntnis der Erwachsenen über die eigenen Bedürfnisse und den Mut, diese auszusprechen, auch den Kindern gegenüber. Denn wenn die drei sich mal einig sind, dann sind sie ein super Team, auch wenn es auf den ersten Blick wenig offensichtlich erscheinen mag. Als Geschwisterkind finde ich selbst drei Kinder großartig. Die Zeit in meinem Leben mit meinen beiden jüngeren Schwestern möchte ich keinesfalls missen! (Katharina Weiner, 2.6.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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