Actinotrocha, die Larve der marinen Hufeisenwürmer, ist einer der Protagonisten der interaktiven Installation "Noise Aquarium". Wie Plankton von der zunehmenden Lärmverschmutzung bedroht ist, wird dabei anschaulich gemacht.
Foto: Martina Fröschl

Was Plankton ist, weiß fast jeder so ungefähr. Aber wer hat schon einmal Plankton gesehen, wenn man von Sheldon J. Plankton aus der "Sponge Bob"-Serie absieht? Im Gegensatz zu diesem einäugigen Bewohner der Bikini Bottoms sind manche Exemplare seiner umfangreichen Verwandtschaft in der realen Welt von durchaus betörender Gestalt.

Zur großen Familie dieser frei im Wasser treibenden Miniorganismen gehören Viren, Bakterien und Algen ebenso wie Quallen oder Wimpertierchen. Alle zusammen bilden sie die Basis der marinen Nahrungskette und sind zudem für die Produktion mindestens der Hälfte des Sauerstoffs in der Atmosphäre verantwortlich.

Verschmutzung und Lärm

Aber wie so viele Lebewesen auf unserem Planeten sind auch sie durch menschliche Aktivitäten inzwischen in großer Gefahr. Zum einen durch die massive Verschmutzung der Meere, andererseits durch den steigenden Lärm, der beispielsweise von seismischen Druckluftkanonen zum Aufspüren von Öl- und Gasvorkommen auf dem Meeresboden verursacht wird.

Diese Lärmverschmutzung hat verheerende Auswirkungen nicht nur auf Wale und Delfine, die vor den Schallwellen fliehen, die Orientierung verlieren und oft qualvoll an Land verenden. Auch bei Plankton führt Lärm zu erhöhten Mortalitätsraten, wie 2018 eine Studie der kanadischen Dalhousie University belegte.

Um einen nachhaltigen Eindruck vom Leben und Sterben dieser in den Meeren treibenden Mikroorganismen zu vermitteln, haben Künstler und Wissenschafter das sogenannte "Noise Aquarium" geschaffen. Im Rahmen der am 29. Mai startenden Vienna Biennale for Change kann man im Angewandte Innovation Laboratory in dieses virtuelle Aquarium abtauchen und einige besonders beeindruckende Vertreter der Planktonfamilie beobachten.

Das Leben und Sterben im Meer ist Thema eines künstlerischen Forschungsprojekts.
Foto: Glenn Bristol

Virtueller Tauchgang

Lebewesen, die sonst mit freiem Auge nicht erkennbar sind, tummeln sich dort mittels Virtual Reality (VR) in Menschengröße. In diese faszinierende Unterwasserwelt taucht der Besucher auf einer Plattform stehend und mit einer VR-Brille ausgerüstet ein. Den Körper sollte er dabei möglichst in Balance halten. Verliert man jedoch das Gleichgewicht und gerät in Schieflage, wird die Geräuschkulisse lauter, und das Plankton sinkt – wie in der realen Welt bei Lärm – tot auf den Meeresgrund.

Es ist eine ziemlich gefinkelte Installation, mit der das Science Visualization Lab der Universität für angewandte Kunst Wien in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Victoria Vesna die prekäre Situation der oft übersehenen Winzlinge über die menschliche Wahrnehmungsschwelle katapultiert.

Die Plattform wird dabei zum Ökosystem, dessen Gleichgewicht vom Verhalten des darauf stehenden Menschen abhängt. Bringt er es zum Kippen, hat er die Folgen unmittelbar vor Augen. "Mit dem 'Noise Aquarium' ermöglichen wir ein sinnliches Erleben dessen, was sich permanent in den Meeren abspielt", sagt Alfred Vendl vom Science Visualization Lab.

Realistische Modelle

Um die dreidimensionalen Planktonmodelle möglichst realistisch zu gestalten, haben die Visualisierungsexperten eng mit Zoologen der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität Wien zusammengearbeitet. Die oft weniger als einen halben Millimeter kleinen Tierchen werden dort präpariert, zur exakten Darstellung ihrer räumlichen Strukturen setzt man Schichtaufnahmeverfahren ein.

"Aus diesen Schichtbildern konstruiere ich dann die 3D-Modelle", erklärt die Mediendesignerin Martina Fröschl, die sich auf die Visualisierung wissenschaftlicher Phänomene spezialisiert hat.

Besucher des "Noise Aquarium" erlebens Meeresbewohner in realitätsnahen 3D-Modellen.
Foto: Glenn Bristol

Aus den von den Forschern gelieferten Datensätzen eine realitätsnahe 3D-Animation zu zaubern ist eine ausgesprochen arbeitsintensive Angelegenheit. "Insbesondere die Echtzeitinteraktion ist sehr aufwendig." Aber auch ziemlich spannend, wie Fröschl betont, denn Meeresplankton habe sie vor diesem Projekt noch niemals visualisiert.

Leuchtende Kugel der Küsten

Für das "Noise Aquarium" hat das internationale Team einige besonders attraktiv oder skurril geformte Arten aus der riesigen Planktonfamilie ausgewählt. Zum Beispiel Noctiluca scintillans, das etwa einen halben Millimeter kleine Meeresleuchttierchen, das aufgrund seiner Biolumineszenzfähigkeit wie eine winzige leuchtende Kugel durch die Küstengewässer driftet.

Oder die pittoreske Actinotrocha-Larve mit ihrem schirmförmigen Oberkörper und einem Röcklein aus Tentakeln. Es sind bezaubernde Wesen einer verborgenen Welt, die Martina Fröschl für das "Noise Aquarium" zum Leben erweckt.

Ihr Favorit unter all diesen spektakulären Erscheinungen aus dem Mikrokosmos der Ozeane ist allerdings ein ganz unscheinbares Tierchen, das nicht einmal eine feste Körperform besitzt und durch die Ausbildung von Scheinfüßen laufend seine Gestalt ändert. "Zur Amöbe habe ich eine besonders innige Beziehung, weil sie das erste Tier war, das ich visualisiert habe", lacht die Science-Visualization-Lab-Mitarbeiterin.

Auch eine Amöbe ist im "Noise Aquarium" zu sehen.
Foto: Martina Fröschl

Einzeller als Riesen

Frei schwimmende Amöben bekommt man jenseits der virtuellen Realität praktisch nicht zu sehen. Martina Fröschls Computeranimation aber macht es möglich, diese winzigen Einzeller ins Riesenhafte vergrößert beim laufenden Wechsel ihrer Körperform quasi hautnah zu beobachten.

Wer in diese artifizielle Unterwasserwelt abtaucht, ihre anmutigen Mikrobewohner kennenlernt und deren Verletzlichkeit miterlebt, wird Plankton künftig wohl mit anderen Augen sehen. Und wenn sich daraus ein gestärktes Verantwortungsgefühl entwickelt, kann man nur auf viele weitere solcher Kunst-Wissenschafts-Kooperationen hoffen. (Doris Griesser, 29.5.2019)