Was ist eigentlich Masse? Als der Physiker Peter Higgs auf diese philosophisch anmutende Frage in den 1960ern eine physikalische Antwort fand, war das Interesse unter seinen Kollegen verhalten. Mittlerweile wurde Higgs dafür mit zahlreichen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet. Am Mittwoch wird er 90 Jahre alt. Als Namensgeber des Higgs-Teilchens genießt er eine Popularität wie kaum ein anderer Physiker – dabei ist es Higgs sogar ein wenig unangenehm, dass ein Boson nach ihm heißt. Doch wie kam es dazu?
1929 wurde Peter Higgs im britischen Elswick bei Newcastle upon Tyne geboren. Sein Vater war Toningenieur bei der BBC. Nach der Promotion in Physik am King's College London 1954 war Higgs am University College London und am Imperial College London tätig, bevor er 1960 eine Stelle an der Universität Edinburgh antrat. Dort schrieb er 1964 innerhalb weniger Wochen jene gerade einmal eineinhalbseitige Arbeit mit dem Titel "Broken Symmetries and the Masses of Gauge Bosons", die ihn später weltberühmt machen sollte.
Ablehnung der Nobel-Arbeit
Darin schlug Higgs einen Mechanismus vor, der den Elementarteilchen ihre Masse verleiht. Er reichte seine Arbeit bei der am europäischen Kernforschungszentrum Cern ansässigen Fachzeitschrift "Physics Letters" ein – doch das Paper wurde abgelehnt. Gerüchteweise attestierten die Physiker, denen sie dort in die Hände kam, der Arbeit "no relevance for physics".
Für Higgs war das ein Schock, doch er reichte seine Arbeit einige Wochen später bei der US-Fachzeitschrift "Physical Review Letters" ein, wo sie angenommen wurde. Diesmal ergänzte Higgs einen Absatz, worin er in Zusammenhang mit dem Mechanismus, der Elementarteilchen ihre Masse verleiht, ein Teilchen postulierte. Obwohl er selbst es nicht so nannte, war damit die Idee vom Higgs-Teilchen geboren. "Der Hinweis zum sogenannten Higgs-Boson wäre nicht erschienen, wenn 'Physics Letters' die Originalversion akzeptiert hätte", erinnerte sich Higgs viele Jahre später.
Bloß nicht "Gottesteilchen"
Unabhängig davon schlugen zur selben Zeit François Englert und Robert Brout in Brüssel sowie Gerald Guralnik, Carl R. Hagen und T. W. B. Kibble am Imperial College London einen ähnlichen Prozess vor. Higgs war allerdings der Einzige, der explizit ein Teilchen damit assoziierte, das im Prinzip detektiert werden könnte. So setzte sich bald die Bezeichnung Higgs-Teilchen durch, auch wenn Higgs nie müde wurde, auf seine Co-Entdecker hinzuweisen. Dem bescheidenen Physiker war die Bezeichnung zwar stets etwas unangenehm, noch mehr stört den erklärten Atheisten aber der im populärwissenschaftlichen Kontext häufig verwendete Begriff "Gottesteilchen".
Als 2012 am Cern schließlich tatsächlich der Nachweis jenes Teilchens gelang, das Higgs und Kollegen knapp 50 Jahre zuvor vorausgesagt hatten, war klar, wer sich über den nächsten Physik-Nobelpreis freuen darf. Und so war es dann auch: Higgs erhielt die Auszeichnung 2013 gemeinsam mit Englert, Brout war im Jahr zuvor gestorben.
Nur 20 Publikationen
Neben Physik interessiert sich Higgs für Musik und Filme, aber auch für Politik. Seine Frau lernte er in den 1960er-Jahren in der Anti-Atomwaffen-Bewegung kennen. Sie haben zwei Söhne, einer ist Computerwissenschafter, der andere Jazzpianist. Als Higgs Wien 2016 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Wiener Instituts für Hochenergiephysik (Hephy) der Akademie der Wissenschaften besuchte, freute er sich besonders auf einen Besuch in der Oper.
In einem seiner seltenen Interviews kritisierte er damals im STANDARD den steigenden Publikationsdruck in der Wissenschaft: "Ich habe insgesamt etwa 20 wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Ich weiß nicht, wie ich in das aktuelle System passen würde." (Tanja Traxler, 29.5.2019)