Hat es bisher peinlich vermieden, Ajatollah Khamenei einen Kuss zu schenken: Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz (32).

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Die Bewunderung vieler Sozialdemokraten für ihren Bundeskanzler Bruno Kreisky ging so weit, dass sie ihn trotz unleugbar republikanischer Gesinnung "Sonnenkönig" nannten.

Für ein Zentralgestirn von gleichbleibender Strahlkraft war Kreisky manchmal ein aufsehenerregend mürrischer Mann. Er spielte an Tagen, an denen er sich von finsteren Wolken eingehüllt wähnte, mit den Bügeln seines Sehbehelfs und kanzelte sein jeweiliges Gegenüber schroff ab. Doch scheint es aus heutiger Sicht undenkbar, dass ihn ein auch noch so aufmüpfiges Parlament jemals "aus dem Amt gejagt" hätte.

Sebastian Kurzens Hang, auf der Regierungsbank die einlaufenden WhatsApp-Nachrichten zu lesen, wäre diesem Titan der dialektischen Vernunft nicht im Traum eingefallen. Kreisky gab sich während der Parlamentsreden seiner oppositionellen Widersacher lieber dem Studium daumendicker Aktenkonvolute hin.

Lippenerprobte Freunde

In diesen Regierungsvermerken muss viel Unsinn gestanden sein. Mitunter konnte es nämlich passieren, dass sich seine Miene erhellte, während der Bauernbündler vorn am Pult ihn, den "Sozialisten", gerade einen gewissenlosen Schuldenmacher hieß.

Vielleicht freute Kreisky sich in einem solchen Moment bloß insgeheim auf den nächsten Bruderkuss, den er mit seinem lippenerprobten Freund, dem Palästinenserchef Yassir Arafat, tauschen würde. Hingegen scheint es ein Ding der Unmöglichkeit, sich vorzustellen, wie Sebastian Kurz zum Beispiel Ajatollah Khamenei herzhaft auf den Mund küsst. Kurz schätzt es aus Prinzip nicht, dass ihn jemand "anpatzt". Mit Jörg Leichtfried (SPÖ), dem Brandredner wider ihn, wird er vor den Septemberwahlen ganz bestimmt keinen noch so flüchtigen Kuss mehr tauschen.

Leichtfried hätte schon aus modischen Gründen gut in meine Kindheit – die eines Babyboomers – gepasst. Damals pflegten nach verpatzter Landtagswahl o.ä. die Roten einen ihrer Zentralsekretäre als Troubleshooter in Bewegung zu setzen. Ihr bärbeißigster hieß auch wirklich Marsch (Fritz). Einen wie ihn würde Pamela Joy Rendi-Wagner so dringend benötigen wie einen Bissen Grahambrot aus der Konsum-Filiale. (Ronald Pohl, 30.5.2019)