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Es war einmal ein kleines Land in einem kleinen Kontinent, das sich gerne entrüstete: Über den Stillstand da oben – große Koalition! Über den Wandel da unten – Flüchtlingskrise! Dieses Land war gerade damit beschäftigt, einen Präsidenten zu wählen. Und einer, der es werden wollte, versprach den Menschen, gemeinsam mit ihnen "mutig in die neuen Zeiten" zu marschieren, wie es die Bundeshymne verheißt.

Wie neu diese Zeiten tatsächlich werden würde, hätte sich Alexander Van der Bellen aber wohl nicht erträumt. Ausgerechnet er, der auf Zurückhaltung geeichte Professor, soll jener Mann sein, der als erstes Staatsoberhaupt der Zweiten Republik eine Regierung zusammenstellt, die seinem Gutdünken entspricht?

Das Neuland, das Van der Bellen beschreitet, birgt eine Chance. Erstmals ist es in Österreich möglich, dass ein Nicht-Parteikandidat Kanzler wird. Jemand, der nicht jahrelang in der Partei diverse Hürden überwinden, Loyalität beweisen musste und anfängliche Widerborstigkeit glattgeschliffen bekam. Es könnte vielleicht jemand sein, der oder die unbefangener denken darf, als es die Parteidisziplin erlaubt.

Nötige Seilschaften

Um eines vorwegzuschicken: Parteien sind unerlässlich – auch als Kaderschmieden. Sie können politische Talente entdecken und fördern. Sie können diese Talente aber auch ersticken. Wer die nötige Parteidisziplin vermissen lässt, wer sich querlegt und unbequem ist, wird gerne aussortiert. Wer keinen Mentor oder keine Mentorin hat, die nötigen Seilschaften vermissen lässt, wird leicht überhört.

Besonders hart trifft das Frauen.

Nun sind Frauen ja grundsätzlich in allen Parteien gern gesehen. Auf Fotos zum Beispiel, insbesondere dann, wenn sie jung, schlank und adrett sind. Im Wahlkampf zum Beispiel, wenn sie bei Hitze und Regen in Fußgängerzonen stehen und freundlich lächelnd Schokolade mit Parteilogo verteilen. Und in den Parteibüros, wenn es darum geht, komplexe Materien zu bekömmlichen Häppchen zu verarbeiten, portionsweise aufzubereiten, für den nächsten Bühnenauftritt des meist männlichen Chefs.

In all diesen Jobs sieht man Frauen gern. Sind hingegen Spitzenjobs zu vergeben, übersieht man sie lieber. Je höher die politische Machtebene, desto weniger Frauen finden sich hier. Was aber hat das mit Alexander Van der Bellen zu tun?

Gläserne Decke

Der Bundespräsident hat die seltene Gelegenheit, diese gläserne Decke beiseitezuschieben, eine Frau zur Kanzlerin zu machen – und nicht darauf angewiesen zu sein, dass eine Partei eine Frau zur Spitzenkandidatin macht und ebendiese Partei in der Lage ist, eine Regierung zu bilden.

Viele werden nun sagen: Es geht hier ums Amt, das Geschlecht muss egal sein. Doch genau das war eben bisher nie der Fall. Die Zweite Republik hat – Hartwig Löger mitgezählt – 15 Kanzler erlebt. Jeder Einzelne war männlich. Das ist keine Notwendigkeit, das ist kein Naturgesetz. Es ist nur eines: ein Versäumnis.

Es ist Zeit für eine Kanzlerin. Nicht weil Frauen bessere Politik machen als Männer. Nicht weil eine Frau Garantin für die jetzt so oft beschworene Stabilität wäre. Sondern einfach, weil es keinen plausiblen Grund gibt, warum bisher nur Männer die Regierungsgeschäfte leiten durften. Van der Bellen kann nun beweisen, wie mutig er in die neuen Zeiten geht. Und ob er dabei nur die großen Söhne oder auch die großen Töchter im Blick hat. (Maria Sterkl, 28.5.2019)