Die Zivilgesellschaft ist erwacht, Aktivistinnen und Aktivisten mehrerer Jugendorganisationen und eines Performancekollektivs passen rund um die Uhr auf die Bilder von NS-Überlebenden am Wiener Burgring auf.

Das ist die gute Nachricht in Zusammenhang mit den wiederholten Attacken auf die Ausstellung "Gegen das Vergessen".

Die schlechte Nachricht liegt in der puren Notwendigkeit dieses Schutzes. Wie kommt es, dass öffentlich zur Schau gestellte Porträts von Menschen, die in der NS-Zeit schlimmste Nachstellungen bis hin zu jahrelanger KZ-Haft erlitten haben, in Wien, der Hauptstadt eines westeuropäischen Landes, mit einem Stanleymesser zerschnitten, mit Hakenkreuzen beschmiert und schlussendlich zerfetzt werden?

Vorschnelle Replik

Und: Warum geschieht das in Wien – und passierte an keinem der rund einem Dutzend anderer Orte in der Ukraine, den USA und Deutschland, wo die Schau, ebenso öffentlich und wenig abgesichert, davor zu sehen war?

In Österreich seien Rechtsextremismus und Nazi-Nostalgie eben verbreiteter als in diesen drei anderen Staaten. So könnte eine einfache Antwort auf diese Fragen lauten.

Das wäre eine vorschnelle Replik. Gefährliche Rechtsextreme, die noch dazu auch vor Anschlägen auf Menschen nicht zurückschrecken, gibt es in Deutschland wie in den USA. Die Ukraine wiederum weist ebenfalls eine starke militante Rechtsextremenszene auf – während NS-affine Rechte in Österreich außerdem durch das Wiederbetätigungsverbot sanktioniert werden.

Folge der "Einzelfälle"

Also muss es, um die Wiener Bildzerstörungen zu erklären, an etwas anderem liegen: nicht an den rechtsextremen Milieus an sich, sondern am Umgang mit ihnen. Hier fallen einem als Erstes tatsächlich die laxen Reaktionen der gescheiterten türkis-blauen Regierung auf die vielen einschlägigen "Einzelfälle" in der FPÖ ein.

Bürgerinnen und Bürger mit ähnlichen Ressentiments könnten daraus durchaus die "Lehre" gezogen haben, dass derlei in Österreich durchgeht – ja, dass es hierzulande eine Art "Recht" auf derlei Bekundungen gibt. Ist das der Fall, so tragen künftige Regierungen eine große Verantwortung. Sie müssen Impulse geben, um den Schaden zu reparieren.

Versäumte NS-Aufarbeitung

Doch das reicht nicht. Obwohl der Nationalsozialismus inzwischen schon über 70 Jahre her ist: Sie müssen sich auch um eine bessere Aufarbeitung dieser dunklen Zeit bemühen.

Wenn die Gesichter von Menschen, denen alles, auch ihr Leben, genommen wurde, im öffentlichen Raum als störend empfunden werden, wenn mancher statt mit Mitgefühl mit Zorn oder gar aktivem Hass auf sie reagiert, so liegt hier einiges im Argen. Kaputtmachen, um nicht hinschauen zu müssen, so reagiert man nicht zuletzt auf ein Tabu. (Irene Brickner, 28.5.2019)