Sestra oder dinistra? Investoren achten weniger auf die Ideologie hinter der Politik, sondern reale Effekte.

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Die letzte EU-Wahl 2014 stand ganz im Zeichen der Eurokrise. Die Rettungspakete waren gerade unter Dach und Fach, doch die Bevölkerung in Südeuropa bekam die neue Sparsamkeit zu spüren. Bei der EU-Wahl am vergangenen Sonntag bekamen die Regierungen in den Krisenländern dafür Zeugnisse ausgehändigt, zuerst von den Wählern, dann von den Finanzmärkten.

Hellas Freude

In Griechenland rief die linkspopulistische Syriza nach einer schweren Niederlage landesweite Neuwahlen aus. Diese könnten bereits Ende Juni stattfinden. Aufwind gab es hingegen für die konservative Nea Dimokratia. Die Partei wird mit einer wachstumsorientierten und investorenfreundlichen Politik in Verbindung gebracht.

Prompt sank auch die Rendite für griechische Staatsanleihen auf ein Rekordtief. Der Zins für zehnjährige Schuldscheine fiel bis auf 3,02 Prozent. Das ist der tiefste Stand, der seit der Datenerhebung 1998 von der Nachrichtenagentur Bloomberg verzeichnet wurde. Je tiefer der Zins, desto höher das Vertrauen der Investoren in die Zahlungsfähigkeit des Staates. Auch der Risikoaufschlag zur deutschen Bundesanleihe schrumpfte, während die Athener Börse seit Montag eine starke Rallye hinlegt.

Rom gegen Brüssel

In Italien verliefen der Ausgang der und die Reaktionen auf die EU-Wahl fast spiegelbildlich zu Griechenland. Die rechtspopulistische Regierungspartei Lega fühlte sich nach einem historischen Wahlsieg bekräftigt, die EU-Fiskalregeln infrage zu stellen. Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini verkündete am Dienstag: "Die EU-Regeln sind gescheitert, sie erdrosseln die Unternehmen und verursachen Arbeitslosigkeit. Wir wollen Europa ändern und wieder das Recht auf Beschäftigung, auf Familie und auf Gesundheit in den Vordergrund stellen."

Damit künftig die Finanzmärkte nicht mehr allzu harsch auf nationale Schuldenpolitik reagieren, sollte die Europäische Zentralbank (EZB) die Staatsschuld der Mitglieder garantieren. Damit ließe sich Spekulation eindämmen. Bei einer großen europäischen Konferenz zum Thema Wirtschaftswachstum, Investitionen und Beschäftigung sollten die Mitgliedsstaaten ihre Reformideen vortragen, schlug Salvini vor.

Legale Probleme

In Brüssel braut sich hingegen ein Sturm zusammen: Die Kommission könnte EU-Vertretern zufolge bereits am Mittwoch kommender Woche ein Strafverfahren wegen zu hoher Schulden gegen Italien einleiten. Salvini selber bezifferte eine mögliche Strafzahlung gegenüber den Medien mit drei Milliarden Euro. Seine Regierung werde sich "mit allen Kräften" dagegen wehren, sagte der Premier am Dienstag.

Aus Furcht vor der neuen Machtprobe zwischen Brüssel und Rom ziehen sich Anleger aus italienischen Anleihen zurück. Dies trieb die Rendite der zehnjährigen Anleihen am Dienstag weiter in die Höhe. Ein Marktbeobachter warnte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sogar vor einer "Schuldenkrise 2.0", sollte das Land das Vertrauen der Anleger endgültig verlieren.

Iberisches Sitzfleisch

Wen die Wirtschaftspolitik der rechten Lega in Italien verdächtig an den Kurs der linken Syriza in Griechenland erinnert, könnte man den Schluss ziehen, dass sich Brüssel ohne komplette Eskalation der Lage durchsetzen wird. Allerdings ist Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Eine Schuldenkrise Italiens würde die neuen Rettungsmechanismen der EU vor eine Zerreißprobe stellen.

Auf der Iberischen Halbinsel kam man bei der jüngsten EU-Wahl, wie schon 2014, ohne Berg-und-Tal-Fahrt mit populistischen Parteien an der Staatsspitze aus. Die Wähler stärkten sowohl in Spanien als auch in Portugal den traditionellen sozialdemokratischen Großparteien den Rücken. Investoren reagierten darauf positiv. Die Renditen für Staatsanleihen fielen seit der EU-Wahl in beiden Ländern deutlich, in Spanien sogar auf ein Rekordtief. (slp, 28.5.2019)