Alexander Van der Bellen hat etwas Zeit gewonnen. Die alte Regierung wurde um ein paar Tage verlängert – nur Sebastian Kurz wollte nicht mehr mitmachen.

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Wien – Alexander Van der Bellen ist nun der oberste Headhunter der Republik. Seit der Nationalrat am Montag um 16.14 Uhr der um einige Experten angereicherten ÖVP-Alleinregierung unter Kanzler Sebastian Kurz das Misstrauen ausgesprochen hat, sondiert der Bundespräsident.

Noch am Montagabend fanden erste Gespräche mit den Vorsitzenden der Parlamentsparteien statt, am Dienstag folgten weitere Runden. Es geht darum, auszuloten, welcher Regierungschef oder welche Regierungschefin bis zur Nationalratswahl im September von möglichst allen Parteien mitgetragen wird. Denn eines soll um jeden Preis vermieden werden: ein weiteres Misstrauensvotum.

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Gleichzeitig werden auch bereits mögliche Minister und Ministerinnen gesucht. Der grobe Fahrplan sieht so aus: Die Parteien wurden gebeten, der Hofburg bis Donnerstag Vorschläge mitzuteilen. Dann will Van der Bellen möglichst rasch Fakten schaffen und eine neue Regierung zusammenstellen. Im Gegensatz zu "normalen" Regierungen wird die nächste also weniger vom neuen Kanzler oder von der neuen Kanzlerin zusammengestellt, sondern vielmehr vom Bundespräsidenten – in Rücksprache mit den Parlamentsparteien. Die Angelobung ist für Freitag oder Montag anvisiert. Je nachdem, wie schnell Kandidaten außer Streit gestellt werden können und diese auch zusagen.

Frauen gesucht

Gesucht werden vor allem Persönlichkeiten, die parteipolitisch nicht zu stark punziert, fachlich unbestritten sind und möglichst europapolitische Erfahrung mitbringen. Wichtig ist Van der Bellen auch ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis. Voraussichtlich wird die Übergangsregierung auch etwas kleiner sein als die alte türkis-blaue, die 14 Köpfe umfasste.

Die Verfassung bietet diesbezüglich einen gewissen Spielraum. Ein Minister kann also mit den Agenden zweier Ressorts betraut werden. Zuletzt passierte das bereits nach dem Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der auch für die Agenden Sport und öffentlicher Dienst zuständig war. Letztere wanderten zu Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß.

Viel im Fluss

Wie viele Regierungsmitglieder aber tatsächlich angelobt werden, stand am Dienstag noch nicht fest. Dazu ist zu vieles im Fluss. Erst wenn man weiß, wer zusagt, kann entschieden werden, welche Ressorts bei einem Minister oder einer Ministerin gebündelt werden.

Womit wir bei den gehandelten Kandidaten wären. Als neuer Kanzler wird am häufigsten Gerhart Holzinger genannt. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes wird von allen Parteien geschätzt. Er ist seit seiner Studienzeit Mitglied des konservativen Cartellverbands, machte aber unter SPÖ-Kanzlern Karriere – zuerst im Verfassungsdienst des Kanzleramts, dann im Verfassungsgerichtshof, dessen Präsident er von 2008 bis 2017 war. Was gegen den 71-Jährigen spricht: Große europapolitische Erfahrung kann er nicht vorweisen.

"Mr. Euro"

Die wäre dafür bei Thomas Wieser im Übermaß vorhanden. Er war zwischen 1999 und 2012 Sektionschef im Finanzministerium und danach Vorsitzender der Euro-Arbeitsgruppe sowie des EU-Wirtschafts- und Finanzausschusses. Als "Mr. Euro" und rechte Hand von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war er federführend in die Verhandlungen während der Griechenland-Krise eingebunden. Wieser wird aber nicht nur als potenzieller Kanzler, sondern auch als möglicher Finanzminister gehandelt.

Managementerfahrung im staatsnahen Bereich hätte die Chefin der Nationalbibliothek, Johanna Rachinger, deren Name in mehreren Parteien immer wieder fällt, wenn es um mögliche Quereinsteiger geht.

Rote wollen Schwarzen

Von der SPÖ bereits als Kanzleroption ins Spiel gebracht wurde Franz Fischler. Der ÖVPler war Landwirtschaftsminister und österreichischer EU-Kommissar. Da er sich nicht gerade als Freund der Türkisen innerhalb der ÖVP hervorgetan hat, ist aber fraglich, ob er die volle Rückendeckung seiner Partei hätte. Bei der FPÖ würde Fischler wohl jedenfalls auf Widerstand stoßen. Im Interview mit dem STANDARD warf er dem blauen Spitzenkandidaten für die EU-Wahl, Harald Vilimsky, erst vor wenigen Wochen vor, die EU zerstören zu wollen.

Mit Widerstand müsste auch Österreichs aktueller EU-Kommissar Johannes Hahn rechnen. Ihn schließen mehrere Parteien hinter vorgehaltener Hand aus. Gegen Hahn spreche seine Vergangenheit als Novomatic-Manager und dass er sich auch aktuell in der ÖVP und in der Europäischer Volkspartei engagiere.

Für das Außenministerium kolportiert werden noch einige Diplomaten: etwa der Leiter des Generalinspektorats im Außenamt, Hans Peter Manz, Österreichs Botschafterin in Genf, Elisabeth Tichy-Fisslberger, oder Österreichs Botschafterin in Belgien, Elisabeth Kornfeind. Aber wie gesagt: Bestätigt ist keiner der Namen, die Präsidentschaftskanzlei verweist auf die Vertraulichkeit der laufenden Gespräche und will keinerlei Statements dazu abgeben.

Alte Experten auch neue Experten?

Nicht final geklärt ist auch, ob jene Expertenminister, die nach dem Austritt der FPÖ angelobt wurden, noch einmal infrage kommen. Stand Dienstag: eher nicht. Schließlich wurde auch ihnen vom Nationalrat das Misstrauen ausgesprochen. Peter Pilz plädiert aber dafür, den von ihm hochgeschätzten Eckart Ratz als Innenminister zu verlängern. In einer heiklen Phase wie jetzt brauche man dort jemanden "mit tiefer rechtsstaatlicher Verankerung", findet der Gründer der Liste Jetzt.

Ein paar Tage dürfen Ratz und der Rest der aktuellen Regierung aber ohnehin noch weitermachen. Van der Bellen betraute am Dienstag die tags zuvor des Amtes enthobenen Minister mit der interimistischen Fortführung der Amtsgeschäfte. Das hat einen einfachen Grund: Es darf keinen Tag geben, an dem die Ressorts unbesetzt sind. Da Sebastian Kurz nicht für die Interimsführung zur Verfügung stand, wurden die Kanzleragenden vorübergehend an Finanzminister Hartwig Löger übertragen, der Österreich am Dienstagabend auch beim EU-Gipfel in Brüssel vertrat.

Vor der Enthebung der alten Regierung redete Van der Bellen den handelnden Akteuren ins Gewissen und ließt dabei auch Kritik am Politikstil von Kurz durchklingen: "Es reicht eben nicht in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie gerade braucht. Das rächt sich dann im Laufe der Zeit." (Günther Oswald, 28.5.2019)