Sebastian Kurz ist mit seinen 32 Jahren der jüngste Altbundeskanzler, den Österreich je hatte. Einen Tag nach seiner Absetzung im Parlament traf ihn DER STANDARD zum Interview. Das Gespräch fand in der Parteizentrale der ÖVP statt, wo Kurz nach dem Auszug aus dem Kanzleramt erst einmal sein Quartier aufgeschlagen hat.

Sebastian Kurz, der nur noch ÖVP-Chef ist und auch nicht mehr ins Parlament geht, will im kommenden Wahlkampf die gesetzliche Obergrenze für Ausgaben einhalten.
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STANDARD: Normalerweise würde ich einen Politiker nicht nach seiner Befindlichkeit fragen, nach der Abwahl im Parlament tue ich das doch: Was empfinden Sie? Enttäuschung, Verbitterung, doch Erleichterung?

Kurz: Ich erhalte viele Rückmeldungen von Menschen, die mich unterstützen, und ich kann da nur allen sagen: Es ist kein Platz für Wut, Hass oder Trauer. Was mich persönlich betrifft: Um ehrlich zu sein, war es ein Wechselbad der Gefühle. Zunächst gab es eine sehr erfolgreiche Regierungsarbeit, die bei mir zu großer Zufriedenheit geführt hat. Danach kamen die Enthüllungen des Videos und der Umgang der Freiheitlichen damit. Das hat die Zusammenarbeit zerstört. Danach, in dieser schwierigen Phase für die Republik, gab es ein so unglaublich großes Vertrauen der Bevölkerung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament mit dem besten Ergebnis der Geschichte für die Volkspartei. Am Montag im Parlament habe ich dann sehr viel Hass und Ablehnung der FPÖ und der SPÖ verspürt.

STANDARD: Ist Hass der richtige Ausdruck? Ist das nicht eine zu starke Emotion?

Kurz: Zumindest sehr viel Wunsch nach Rache, so ist es mir vorgekommen. Am Abend, als ich aus dem Parlament rausgekommen bin, haben sich dann spontan 2.000 Unterstützer getroffen, die mir den Rücken stärken wollten. Das war ein sehr motivierendes Gefühl.

STANDARD: Mit welchem Gefühl haben Sie Ihr Büro im Kanzleramt geräumt?

Kurz: Zu Räumlichkeiten oder Insignien der Macht habe ich nie einen sonderlichen Bezug gehabt. Insofern löst das bei mir keine besondere Emotion aus. Einige Möbel, die nicht dem Bundeskanzleramt, sondern mir gehören, habe ich dort gelassen, damit der Übergangskanzler nicht in einem leeren Büro steht.

STANDARD: Ich dachte schon, Sie lassen Ihre Möbel deswegen dort, weil Sie ohnedies bald wieder zurückkehren.

Kurz: Das ist eine Entscheidung der Wählerinnen und Wähler im September, ich bin ein überzeugter Demokrat, und ich respektiere die Abstimmung, die im Parlament stattgefunden hat. Gleichzeitig werden wir jetzt die Möglichkeit wahrnehmen, bei der Bevölkerung um Unterstützung zu werben.

STANDARD: Bundespräsident Van der Bellen wollte eigentlich Sie für ein paar Tage mit der Fortführung der Amtsgeschäfte betrauen. Dem Vernehmen nach haben Sie das abgelehnt. Warum?

Kurz: So stimmt das nicht. Wir haben uns darüber ausgetauscht und gemeinsam vereinbart, dass er Hartwig Löger betrauen wird. Alles andere wäre wohl eine Provokation für das Parlament gewesen. Das Parlament hat eine Entscheidung getroffen. Die Rufe bei den Wahlveranstaltungen von SPÖ und FPÖ "Kurz muss weg" waren auch sehr klar. Ich würde es für vollkommen falsch erachten, wenn es jetzt zu einer Provokation des Parlaments kommt.

STANDARD: Sie werden nicht im Parlament vertreten sein, weder als Abgeordneter noch als Klubobmann. Warum nicht? Ist das nicht mangelnder Respekt vor dem Parlament, eine Missachtung?

Kurz: Wir haben als Volkspartei ein sehr breites, gutes Team. August Wöginger leistet als Klubobmann ausgezeichnete Arbeit. Ich habe als Bundeskanzler in den letzten Jahren auch sehr viel Energie darauf verwendet, uns in Europa und der Welt zu vertreten, ich war notgedrungen in unzähligen Sitzungen und Verhandlungsrunden. Oftmals waren die Gespräche, die ich mit den Menschen führen konnte, nur zwischen Tür und Angel möglich. Insofern gebe ich zu, ich freue mich darauf, in den nächsten Wochen im ganzen Land unterwegs sein zu können und etwas ausführlichere Gespräche mit den Menschen führen zu können.

"Einige Möbel, die nicht dem Kanzleramt, sondern mir gehören, habe ich dort gelassen, damit der Übergangskanzler nicht im leeren Büro steht", sagt Kurz.
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STANDARD: Das heißt, Sie machen ab jetzt nur noch Wahlkampf.

Kurz: Der Wahlkampf wird bei uns im September stattfinden. Er wird kurz, intensiv und sehr fair sein. Wir werden andere nicht anpatzen, sondern der Bevölkerung unseren Kurs präsentieren.

STANDARD: In dem Sinne, dass nach der Balkanroute jetzt die Kickl-Rendi-Route geschlossen werden muss?

Kurz: Wir haben im letzten Wahlkampf unsere Zeit ganz bewusst nicht damit verbracht, andere schlechtzumachen. Wir haben unsere Ideen für Österreich präsentiert, ohne die anderen anzupatzen oder herabzuwürdigen. Wir werden sicher nicht unseren Fokus auf die anderen Parteien richten.

STANDARD: Zugleich warnen Sie vor einer FPÖ-SPÖ-Koalition. Sie waren selbst eineinhalb Jahre in einer Koalition mit der FPÖ, ist es da nicht total unglaubwürdig, wenn Sie jetzt dieses Schreckgespenst aufbauen?

Kurz: Nein. Ich habe nur ausgesprochen, was ich in den letzten Monaten erlebt habe. Die Sozialdemokratie hat mir immer den Vorwurf gemacht, mit der freiheitlichen Partei in einer Koalition zu sein. Dabei haben sie stets vergessen dazuzusagen, dass sie nach der letzten Wahl selbst eine Koalition mit der FPÖ eingehen wollten. Und jetzt ist der Vorhang gefallen. Nach dem Ibiza-Video haben sich FPÖ und SPÖ in einem gemeinsamen Ziel gefunden, nämlich mich abzuwählen. Was niemand nachvollziehen kann, ist der Umstand, dass sie nicht nur mich, sondern die gesamte Bundesregierung abgewählt haben – samt der anerkannten und unabhängigen Experten. Das ist nicht gut für das Land.

STANDARD: Wird die ÖVP die vorgeschriebene Wahlkampfkostenobergrenze diesmal einhalten? Das letzte Mal waren Sie um sechs Millionen drüber.

Kurz: Ja, definitiv, das werden wir tun.

STANDARD: Ist das eine fixe Zusage?

Kurz: Ja, das ist eine Zusage.

STANDARD: Woher kam das Geld im Wahlkampf 2017? Sie haben statt der erlaubten sieben insgesamt 13 Millionen Euro ausgegeben. Laut eigenen Angaben haben Sie 2,1 Millionen Euro an Spenden eingenommen. Woher kam der Rest?

Kurz: Wir sind das Land mit einer der höchsten Parteienförderungen der Welt. Ich trete dafür ein, dass wir die Parteienförderung reduzieren und nicht so viel Steuergeld der Menschen dafür verschwenden. Im Gegensatz zu anderen haben wir all unsere Spenden transparent gemacht. Wir haben nicht auf dubiose Vereinskonstruktionen gesetzt.

Kurz: "Nach dem Ibiza-Video haben sich FPÖ und SPÖ in einem gemeinsamen Ziel gefunden, nämlich mich abzuwählen."
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STANDARD: Aber woher kamen die insgesamt 13 Millionen?

Kurz: So wie alle anderen Parteien finanzieren auch wir uns aus der überbordend hohen Parteienförderung, Mitgliedsbeiträgen und zu einem gewissen Anteil auch aus Spenden. Die Spenden sind im Vergleich zu den beiden anderen Posten aber der kleinere Teil.

STANDARD: Die ÖVP predigt immer Transparenz. Warum veröffentlichen Sie Ihren Rechenschaftsbericht nicht?

Kurz: Wir kommen nicht nur allen Regeln nach, die es gibt, wir sind auch dafür, noch klarere Bestimmungen zu beschließen und für mehr Transparenz zu sorgen.

STANDARD: Warum gehen Sie dann nicht mit gutem Beispiel voran und veröffentlichen den Rechenschaftsbericht der Partei?

Kurz: Das wollen wir aber auch von den anderen und sind daher dafür, das gesetzlich zu regeln. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand bereit ist, eine Partei zu unterstützen – solange es transparent ist. Problematisch sind die Vorgänge, wie sie im Ibiza-Video besprochen werden, und Kanäle, die nahe an der Korruption sind. Die Sozialdemokratie hat im letzten Wahlkampf offenbar auch versucht, mit einem Verein abseits der Parteikassen Spenden zu sammeln, das lehne ich ab.

STANDARD: Solche Vereine gibt es doch auch bei der ÖVP. Und auch bei Othmar Karas gab es Privatleute, die Plakatflächen finanziert haben.

Kurz: Das ist einfach nicht wahr. Jede Wahlkampfausgabe wird dem Rechnungshof gemeldet.

STANDARD: Mit wem ist eine Koalition überhaupt noch denkbar?

Kurz: Ehrlich gesagt bin ich nach den Wortmeldungen vom Montag im Parlament überhaupt nicht in der Stimmung, um über Koalitionen nachzudenken.

STANDARD: Angedient hat sich in den letzten Tagen niemand. Vielleicht die Neos.

Kurz: Worum es jetzt geht, ist Stabilität sicherzustellen, da möchte ich meinen Beitrag leisten. Dann geht es darum, die Bevölkerung entscheiden zu lassen. (Michael Völker, 28.5.2019)