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Der starke Mann, der "die Sache klärt", ist allzu oft weder besonders weitsichtig noch professionell oder gar mitfühlend.

Foto: Reuters / EVGENIA NOVOZHENINA

"Es gibt keinen Menschen, der weniger das Zeug zum Tyrannen in sich hätte, als er." Dieser Satz stammt aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels und beschreibt einen Mann, von dem es an anderer Stelle heißt, er sei "groß in seiner Einfachheit und einfach in seiner Größe". Die Rede ist natürlich vom Führer. Und bevor Sie sich jetzt (durchaus zu Recht) fragen, ob man heutzutage wirklich jeden politischen Kommentar mit Hitler-Clickbait versehen muss, möchte ich Sie mit einem anderen Zitat konfrontieren: "Man sollte einen starken Führer haben, der sich nicht um ein Parlament und Wahlen kümmern muss."

Laute Rufe nach einem Macher

Angesichts der Tatsache, dass laut einer Studie aus dem Jahr 2017 knapp jede vierte befragte Person dieser Aussage zugestimmt hat, sollte man sich schon fragen, woher sie denn kommt: die Sehnsucht nach einem starken Mann, der führt, herrscht und um jeden Preis vorgeblich klare Verhältnisse herstellt. Nicht um unsinnige Vergleiche zwischen toten Massenmördern und heutigen Politikern anzustellen oder "die Nazikeule zu schwingen", sondern weil wir es doch alle so viel besser wissen müssten. Und nicht nur in Österreich.

In Deutschland ist die Sehnsucht nach einem, der die Mühen und Mühlen des Parlamentarismus umgeht und "endlich mal auf den Tisch haut", mancherorts mindestens genauso hoch. Je komplexer und umfassender die gesellschaftlichen Herausforderungen werden, je deutlicher wird, wie oft wir als Einzelpersonen und in Gruppen keine Verantwortung übernehmen wollen, desto lauter werden die Rufe nach einem Macher. Nach jemandem, der es schon richten wird. Und gerade weil wir alle sehr genau wissen oder zumindest wissen sollten, dass das in der Vergangenheit im Zweifelsfall hinrichten hieß, dürften wir von langwierigen und langweiligen demokratischen Prozessen eigentlich nicht so schnell erschöpft sein.

Mit scharfem Schwert alles durchtrennen

Das doch häufig öde Entscheidungspingpong innerhalb der Gewaltenteilung müsste uns an sich ausgesprochen entzücken. Aber es nervt halt alles. Gefühlt geht nichts voran, und für dieses Nichts wird auch noch das Geld zum Fenster rausgeschmissen. Niemand hält sich mehr an Regeln und Gesetze, und überhaupt war früher alles viel besser. Wie verwerflich kann es da schon sein, dass jemand das Staatsfernsehen an die Leine nehmen und Zeitungen unter seine Kontrolle bringen will? Solange nicht mehr alle durcheinanderschreien, sondern nur noch einer spricht, der das Sagen hat.

Hinter dieser Sehnsucht steht ein einfacher Wunsch: In einer immer diffizileren Welt voller gordischer Knoten muss es doch einen geben, der mit scharfem Schwert und ohne viel Umschweife alles durchtrennen kann. Der in markigen Statements klarmacht, dass er genug gehört hat, jetzt aber mal Schluss ist und er endgültig die Nase voll hat. Oder anders formuliert:

Es sollte, verdammt noch mal, kein Problem geben, das nicht dadurch gelöst werden kann, dass ihm irgendein harter Typ die Scheiße aus dem Leib prügelt. "Yippie-ya-yay, Schweinebacke!"

Damit das klar ist: Selbstverständlich kann dieser Typ auch mal eine Frau sein. Aber grundsätzlich sprechen wir hier über stereotype Männlichkeitsbilder, die um Herrschaft, Macht und Härte kreisen. Die Wladimir Putin inszeniert, wenn er wahlweise oberkörperfrei durch die Tundra reitet oder grinsend die übergroßen Flügeltüren des Kremls durchschreitet. Die Donald Trump verkörpert, wenn er kreative Notstände ausruft oder einfaches Händeschütteln zu einer Dominanzgeste umfunktioniert.

CNN

Oder für die sich Heinz-Christian Strache halbherzig entschuldigt, weil er sich damit in allen politisch relevanten Feldern seines Fehlverhaltens als Opfer präsentieren kann.

Bsoffene Gschichten in einer Villa auf Ibiza sind dann eben die neuen Umkleidekabinengespräche unter Männern.

Der starke Mann, der "die Sache klärt", ist allzu oft weder besonders weitsichtig noch professionell oder gar mitfühlend. Er setzt Dinge nicht deswegen um, weil es das Beste ist, sondern weil ihm nichts Besseres einfällt. Er ist in vielerlei Hinsicht ein nützlicher Idiot zur Kaschierung unserer eigenen zu Größenwahn umfunktionierten Minderwertigkeitskomplexe. Einer, von dem wir uns einreden, dass er nie und nimmer das Zeug zum Tyrannen hat, damit wir unser eigenes Gewissen nicht damit beschmutzen müssen, selber einer zu sein.

In der Regel kriegen starke Männer nichts geregelt. Sie setzen Regeln nur einfach außer Kraft und spielen falsch. Sich hingegen jederzeit an die Regeln zu halten und allen gegenüber fair zu verhalten, mag vielleicht nicht so anziehend und aufregend wirken wie eine dieser Führergestalten, ist aber Grundvoraussetzung für wahre Stärke. Für eine Stärke, die andere nicht unterdrückt, um sich selbst zu erheben. So stark können wir alle sein. Dafür brauchen wir keinen starken Mann. Der stört dabei nur. (Nils Pickert, 2.6.2019)