Wien – Muhammet P. sagt recht deutlich, wie er seine Situation einschätzt: "Ich sehe mich als Opfer, ich habe kein Dach über dem Kopf", erklärt der 42-jährige Angeklagte Richterin Patrizia Kobinger-Böhm. Derzeit wohnt der arbeitslose Ex-Selbstständige wieder bei seinen Eltern, da seine Noch-Ehefrau ein Betretungsverbot gegen den Unbescholtenen erwirkt hat. Angeklagt ist P. wegen Nötigung: Er soll der Frau Anfang Jänner mit Mord und Selbstmord gedroht haben, sollte sie sich scheiden lassen.

Zunächst streitet er das ab, dann überrascht er die Richterin: "Ich rauche Marihuana, kann sein, dass ich zu viel geraucht und zu viel Serien geschaut habe und dann so was gesagt habe. Ich kann mich nicht mehr erinnern." – "Was haben die Serien damit zu tun?", wundert sich Kobinger-Böhm. "Vielleicht ist der Inhalt in meinen Traum gekommen", lautet die kryptische Antwort. "Nein, ich meine, was für Serien sind das?" – "Türkische Serien." – "Und der Inhalt?" – "Liebe. Und Drama."

Verwandtenbesuche bis Mitternacht

Andererseits sagt er, das Paar, das vier Kinder im Alter von sechs bis 21 Jahren hat, sei im Jänner "sehr glücklich gewesen". Nur ein Problem habe es gegeben: die vier Geschwister der Frau, die in der Nähe wohnten. "Die sind immer zu uns gekommen. Und manchmal erst um Mitternacht oder ein Uhr gegangen. Ich habe minderjährige Kinder, die sollten um neun Uhr ins Bett!", beschwert er sich.

Und überhaupt: Für die Geschwister würde die Frau oder die älteste Tochter kochen und "Kindergartentante spielen". Er hätte für die Gattin andere Pläne: "Sie könnte arbeiten gehen, aber sie will nicht und sagt, sie leidet an Depressionen", hält P. fest. Ob Frau P. mittlerweile die Scheidung eingereicht hat, weiß er nicht, er ist derzeit jedenfalls dagegen. Er will alles nochmals besprechen. Und: "In meiner Eigentumswohnung bleibt sie sicher nicht, wenn sie sich trennen will."

Richterliches Wasser für aufgeregte Zeugin

Die Aussage der Frau hört sich deutlich weniger nach einer glücklichen Beziehung an. "Wir streiten sehr oft", lässt sie übersetzen, ehe sie vor Aufregung beinahe einen Asthmaanfall bekommt. Nachdem Kobinger-Böhm mit einem Glas Wasser ausgeholfen hat, beruhigt sich die Zeugin wieder. "Er mischt sich in vieles ein, wohin ich gehen möchte, in meine Familie", erzählt sie.

Als sie am 4. Jänner von Trennung sprach, habe er gesagt: "Bei uns gibt es keine Scheidung, zuerst werde ich dich und dann mich umbringen." – "Wie war Ihre Reaktion?", interessiert die Richterin. "Meistens bin ich still und schweige, da er sehr aggressiv ist und Sachen zerschlägt." Daher sei sie erst im April zunächst selbst ausgezogen und habe P. angezeigt. "Warum nicht früher?", will Kobinger-Böhm wissen. "Ich habe mich nicht getraut und musste zuerst meinen Mut sammeln." Demnächst will sie auch eine Scheidungsklage einbringen.

Für die Richterin wirkt die Frau glaubwürdig, sie verurteilt P. nicht rechtskräftig zu drei Monaten bedingt. "Eine Diversion oder eine Geldstrafe kommen für mich nicht infrage, da Sie keine wirkliche Einsicht zeigen", begründet sie die Entscheidung. (Michael Möseneder, 29.5.2019)