Sage keiner, schrottreife Autos seien zu nichts gut: Mit dem Ernst verhinderter Hohepriester wenden die Darsteller Karosserien und fördern Schätze zutage.

Foto: Stephan Glagla

Es lassen sich bestimmt stimmungsvollere Schauplätze für eine Messfeier denken als eine Parkgarage. In den Gösserhallen der Wiener Festwochen misst der Autoabstellplatz stolze 50 Meter in der Tiefe. Leuchtstoffröhren funzeln in himmlischer Höhe. Drei Wagenkolonnen bilden eine Phalanx; jedes der mutmaßlich ausrangierten Fahrzeuge trägt einen blütenweißen Überzug.

In Romeo Castelluccis szenischer Meditation La vita nuova könnte jedes Auto genauso gut einen liturgischen Gegenstand darstellen. Denn bald schreiten hochgewachsene Priestergestalten zwischen den Stellplätzen: fünf zunächst stumme Zeugen einer spirituellen Erneuerung, Geburtshelfer einer von allen profanen Zwecken gereinigten Welt.

Fundstücke des Alltags

Castellucci, der mittlerweile auch in Salzburg bejubelte Regisseur aus Cesena, gehört seinerseits einer Kaste von Theaterwunderheilern an. In seinen szenischen Allegorien versammelt er Fundstücke aus der Alltagswelt. Er nimmt Belege für unser angeblich reibungsloses Zusammenleben her und türmt sie zu potemkinschen Dorfbauten auf.

Diese makellosen Zeugnisse einer bemerkenswert bildnerischen Fantasie setzt Castellucci heftigen Zerreißproben aus. Der Kopf der Societas Raffaello Sanzio kann und will sich mit der spirituellen Verarmung und Ausdrucksdürre unserer Kultur keineswegs abfinden. Er konfrontiert sie mit Sinn: mit Praktiken einer unsichtbaren, weil magischen Verwandlungskraft.

Dabei geht Castellucci sparsam vor. Eine Produktion wie La vita nuova nimmt keine ganze Stunde in Anspruch. Sie zeigt fünf schwarze Hirten in schlohweißen Messgewändern, die mit Proben eines unbekannten Ritus vor die an der Stirnseite des Raums versammelten Zuschauer treten.

Hohepriester mit Bäumchen

Gemeinsam recken diese verhinderten Hohepriester die Arme gen Himmel. Oder sie greifen in schöner Eintracht nach einem goldenen Reif, der viel zu kostbar und zu schwer wirkt, um ein einfacher Gardinenring zu sein. Ein vergoldetes, dürres Bäumchen (ein Echo auf Samuel Beckett und Godot?) findet seinen Platz in einer Zuschauerhand.

An einem sinnfälligen Punkt der Performance kommen endlich auch zwei (von knapp 30) der geparkten Autos ins Spiel. Die von ihren motorischen Innereien befreiten Vehikel werden mit vollem sakralen Ernst gestürzt, gewendet und hochkant gestellt. Die Unterseite eines solchen Autos "entblößt" eine hellenistische Büste, oder ein Sack Orangen wird sichtbar. Eine solche, aus dem Netz befreite Frucht lässt sich natürlich auch hervorragend von einem Reifen zerquetschen. Sage keiner, schrottreife Autos seien zu nichts gut.

Gegen Ende dieser sehr berührenden Daseinsfeier, die an Beispiele einer flehentlichen Renaissance-Malerei denken lässt, kommt endlich auch Text ins Spiel. Vom "Ort der Freiheit" handelt der reichlich dunkle Sinn des auf Französisch vorgetragenen Pamphlets. Gerungen wird um den Sinn und den Gebrauch von Gegenständen. Mit denen müsste jedermann so zu hantieren verstehen, dass sie Kunstwerke wären.

Sand ins Getriebe

Der Text von Romeos Schwester Claudia Castellucci sträubt sich heftig gegen jedes vorschnelle Verständnis. Ist das "Ornament" das Produkt einer Tätigkeit, die ihrem Urheber künstlerische Ehre einlegt? Was versteht sich an Kunstwerken und durch Kunstwerke von selbst? Ein Verkünder predigt von einem umgeworfenen Autowrack herab, und in schöner Synchronisation stottert und sprotzt (vom Band) der angelassene Motor. Die Priester treten lautlos ab und verschwinden in der Tiefe des Raums. Nicht der geringste Hauch von Kohlenmonoxid trübt die berückende Wirkung dieser szenischen Installation.

Romeo Castelluccis Theater streut weiterhin Sand ins Getriebe. Die geheimnisvolle Antriebskraft seiner Kunst ist nicht fossilen, sondern strikt spirituellen Ursprungs. (Ronald Pohl, 30.5.2019)