Das Kitschnarrativ, das Kurz nun zur Befeuerung seines eben eröffneten Wahlkampfes ausstreut, zeugt von nichts anderem als von der Verachtung der Intelligenz ebenjenes Volkes, in dessen Menge er demnächst zu baden gedenkt.

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Geblendet von der Schönheit unserer Verfassung, schenken sich derzeit viele den Blick in die hässliche Realität, hochgestimmt von der Eleganz ihrer Paragrafen sehen Wähler im verschwitzten Schmuddel ibizenkischer Geselligkeit keinen Grund zu einer Änderung ihres Verhaltens, und der klaren Pathoslosigkeit ihrer Sprache hält ein Ex-Bundeskanzler das Geflunker von seiner märtyrerhaften Selbstlosigkeit im Interesse des Landes entgegen. Versehen mit den Tröstungen des Bundespräsidenten, der mit seinem "Wir sind nicht so" wenigstens vor dem Ausland zu retten versuchte, was noch zu retten sein könnte, schickt man sich an, das eben Gescheiterte zu wiederholen, und in verstärkter Form.

So wie der hl. Sebastian nicht an den Pfeilen der mauretanischen Bogenschützen gestorben ist, sondern von einer frommen Witwe für seinen nächsten Anlauf zum Märtyrertum gesundgepflegt wurde, fühlt sich der allerheiligste Sebastian 2.0 von den Pfeilen der Opposition zu einem nächsten Anlauf ermuntert, ohne der Mahnungen des Bundespräsidenten zu achten, es reiche in einer Demokratie eben nicht, mit anderen nur dann zu reden, wenn man sie gerade braucht. Das könne sich gar nicht auf ihn beziehen. Die Frage ist nur: Auf wen weit und breit sonst?

Das große Davonstehlen soll beginnen

Die Schnoddrigkeit, mit der da ein Staatsoberhaupt abgeschasselt wird, der sich bemüht, die misstönende Hinterlassenschaft von siebzehn Monaten türkis-blauer Harmoniemusik aufzuräumen, ist nicht weniger einmalig wie der erfolgreiche Misstrauensantrag gegen ihren Dirigenten, nur weit schlechter zu begründen. Und so wie Kurz sich immer aus der Verantwortung für den von ihm erkorenen Koalitionspartner gestohlen hat, soll jetzt das große Davonstehlen beginnen. Parlamentarismus ist einfach nicht sein Stil, die Ablehnung, die er Montag im Nationalrat erfahren musste, das ist "die Schattenseite der Politik" (Salzburger Nachrichten). Also will er bis zu den Wahlen keine Parteien mehr kennen (außer der eigenen in dienender Rolle), sondern nur noch das Volk. Das Wort Quatschbude hängt in der Luft.

Das Kitschnarrativ, das Kurz nun zur Befeuerung seines eben eröffneten Wahlkampfes ausstreut, zeugt von nichts anderem als von der Verachtung der Intelligenz ebenjenes Volkes, in dessen Menge er demnächst zu baden gedenkt. "Ich werde in den kommenden Monaten kein Gehalt beziehen", bemüht er sich, sein Märtyrertum um einen finanziellen Aspekt zu verschärfen. Aber nur, um sofort von der Sorge um ihn zu erlösen: Er sei ein sparsamer Mensch und habe genug, um davon drei Monate leben zu können. Geht's noch?

Originell wie Straches Ausreden

So schlecht verdienen Bundeskanzler in Österreich nicht, dass er nicht länger durchhalten sollte, aber mit affektierter Bescheidenheit beim "Volk" Eindruck schinden zu wollen, ist originell wie Straches Ausreden. Es sollte wirken, will er doch jetzt einmal "für uns als Bewegung" werben – heißt, für sich als einer, dem ein Mandat egal ist. Aber auch der Populist, der über den Parteien zu stehen heuchelt, wird nach der Wahl ganz banal wieder eines annehmen.

Übrigens: Das Märtyrertum von Kurz nimmt sich neben dem der SPÖ wie ein Honiglecken aus. Dort pflegt man die masochistische Variante. (Günter Traxler, 30.5.2019)