Christi Himmelfahrt 2019, wer hätte es sich vor kurzem gedacht, wird als jener Tag in die Annalen des Landes eingehen, an dem die erste Bundeskanzlerin Österreichs vorgestellt wurde. Frau Doktorin Brigitte Bierlein also. Auf die 69-jährige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs konnten sich Donnerstagmittag schließlich alle Parteichefs und -chefinnen einigen.

Dabei hatte es zuvor schon geheißen, es werde doch ein Mann: Am Vormittag wurde das Gerücht kolportiert, der einstige Eurogruppenchef und langjährige Sektionschef im Kanzleramt Thomas Wieser soll die Regierung anführen. Dann war plötzlich wieder alles anders.

Der Präsident wollte eine Frau

Es soll jedenfalls ein intensiver Wunsch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen gewesen sein, eine Frau an die Spitze des Übergangskabinetts zu stellen. Schließlich ist ihm das mit der als konservativ geltenden Juristin doch noch gelungen. Bierlein wird Van der Bellen in den kommenden Tagen nun Kandidaten für die einzelnen Ressorts vorschlagen, wobei aber auch hier bereits zahlreiche Vorgespräche stattfanden.

Einig ist man sich bereits, dass der ehemalige Verwaltungsgerichtshofspräsident Clemens Jabloner das Amt des Vizekanzlers und Justizministers übernehmen soll. Er wird der SPÖ zugerechnet, konnte sich als korrekter Jurist aber einen guten Ruf über die Parteigrenzen hinweg erarbeiten. Botschafter Alexander Schallenberg, derzeit Leiter der Europasektion im Bundeskanzleramt und enger Mitarbeiter von Exkanzler Sebastian Kurz (ÖVP), ist als Außen- und Europaminister vorgesehen.

Das ist noch nicht die Angelobung der ersten Kanzlerin Österreichs. Die folgt kommende Woche. Am Donnerstag wurde Brigitte Bierlein vorgestellt.
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Kleine "Vertrauensregierung"

Es zeigt sich schon hier, was bereits im Vorfeld angekündigt war: Ministerien werden zusammengefasst. So wird Jabloner die Agenden von Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Josef Moser (ÖVP) übernehmen. Schallenberg bekommt die Bereiche von Karin Kneissl und Gernot Blümel (ÖVP). Schlussendlich dürfte es somit weniger als die bisher 14 Minister plus Kanzler geben. Das gesamte Team wird laut Plan Anfang kommender Woche stehen und angelobt.

Van der Bellen hatte es sich zum Ziel gemacht, bis zu den Neuwahlen im September eine "Vertrauensregierung" zu installieren. Als Chefin dieser habe er eine Person gesucht, die über umfassendes Wissen verfüge und von der sorgfältigster Umgang mit der Bundesverfassung zu erwarten sei. "Und wer wäre dafür besser geeignet als die oberste Hüterin der österreichischen Bundesverfassung?", fragte der Bundespräsident – wohl rhetorisch – während seiner Ansprache in der Präsidentschaftskanzlei, bevor er das Wort an Bierlein übergab.

Die wird nun noch vor der Angelobung ihr Amt im Verfassungsgerichtshof zurücklegen. Ende des Jahres hätte sie es allerdings ohnehin abgeben müssen. Bierlein feiert im Juni Geburtstag – und im Dezember jenes Jahres, in dem Verfassungsrichter das 70. Lebensjahr vollenden, müssen sie den Dienst quittieren. Für die Mitglieder des Höchstgerichts gilt zwar kein Berufsverbot, doch mit dem Amt der Bundeskanzlerin wäre die Position nicht vereinbar gewesen. Die Geschäfte der Regierungschefin in spe übernimmt nun ihr Stellvertreter Christoph Grabenwarter, der seit 2005 als Verfassungsrichter tätig ist.

In der Hofburg zeigte sich Bierlein ehrfürchtig: "Ich sehe es als meine staatspolitische Verantwortung in dieser bisher einmaligen Situation in der Geschichte der Zweiten Republik, meinen Teil beizutragen und diese hohe Verantwortung zu übernehmen." Für sie habe es – in Anspielung an die von Van der Bellen ausgerufene Vertrauensregierung – nun oberste Priorität, das Vertrauen der Österreicherinnen und Österreicher zu gewinnen.

Die Noch-Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes will nun das Vertrauen der Österreicher und Österreicherinnen gewinnen.
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Gerangel bis zuletzt

In den drei Großparteien sollen – nach einem gewissen Gerangel bis zuletzt – nun vorerst alle zufrieden sein. Bierlein hatte in der Vergangenheit Rückendeckung von ÖVP wie auch FPÖ, mit Jabloner soll die SPÖ sehr glücklich sein, Schallenberg ist ein Zugeständnis an Sebastian Kurz.

Der ÖVP-Obmann lobte Bierlein kurz nach Verkündung der Staatspersonalie als "außerordentlich kompetente, erfahrene und integre Persönlichkeit". Chefsozialdemokratin Pamela Rendi-Wagner reagierte mit Freude, dass eine Frau zum Zug kam. Sie sei überzeugt, dass mit Bierlein an der Spitze die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament wieder von Dialogbereitschaft gekennzeichnet sein werde. Das Gegenteil hatte die SPÖ ja Kurz vorgeworfen – und ihm vor allem deshalb das Vertrauen entzogen. Voll des Lobes war auch der designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer: Bierlein sei hoch angesehen, bestens qualifiziert und integer.

Bierlein selbst will sich vorerst nicht äußern und keine Interviews geben. Nach Findung und Angelobung ihres Teams werde man "noch ausreichend Zeit haben, miteinander zu sprechen", versicherte sie.

Wie lange genau, steht übrigens noch immer nicht fest: Der von Van der Bellen ursprünglich angedachte Wahltermin Anfang September dürfte jedenfalls vom Tisch sein. Frühestens soll am 15. gewählt werden – allenfalls auch erst am 22. oder 29. September. Entschieden wird nun kommende Woche. (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 30.5.2019)