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"Donald Trump" ist der meistgeklickte Artikel über eine Persönlichkeit, seit die Wikipedia Aufzeichnungen dazu führt.

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Oberflächlich liest sich die englischsprachige Wikipedia-Seite über den US-Präsidenten Donald Trump wie akkurate Biografie und Beschreibung vom bisherigen Leben und Wirken des umstrittenen Geschäftsmannes im Weißen Haus. Es ist der populärste Eintrag über eine Persönlichkeit, seit man 2007 mit der Erhebung genauerer Zugriffsstatistiken begonnen hat. Anfang 2019 lag sie bei 156 Millionen Zugriffen.

Doch hinter der Informationssammlung tobt ein erbitterter Kampf, dokumentiert Slate. Fast jede Formulierung, insbesondere wenn sie aktuelle Ereignisse betrifft, führt zu textreichen Auseinandersetzungen vieler Autoren. Diese werden teils so intensiv geführt, dass das Medium die Seite als digitales "Kriegsgebiet" bezeichnet.

Helsinki-Gipfel

Einer der bisher größten Anlässe für heftige Debatten – neben dem laufenden Impeachment-Verfahren – war etwa der viel beachtete Auftritt von Trump bei US-Russland-Gipfel in Helsinki im Juli 2018. Damals gab der US-Staatschefs vor versammelter Weltpresse und Russlands Präsident Wladimir Putin zu Protokoll, dass er keinen Grund dafür sehe, warum Russland die Präsidentschaftswahl 2016 beeinflusst haben sollte.

Mit dieser Position begab er sich auch in Widerspruch zu den Feststellungen der US-Nachrichtendienste, die allesamt russische Einflussnahme als erwiesen ansehen. Der Ex-CIA-Chef John Brennan sah Trump angesichts seiner Aussage nahe am Landesverrat wandeln und selbst gestandene republikanische Trump-Befürworter wie Paul Ryan und Newt Gingrich übten deutliche Kritik.

"Enzyklopädiewürdig" – oder nicht?

Ob und wie die Aussagen im Wikipedia-Eintrag abgebildet werden sollten, darüber waren sich die Autoren alles andere als einig. So plädierte etwa ein User dafür, Zitate wie "verräterisch" oder "beschämend" mit aufzunehmen. Drei Minuten später entgegnete ein anderer, dass man nicht das "lass‘ uns die lächerlichsten Kommentare verbreiten"-Spiel der Medien mitspielen sollte, zumal ja eigentlich nichts wirklich neues passiert sei. Die Zielsetzung der Wikipedia an sich lautet, verlässliche Informationen in einem möglichst neutralen Ton abzubilden.

Und so schlug sich ein Teil der Autoren auf die Seite jener, die einen "langfristigen enzyklopädischen Wert" in der Einarbeitung des Helsinki-Gipfels sahen und andere, die ihn nicht für erwähnenswert hielten. Es folgten persönliche Beleidigungen und gegenseitige Beschuldigungen, Fans oder Verächter des US-Präsidenten zu sein. Schließlich schritten Administratoren – gewählte Nutzer mit meist langjähriger Erfahrung und erweiterten Rechten – ein und brachten die Frage, ob die Ereignisse in Finnland abgebildet werden sollten, zur Abstimmung.

Ja- und Nein-Stimmen hielten sich ungefähr die Waage, jedoch erfolgen Entscheidungen nicht ausschließlich nach Stimmgewicht, sondern nach Qualität der Pro- und Contra-Argumente. Am Ende wurde entschieden, Helsinki zu erwähnen. Im Artikel hieß es nun, dass Trump auf dem Gipfel den Eindruck erweckte, er würde die russische Wahlbeeinflussung abstreiten, was zu "starker Kritik", auch aus eigenen Reihen und ihm üblicherweise freundlich gesinnten Kommentatoren in den Medien führte.

Als statt Trump ein Penisfoto auftauchte

Es ist nicht der einzige Anlass, zu dem teils intensiv gestritten wird. Auch der Nordkorea-Gipfel, Trumps Aussagen zur Herkunft seines Vorgängers Barack Obama oder seine Beliebtheit bei weißen Nationalisten sind Themen, bei denen Teils um jedes Wort die Meinungen aufeinander krachen.

Mitunter schwappt der Konflikt auch von der Diskussionsseite in andere, mitunter nicht unbedingt gesetzeskonforme Gefilde über. Im vergangenen November verschafften sich Unbekannte Zugriff auf das Konto eines hochrangigen Autors der Seite und tauschten das Hauptbild von Trump mit einem Penisfoto aus. Das führte auch dazu, dass selbiges unter anderem von Sprachassistenten wie Siri oder dem Google Assistant verbreitet wurden, die für die Beantwortung von Fragen auch auf den Wikipediaeintrag zurückgreifen.

Schnell wurde befürchtet, dass die Berichterstattung über diesen Vorfall zu Nachahmungen führen könnte. Die Seite wurde vorübergehend unter "full protection" gestellt, die höchste "Sicherheitsstufe", die es bei der Wikipedia gibt. Er bedeutet, dass jede Änderung an der Seite von höherrangigen Nutzern bestätigt werden muss, bevor sie für Besucher sichtbar wird. Der Bestätigungsprozess soll auch dazu dienen, potenzielle Beeinflussung der Texte durch organisierte Befürworter oder Gegner von Trump zu unterbinden.

Streit um jedes Wort

Insbesondere die einleitenden Paragraphen des Eintrags sind besonders häufig Ziel von Änderungsvorschlägen. Insbesondere jener, der seinen Eintritt und Erfolg bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 beschreibt. Umstritten ist hier fast jedes Adjektiv, insbesondere jene, mit denen etwa seine politischen Positionen oder die Aussagen von Kritikern subsummiert werden.

Trumps regelmäßige Ausritte gegen kritische Medien erschweren die Lösungsfindung zusätzlich. Offiziell empfehlen die Wikipedia-Richtlinien, sich möglichst auf "verlässliche Quellen" zu beziehen, genannt werden etwa die New York Times und die Washington Post. Beide allerdings wurden von Trump schon der Verbreitung von "Fake News" bezichtigt und in weiterer Folge beziehen das auch Wikipedia-Autoren in ihre Standpunkte ein. Sich auf diese Medien zu verlassen, die ohnehin gegen Trump seien, sei eine Bedrohung für die Neutralität der Wikipedia.

Am Ende steht zerknirschte Zustimmung

Was das Phänomen Trump von anderen heiß debattierten Artikeln – etwa zu Abtreibung oder Klimawandel – unterscheidet, ist die schiere Menge an Neuigkeiten, die er und seine Regierung "produzieren". Es führt dazu, dass eine Debatte um die Inklusion eines Ereignisses noch gar nicht abgeschlossen ist, während schon über die nächste Entwicklung und ihren enzyklopädischen Wert gestritten wird.

Diese Dynamik führt dazu, dass auch Trumps Wikipediaeintrag sich ständig ein wenig ändert und natürlich anwächst. Mehr als 28.000 nachträgliche Änderungen gab es auf Trumps Seite bereits, reichend von der Ausbesserung von Tippfehlern bis zu komplett umgeschriebenen Paragraphen. Und das zeigt auch die positive Seite des dahinter schwelenden Kriegs der Autoren. Fast jede aufgeregte Debatte führt zu einem Konsens, dem alle Seiten zerknirscht zustimmen können. (red, 02.02.2020)