Magie des Crossdressings: Jacques Offenbachs "Die Insel Tulipatan" im Letzten Erfreulichen Operntheater in Wien – das Publikum darf auch mitquaken.

Christian Fuchs

Sie verhalten sich beide ein wenig eigen: Alexis, der Erbprinz von Tulipatan, ist ganz zart besaitete Schüchternheit. Und Hermosa, die Tochter des höchsten Hofbeamten des kleinen Inselstaats, liebt die Jagd und ballert gern herum. Das junge Tulipatan der gehobenen Stände ist irgendwie andersrum. Hat hier die Gesellschaft als Konstrukteurin von Geschlechteridentitäten gleich doppelt versagt?

Nein, die Wahrheit über die untypischen Verhaltensweisen liegt in zwei Lügen begründet: Alexis ist eigentlich ein Mädchen. Ihrem Vater, dem Herzog Cacatois XXII., wurde nach der Geburt von zwei Töchtern die Ankunft eines männlichen Thronfolgers vorgegaukelt. Und Hermosa wurde von ihrer Mutter zum Mädchen erklärt, um ihrem eigentlich männlichen Kind den gefährlichen Dienst an der Waffe zu ersparen.

Amour fou

Als sich der scheue Alexis und die draufgängerische Hermosa kennenlernen, fühlen sie sich voneinander angezogen. Es bahnt sich eine Amour fou an, die von elterlicher Seite erst unterbunden wird. Da man noch nichts von der wahren geschlechtlichen Identität des anderen weiß, fürchtet man homosexuelle Offenbarungen ...

Ja: In Jacques Offenbachs Einakter Die Insel Tulipatan ist alles ein wenig pervers, aber so gehörte sich das in der anfänglich subversiven Gattung der Operette. 1868 wurde der Einakter am Théâtre des Bouffes-Parisiens uraufgeführt, kein Jahr später folgte die hiesige Erstaufführung im renommierten Carl-Theater unter der Leitung des Komponisten. Die Kritik schätzte das Werk als "vielleicht nicht die musikalisch gelungenste, aber unstreitig die lustigste Operette, die Offenbach komponierte", ein.

Quetschstimme

Im Letzten Erfreulichen Operntheater delektiert sich das Ensemble mit Verve an den klamaukigen Späßen des Librettos. Allen voran erfreut Paul Müller als Herzog mit Quetschstimme, Birnbauch und komödiantischem Spiel. Max Sahliger pflegt als Großseneschall Romboidal den hohen Burgtheaterton von anno dazumal, Elisabeth Wolfbauer leidet als seine Gattin exaltiert, Raimund Stangl gibt die Hermosa überzeugend robust. Elena Schreiber hat sich in der Geschichte von Wiens führendem Opernhinterzimmer große Verdienste erworben, in der Partie des/der Alexis würden jüngere Kräfte das Publikum aber möglicherweise noch mehr erquicken.

Setzten im Letzten Erfreulichen Operntheater schon Steven Delaney und Kaori Asahara Maßstäbe am kleinen Schwarzen und stellten unter Beweis, dass Oper und Operette auch auf einem Scherben gefühlvoll zu begleiten ist, so ist Yu Chen bei der Offenbach-Produktion am Klavier Empfindsamkeit in Person und Ton: Feinfühliger kann man ein Orchester samt Dirigenten nicht ersetzen.

Partizipation

Publikumsbeteiligung wird im L.E.O. ja schon seit jeher großgeschrieben. Bei Die Insel Tulipatan darf die werte Zuhörerschaft quaken, und zwar gleich doppelchörig: Sie tut es mit hörbarer Freude. Zwei weitere amüsante Abende in der Ungargasse bei Gesang, Wein und Schmalzbrot sind also garantiert. (Stefan Ender, 1. 6. 2019)