Die Menschheit hat den Mond betreten, Roboter auf den Mars geschickt und zwei Sonden aus dem Sonnensystem geschossen. Erstmals belegten Fotos schon vor 84 Jahren bildlich etwas, was für die Wissenschaft schon seit vielen Jahrhunderten als erwiesen gilt: Wir leben auf einer Erdkugel. Genauer genommen: auf einem Ellipsoiden mit sehr unregelmäßiger Oberflächenausprägung.

1935 stieg der Ballon "Explorer 2" auf rund 22 Kilometer Höhe in die Stratosphäre auf. Dort entstandene Fotos zeigen bereits deutlich die Erdkrümmung. 1947 schoss die Nasa (damals noch Naca) eine von der deutschen Wehrmacht erbeutete und umgebaute V2-Rakete gar über 160 Kilometer hoch und lieferte einen noch deutlicheren Fotobeleg dafür, dass auch die letzten verbliebenen Anhänger der "flachen Erde" falsch lagen.

Ein Bericht zum 75-jährigen Jubiläum der "Explorer 2"-Ballonmission.
Captain-Crystal Stout

Überzeugt werden konnten manche davon dennoch nicht. Doch in den folgenden Jahrzehnten versank die Bewegung, die sich zehn Jahre später, 1957, formell als Flat Earth Society gegründet hatte, in der Versenkung. Doch durch das Internet – und insbesondere soziale Netzwerk – gewinnen die "Flat-Earther" wieder deutlichen Zulauf.

Alarmierende Ergebnisse

Die Meinungsforschungsplattform Yougov hat Anfang 2018 eine Umfrage unter 8.200 repräsentativ ausgewählten, erwachsenen US-Amerikanern durchgeführt. Das Resultat: Nur 84 Prozent sind felsenfest von der Kugelform unseres Planeten überzeugt. Fünf Prozent gehen von ihr aus, haben aber zu zweifeln begonnen. Zwei Prozent wieder halten die Welt für flach, sind sich aber unsicher. Zwei Prozent hingegen geben sich sicher, dass wir auf einer Scheibe leben.

Unter "Millennials", worunter hier die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen verstanden wurde, sollen gar nur zwei Drittel (66 Prozent) unumstößlich die runde Erde anerkennen, wohingegen es unter der ältesten erfassten Generation, 55 plus, 94 Prozent sind. Die Umfrage wird allerdings von Scientific American kritisiert, der Diskrepanzen zwischen dem kommunizierten Gesamtergebnis und den Teilergebnissen entdeckt hat. Doch selbst unter Berücksichtigung dieser Abweichungen sieht man die allgemeine Entwicklung dort sorgenvoll.

Ein Fernsehbericht zum Start der umgebauten V2-Rakete.
AIRBOYD

Eine Scheibe mit Eiswall

Doch wie sieht die These der Flat-Earther eigentlich aus? Die Modelle der Welt, die man pflegt, sind nicht immer ident. Die populärste Idee ist aber, dass die Menschheit auf einer runden Scheibe lebt, deren Mitte die Arktis bildet. Ihr äußerer Rand wiederum besteht aus der Antarktis und einem großen Eiswall. Darüber kreisen Sonne und Mond, die demnach recht klein und von der Erde nicht weiter als ein paar tausend Kilometer entfernt sind.

Damit gelingt eine notdürftige Erklärung von Tag- und Nachtwechsel, schon bei Sonnen- und Mondfinsternissen versagt das Modell allerdings. Aufrechterhalten lässt es sich ohnehin nur mithilfe von Verschwörungstheorien. Die Fotos der Erde und Erdkrümmung seien gefälscht, der Grund für die weltweite Verschwörung sei ihre Nützlichkeit als Ablenkungsmanöver von anderen Entwicklungen, etwa durch neue Bilder vom Mars. Und immerhin würden zahlreiche Weltraumagenturen und Forschungseinrichtungen mit abertausenden Arbeitsplatzen finanziell an der Fortführung einer großen Lüge interessiert sein. Und der Rand der Scheibe wird mutmaßlich von Militärtruppen bewacht.

Pseudowissenschaft und Religion

Wo das Modell wissenschaftlich nicht mit der Realität mithalten kann, greifen manche zu Religion. Laut der Yougov-Umfrage ist eine deutliche Mehrheit der Flacherde-Anhänger gläubig. Immer wieder wird auch mit Bibelzitaten argumentiert, die als Beleg für die göttliche Gestaltung unseres Lebensraumes als Scheibe dienen sollen.

Diese oft von Kritikern der Flat-Earth-Bewegung herangezogenen "Beweise" sind aber auch laut Erfahrenen Bibelkennern längst nicht eindeutig. Im Gegenteil der gläubige Physiker und Astronom Danny Faulkner ist sogar der Ansicht, dass das wichtigste Buch des Christentums in dieser Frage sogar wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt, wie er in einem ausführlichen Artikel auf der Seite "Answer in Genesis" darlegt.

Das populärste Modell der flachen Erde (hier perspektivisch geneigt) geht davon aus, dass Landmasse und Ozeane von einem riesigen Eiswall umringt sind.
Foto: Flat Earth Societa, Nasa - Montage: STANDARD

Mehr Zulauf dank digitaler Vernetzung

Doch wieso genießt ein Modell, das universal seit Ewigkeiten widerlegt ist, wieder Zulauf? Erkenntnisse der letzten Jahre legen nahe, dass es primär soziale Netzwerke sind, die dazu beitragen. 2004 trat die Flat Earth Society mit einem einfachen Onlineforum ins Internetzeitalter ein und bot ihren Anhängern damit erstmals eine effiziente Plattform für weltweite Vernetzung, berichtet der Autor Matt Weber.

Hatte man in den 1990ern noch rund 3.500 angemeldete Mitglieder, konnte man dank der weltweiten Vernetzung seine Botschaft nun besser in die Welt tragen. Möglichkeiten, die mit dem Aufkommen von Facebook und Co, deutlich größer wurden. Jahrelang galten dort Verweilzeit und Klicks als Maßstab aller Dinge für Betreiber und ihre Werbekunden. Erst seit relativ kurzer Zeit scheint man sich des Problems von "Fake News" und Verschwörungstheorien bewusster zu sein und ergreift Maßnahmen. Gelöscht wird allerdings selten, häufig werden problematische Inhalte aber zumindest in ihrer Sichtbarkeit reduziert oder mit Hinweisen auf Faktenchecks versehen.

Kritik an Youtube

Eine besonders tragende Rolle beim Comeback der Flat-Earther soll Youtube eingenommen haben, so das Ergebnis einer Untersuchung der Forscherin Asheley Landrum von der Texas Tech University. Sie befragte dazu unter anderem 30 Besucher auf zwei Jahrestreffen der Flat Earth Society. 29 davon glaubten nicht an die flache Erde, ehe sie – meist beim Betrachten anderer Verschwörungsvideos – durch den Empfehlungsalgorithmus mit der These konfrontiert wurden, laut der die Erde mehr einer Pizza, als einem Ball gleicht.

Einer der populärsten Clips, die offenbar überzeugend genug wirkten, ist ein knapp zweistündiges Video, in dem 200 angebliche Beweise für die Erdscheibe vorgebracht werden. Auch diese mischen nur oberflächlich logische Beobachtungen mit Pseudowissenschaft, Verschwörungen und Religion. Es lieferte scheinbar einleuchtende Antworten auf Fragen wie: "Warum sieht man mit freiem Auge am Horizont die Erdkrümmung nicht, wenn man am Strand steht?".

Anschauungsmaterial: Ein Video, das mit 200 Punkten die flache Erde "beweisen" soll.
Planet Plane

Der Algorithmus macht es leicht, sich darin zu verlieren, weil er Menschen, die ohnehin schon empfänglich für Verschwörungstheorien sind, immer weitere Videos dieser Art präsentiert, fasst Landrum zusammen. Zwar sollte man als Medienkonsument stets kritisch gegenüber präsentierten Inhalten sein, jedoch sei eine gewisse Balance notwendig – also Hinweise auf Videos, die der Flat-Earth-These widersprechen.

Verschwörungen kommen selten allein

Die Bewegung ist aber kein reines US-Phänomen. Auch im deutschen Sprachraum haben sich Communities gebildet, die auf Facebook Gruppen mit mehreren tausenden Mitgliedern haben. Diese schotten sich, wohl auch aufgrund vieler hämischer Kommentare von Verfechtern des realen Erdballs, ab. Eine der größten verlangt von Beitrittswilligen die Beantwortung von drei Fragen zur Feststellung ihrer Überzeugung. Erst nach Prüfung durch einen Administrator erhält man Einsicht und Mitwirkungsmöglichkeit.

Was sich in den entdeckten Gruppen gezeigt hat und auch Landrums Beobachtungen entspricht: Dort, wo die Erdscheibe für bare Münze genommen wird, florieren auch andere Verschwörungstheorien – reichend von Chemtrails bis hin zu – mitunter rechtsextrem konnotierten – Weltverschwörungen.

Die internationale Flat Earth Society bemüht, sich als Organisation nach außen als seriös darzustellen und rein an wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert zu sein. Während man diese hinsichtlich der erwiesenen Kugelform der Erde allerdings nicht gelten lässt, erkennt man immerhin den menschgemachten Klimawandel an.

Neil deGrasse Tyson zerlegt die Flat-Earth-These.
Comedy Central

Von "Astro Toni"...

Längst hat die Szene auch ihre Helden und Influencer, auch wenn deren internationale Bekanntheit vergleichsweise klein ist. Ein Schweizer Youtuber namens "Astro Toni" lässt sich etwa regelmäßig in propagandistischer Manier über "Globusratten" oder "Intelligenzmigranten mit Gravitationshintergrund" aus, die die "Flache-Erde-Löwen" unterdrücken.

Dabei greift er auch schon zu offenkundig irreführenden Methoden, etwa willkürlich ausgesuchte Bilder der Erde, die er mit dem Onlinetool Fotoforensics "analysiert". Seine Ergebnisse, die sowohl auf Unkenntnis des Werkzeugs, als auch der Eigenheiten komprimierter Bildformate beruhen, bezeichnet er als "kriminaltechnische" Beweise und unterstellt der Nasa etwa "schweren Betrug" – etwa bei den zuletzt veröffentlichten Aufnahmen, die den Ereignishorizont eines schwarzen Lochs zeigen.

Auf seinem Youtubekanal inszeniert "Astro Toni" den Kampf der "Flache-Erde-Löwen" gegen die "Globusratten".
Foto: Youtube/AstroToni TV

Mit seinen Inhalten erreicht er aktuell 6.500 Abonnenten und teils über 10.000 Klicks pro Video. Wesentlich mehr, als noch vor drei Jahren, als er auf seinem Kanal noch primär Comedyclips und musikalische Aufnahmen hochlud.

...bis zu "Mad Mike" Hughes

Die bekannteste Person der amerikanischen Flat-Earther dürfte hingegen Mike Hughes, vulgo "Mad Mike" sein. Der berufliche Limousinenchauffeur machte Schlagzeilen mit seinen selbst gebauten Raketen. Nach seinem ersten Testflug im Jahr 2014 wollte er 2016 online Geld für ein neues Projekt sammeln, konnte aber kaum Geld einnehmen. Als er sich anschließend öffentlich dazu bekannte, an die flache Erde zu glauben, klappte die Finanzierung allerdings.

Der Start von "Mad Mike" Hughes" im Jahr 2018.
Inside Edition

Der "Rocket Man" hatte angekündigt, mehrere Raketen entwickeln zu wollen, mit dem finalen Ziel, eines Tages die Erdatmosphäre hinter sich zu lassen. Hughes bezeichnet es als Forschungsvorhaben mit dem Ziel, Klarheit ob der Form der Erde zu schaffen. Nach mehreren Verschiebungen und einem Fehlstart erreichte er mit seiner zweiten Rakete im März 2018 eine Höhe von 572 Metern über der Mojave-Wüste, wobei er bei der harten Landung leicht verletzt wurde.

Für letzten April war ein weiterer Start angesetzt, dessen Termin nun aber auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Hughes spielt mit dem Gedanken, beim nächsten Mal in der Antarktis zu starten. Dorthin soll nämlich eine Expedition von Flat-Earth-Anhängern führen, bei dem man hofft, den eisigen Rand der Erde zu finden. Damit will man auch bestätigen, dass man von selbigem Rand nicht hinabfallen kann, da sich über der Erdscheibe ein Art Kuppel befinden soll, die auch Sonne, Mond und Sterne beherbergt.

Die Kugel ist einfach beweisbar

Ob die Maßnahmen von Facebook und Youtube, mit denen die flache Erde und andere Verschwörungstheorien eingedämmt werden sollen, greifen, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Für den Moment jedenfalls scheint die Bewegung Zulauf zu genießen.

Dabei gibt es recht einfache Möglichkeiten, sich vom Globus zu überzeugen, ohne sich selbst mit einer Rakete Marke Eigenbau dutzende Kilometer in die Luft zu schießen. Popular Science listet einige einfache Experimente, deren Ergebnisse die Rundungen des Planeten belegen und die Schwächen der Scheibenwelt-These aufzeigen.

Verschwörungstheorien wird es immer geben

Trotz klarer Beweislage werden die Anhänger der flachen Erde aber auch in 1.000 Jahren nicht ganz ausgestorben sein, vermutet Michio Kaku, Co-Autor der Stringtheorie, einem Erklärungsmodell für die elementaren Bestandteile unserer Welt. Seiner Ansicht nach neigen Menschen schon immer zu Aberglauben, zitiert ihn Bigthink. Kontern kann man dem nur mit wissenschaftlichem Denken, eine für uns eigentlich unnatürliche Technik, die man sich erst aneignen muss. (Georg Pichler, 16.06.2019)

Update, 24.06.: Der Begriff "Theorie" wurde im Hinblick auf die Erdscheibe mit "These" ersetzt, da dies die korrekte Bezeichnung für Annahmen ist, für die greifbare Annahmepunkte fehlen.