Wer steckt hinter dem Ibizagate-Video?

Foto: APA/SPIEGEL/SÜDDEUTSCHE ZEITUNG/HARALD SCHNEIDER

Die Geheimdienste wüssten wohl gerne, wer die entlarvenden Szenen gedreht hat, die innerhalb weniger Tage zum Sturz der österreichischen Regierung geführt haben. Doch die "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel" geben ihre möglichen Informationen zum Ibiza-Video nicht heraus – und das ist ihr gutes Recht: Journalisten dürfen ihre Quellen schützen. Doch genau dieser Grundsatz ist nach Einschätzung aus der Branche derzeit in Gefahr, durch ein neues Gesetz des deutschen Innenministers Horst Seehofer.

Online-Durchsuchungen

Das deutsche Innenministerium regelt darin die Befugnisse des Verfassungsschutzes neu. In dem langen, viele Themen umfassenden Entwurf geht es auch um Online-Durchsuchungen. Die Geheimdienste sollen künftig unter bestimmten Bedingungen Spionageprogramme wie Trojaner in Server, Computer und Smartphones ihrer Zielpersonen einschleusen dürfen. Mehrere Berufsgruppen, deren Arbeit besonders auf Vertraulichkeit angewiesen ist, werden allerdings ausgenommen: Priester, Strafverteidiger, Rechtsanwälte und Abgeordnete zum Beispiel. Nicht aber eine fünfte Gruppe, die eigentlich auch auf der Liste der Berufsgeheimnisträger steht: Journalisten.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sehen das sogenannte Redaktionsgeheimnis in Gefahr. Ohne dass sie eine Straftat begangen haben, könnten Server großer Verlage und Rundfunksender gehackt – und dabei auch die Identitäten von Informanten aufgedeckt werden. Diese müssten also befürchten, dass Journalisten ihre Anonymität nicht mehr schützen können. "Vertrauliche mediale Arbeit wäre in Deutschland nicht mehr möglich, ohne Sorge haben zu müssen, dass staatliche Stellen Erkenntnisse darüber sammeln", kritisiert Reporter ohne Grenzen.

Redaktionsgeheimnis

Ein Informant muss sich darauf verlassen können, dass die Informationen, die er einem Journalisten gibt, vertraulich bleiben. Schon 1966 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, zur grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit gehöre "auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten". Eine Informationsquelle könne nur dann ergiebig fließen, "wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, dass das Redaktionsgeheimnis gewahrt bleibt". Nach der Strafprozessordnung haben Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht.

Kontakte in kriminelle Milieus

Reporter tauchen für ihre Recherchen zum Teil tief in kriminelle Milieus ein – etwa, wenn sie über Clans berichten. Auf ihren Festplatten könnte man möglicherweise Kontaktpersonen und deren Telefonnummern finden, vertrauliche Hintergründe, die ihnen jemand unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten hat – oder wie im Fall Österreichs brisante Videos, die den Redaktionen zugespielt wurden.

Seehofer selbst reagierte auf Twitter: "Wir bekämpfen Terroristen und Extremisten, keine Journalisten", versicherte er. Sein Ministerium stellte zudem klar, es sei nicht die Absicht, den bestehenden gesetzlichen Schutz von Journalisten einzuschränken. "Wir werden Journalisten und das Redaktionsgeheimnis weiterhin besonders schützen", erklärte das Innenministerium.

Befugnisse der Behörden

Bei heimlichen Späh-Aktionen deutscher Behörden – wie des Bundeskriminalamts – muss ein Richter bisher abwägen, ob das Interesse der Strafverfolgungsbehörde schwerer wiegt als das Redaktionsgeheimnis. Anders als bei Abgeordneten, Geistlichen und Anwälten (die generell nicht überwacht werden dürfen) gibt es etwa für Journalisten keinen absoluten Schutz. Geheimdienste hingegen stehen nur unter der Kontrolle der geheim tagenden G-10-Kommission. Der Vorsitzende des vierköpfigen Gremiums ist ein ordentlicher Richter. Wenn der Verfassungsschutz derzeit etwa Telefone anzapfen will, muss die unabhängige Kommission zustimmen. So würde es dann auch bei Online-Durchsuchungen sein.

Ja. Im Mai 2006 veröffentlichte das deutsche Parlament den sogenannten Spitzelbericht des Bundesnachrichtendienstes (BND). Demnach hatte der Auslandsgeheimdienst vor allem in den 1990ern jahrelang systematisch und rechtswidrig Journalisten im Inland observiert, um interne Informanten zu enttarnen. Im April 2008 wurde zudem bekannt, dass der BND monatelang die E-Mail-Korrespondenz einer "Spiegel"-Redakteurin mit einem afghanischen Politiker aufzeichnete. Derzeit klagen ausländische Reporter vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das BND-Gesetz, wonach der Geheimdienst ihr Telefon und Internet im Ausland auch ohne Verdacht anzapfen dürfe.

Presse im Visier der Behörden

Wenn der Staat gegen Journalisten vorgeht, handelt es sich meist um den Verdacht zur Beihilfe zum Geheimnisverrat. So kam es etwa 2005 beim Magazin "Cicero" zu Durchsuchungen, weil ein Redakteur in einem Artikel aus geheimen Unterlagen des Bundeskriminalamts zitiert hatte. Das Bundesverfassungsgericht erachtete die Razzia als rechtswidrig. Die Redaktionsräume des "Spiegel" besetzten die Kriminalbehörden 1962 wegen des Verdachts auf Landesverrat wochenlang. Das Magazin hatte ein Verteidigungskonzept der NATO offengelegt. Die Verfassungsrichter bestätigten zwar die Rechtmäßigkeit der Aktion, betonten aber die Unentbehrlichkeit einer freien Presse für die Demokratie.

Wie es mit dem Entwurf weitergeht

Der Entwurf steckt schon seit Wochen fest. Das Justizministerium hatte ihn zurückgewiesen, weil die im Koalitionsvertrag vereinbarte stärkere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes fehlte. Sobald eine Nachfolgerin für die als Europaabgeordnete nach Brüssel wechselnde Justizministerin Katarina Barley (SPD) gefunden ist, soll es neue Gespräche geben. Die SPD stellte am Freitag schon einmal klar: Mit ihr werde es keine Einschränkung der Journalistenrechte geben. (APA, 31.5.2019)