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Am Freitag demonstrierten Tausende für eine nachhaltige Klimapolitik.

Foto: ap/zak

Youtuber wie Rezo mobilisieren Jugendliche.

Rezo ja lol ey

Bei der Klimademo diesen Freitag nahmen allein in Wien rund 35.000 Menschen teil – die meisten davon aus der Generation Z. Ihr Gefühl: Die Politik kümmert sich nicht um das, was sie ihr Leben lang beschäftigen wird.
Als Alex (18) vergangenen Sonntag in der Wahlkabine stand, da wusste er zumindest, wen er ganz bestimmt nicht wählen würde. Nämlich keinen von denen, die null Tau von dem haben, was ihm wichtig ist: Dem Internet. "Artikel 13 hat gezeigt, dass es Parteien gibt, die nicht das Sagen in Europa haben sollten." Punkt.

Ende März wurde von der EU die Urheberrechtsreform abgesegnet. Vor allem der berüchtigte Artikel 13 (später in Artikel 17 umbenannt) und die Sorge vor "Uploadfiltern", die Inhalte vor Veröffentlichung auf Urheberrechtsverletzungen prüfen und im Zweifel blockieren, hat Jugendliche in Europa auf die Straße getrieben. 4.000 waren es alleine in Wien, in München sogar 40.000. Ein mögliches Ende von Memes, Parodien und Zitaten, die er auf YouTube oder Insta hochladen könnte: Alex hat sonst wenig mit Politik am Hut – aber durch diese Entscheidung sieht er seine digitale Existenz bedroht. Wer das nicht kapiert und die Urheberrechtsreform mit durchgedrückt hat, dem will er seine Stimme nicht schenken.

Eine Generation macht mobil

Es ist was im Gange, bei den Jungen. Wenige Tage vor der Artikel-13-Demo schwänzten alleine in Österreich 20.000 Jugendliche die Schule, um eine bessere Klimapolitik zu fordern. Beim zweiten Friday for Future im Mai waren es immer noch 15.000, diesen Freitag sprach die Galionsfigur der Bewegung, die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, vor 35.000 Kids in Wien. Die Streiks sollen weitergehen. "Das Klima, aussichtsloser als unsere Mathe-Matura" und "Es gibt keinen Planeten B" steht auf ihren Plakaten – und plötzlich sind die Jungen, denen so oft nachsagt wird, nur mehr an ihren Handys zu kleben, laut und präsent. Die Generation Z, die heute 16- bis 24-Jährigen, politisiert sich. Und lässt die Politik dabei ziemlich alt ausschauen.

Bei den Europawahlen vergangenes Wochenende fuhr die ÖVP mit 34,6 Prozent zwar mehr als deutlich den Wahlsieg ein – aber nur 16 Prozent der unter 30-Jährigen gaben der Partei mit dem jüngsten Obmann ihre Stimme. Die meisten Wähler in dieser Altersgruppe erreichten mit 28 Prozent die Grünen (Gesamtergebnis: 14,1 Prozent). In Deutschland sah das Ergebnis noch drastischer aus: Bei den unter 30-jährigen kam die Regierungspartei CDU/CSU gerade einmal auf 10 Prozent der Stimmen – die Grünen im Vergleich dazu auf 33 Prozent.

Vom Netz auf die Straße

Was zeigt: Die Jungen sind nicht politikverdrossen. Im Gegenteil: Seit über zehn Jahren steigt das politische Interesse der Jugendlichen laut der deutschen Shell-Studie deutlich. Statt 30 Prozent im Jahr 2002 bezeichnen sich 2015 bereits rund 41 Prozent der Jugendlichen als "politisch interessiert". Es geht ihnen dabei nur nicht um Parteien, sondern sie wollen ihre Themen repräsentiert sehen – und zwar von Leuten, die davon eine Ahnung haben. Doch sie haben das Gefühl, dass die alten Männer, die in Wien und Brüssel Politik machen, gerade ihre Zukunft gegen die Wand fahren. Weil sie Regeln für das Internet aufstellen, das sie nach Ansicht der Generation Z nicht verstehen. Oder sie sich nicht ausreichend um ein Problem kümmern, das die Jüngeren ein Leben lang beschäftigen wird: Der Klimawandel.

Diese Themen sprechen andere besser an, dafür reicht ein Klick zu Youtube. Junge wie Alex oder der 16-jährige Erstwähler Eric lesen kaum noch Zeitung, weder Print noch online, ZiB oder andere Nachrichtensendungen können sie zwar nennen, konsumieren sie aber nicht. "Da wird ja eh nur die Mainstream-Meinung wiedergekäut," sagt Gymnasiast Eric.

Er und seine Klassenkameraden streamen, das ist ihre mediale Heimat – und ihre Anchormen heißen Julien Bam, Klengan oder RobBubble, allesamt Youtuber mit einer Gefolgschaft von mehreren Millionen. Die sind im selben Alter, haben dieselben Interessen, tragen ähnliche Klamotten und die Jugendzimmer, aus denen sie senden, sind nicht glamouröser als jene, in denen ihr Publikum pubertiert.

Die Rezolution

Wenn dann einer von ihnen neben Schmink-Tutorials, Gaming-Clips oder Pranks (Streichen) plötzlich politisch wird, hören Jugendliche wie Alex und Eric zu. "Die reden wenigstens so, dass ich es verstehe," sagt Eric. "Und über das, was mir wichtig ist." Das, was arrivierte Politiker sagen, empfindet er als Worthülsen oder Schwurbeltalk.
Ganz anders als die Sprache des deutschen Youtubers "Rezo", dem neuen Polit-Influencer der Jungen. Eine Woche vor der Europawahl lud der 26-Jährige, der bis dahin vor allem Musik-Clips veröffentlicht hatte, ein Video hoch. Der Titel: "Die Zerstörung der CDU."

Rezo ja lol ey

55 Minuten lang kritisierte er die deutschen Unionsparteien CDU/CSU und ihren Koalitionspartner SPD, deren Sozial-, Kriegs-, vor allem aber die aus seiner Sicht katastrophale Klima-Politik. Man verfolge einen Kurs, der den Planet irreversibel zerstört, rappte Rezo in polemischen Schlagzeilen. Das Video traf den Nerv der "Fridays for Future"-Kids, es wurde unzählige Male in sozialen Netzwerken geteilt, mittlerweile hat es über 13,6 Millionen Abrufe.

Rezo ja lol ey

70 andere YouTuber schlossen sich Rezo an und riefen ihrerseits dazu auf, bei den Wahlen nicht für die beiden Regierungsparteien zu voten (und schon gar nicht für die rechte AfD). Die Clips entwickelten sich zum kommunikativen Super-Gau für die Unionsparteien. Als sich das Video nicht mehr ignorieren ließ, konterten sie mit Gegenangriffen, statt argumentativ darauf einzugehen. Hochnotpeinlicher Höhepunkt: Ein elf-seitiges PDF sollte als "Offene Antwort an Rezo" den Shitstorm in ein laues Lüfterl verwandeln. Spöttischer Tenor in den sozialen Netzwerken: "So erreicht ihr keine Jugendlichen, Leute!"

Hilflos

Nach dem desaströsen Wahlergebnis vor allem bei den unter 30-Jährigen manifestierte sich das hilflose Bild weiter. Sie habe sich gefragt, sagte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, "was wäre eigentlich in diesem Land los, wenn eine Reihe von, sagen wir mal, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten: Wir machen einen Aufruf, wählt bitte nicht CDU und SPD". Eine Aussage, die ihr erneut an die Twitter-Wand geknallt wurde: Sie wolle die freie Meinungsäußerung im Netz regulieren! Der Shitstorm schwoll an, AKK musste zurückrudern.

"Wir sind in unserer Kommunikation nicht auf der Höhe der Zeit", diagnostizierte darauf Kevin Kühnert, Juso-Chef der SPD, auf Twitter. Youtuber seien als Meinungsmacher die Leitartikelautoren unserer Zeit. "Was früher auf Seite 3 der großen Zeitungen stand, findet heute auf YouTube statt." Dort hat die Generation Z ihre eigenen Massenmedien geschaffen und kann mehr oder weniger unbehelligt zu sich selbst sprechen. Zwar versuchen Politiker immer wieder, eine Gesprächsbasis mit "der Jugend" zu schaffen. So versuchte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel 2015 im Gespräch mit dem Video-Blogger LeFloid, viele Politiker twittern oder sind auf Facebook (offenbar ohne zu wissen, dass diese Kanäle für die Generation Z eher out sind).

Und auf Instagram, neben WhatsApp und YouTube dem Nr. 1-Tummelplatz der Jungen? Dort lässt das Gros der österreichischen Politiker auf Quadratformat modifizierte Wahlplakate posten. "Ob ich irgendwem von denen auf Insta folge? Geh bitte. Die haben null Content, den ich mir anschauen würde," sagt die 17-jährige HAK-Schülerin Emilia. "Ich glaub‘ auch nicht, dass die irgendwas von dem, was mir wichtig ist, durchsetzen würden. Die reden lieber darüber, ob ich am Freitag nicht Schule schwänzen darf als darüber, wie sie bessere Umweltschutzgesetze machen können." Für Politik interessiert sich Emilia schon, "aber eigentlich erst, seit Daria Daria mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass wir was tun müssen, wenn unser Planet nicht zugrunde gehen soll."

"Insta-arrogante" Politiker

Die Wienerin Daria Daria aka Madeleine Daria Alizadeh hat 216.000 Abonnenten auf Instagram. Früher postete sie Beauty-Tutorials und Fashion-Fotos, seit einigen Jahren nutzt sie ihre Popularität, um über Nachhaltigkeit, Ökologie und gegen Fremdenhass zu bloggen. "Ihr Engagement hat mich zum Nachdenken gebracht," sagt Emilia. Etwas, was noch kein Politiker bei ihr ausgelöst hat, im Gegenteil: "Die sind arrogant. Ich gehe lieber auf die Straße und setze eine Aktion, als denen das zu überlassen." Auch der 18-jährige Josef, ein Schulkollege von Alex, hält wenig von Politikern. "Viele haben einfach nicht die Kompetenz, um in der Position zu sein, in der sie sich befinden", sagt er und wiederholt damit das, was Rezo und Co. in ihren Videos zum Ausdruck bringen.

Für Josef war Artikel 13 das erste politische Thema, das ihm wirklich wichtig war. Als im EU-Parlament die Urheberrechtsreform Anfang April mit großer Mehrheit durchgewinkt wurde, "da haben wir gemerkt: Da sitzen keine Leute, die uns Junge repräsentieren." Für ihn führt das zu zwei Schlussfolgerungen: "Entweder, dass wir jetzt Leute wählen müssen, die besser hin passen. Oder aber, dass es einfach niemanden gibt, der uns repräsentieren kann." Er hätte jedenfalls von keiner Partei gehört, die sich gegen die Urheberrechtsreform ausspricht. Aktiv nach ihr suchen will er dann aber auch nicht: "Das müssen die schon plakatieren – gerade, wenn sie sowieso so viel Werbung machen." Aber bedeutet nicht, zu wählen, nicht genau das, was Josef kritisiert – nämlich, dass der eigene demokratiepolitische Wunsch nicht in Erfüllung geht? "Naja, die ÖVP, die für Artikel 13 gestimmt hat, hat ja trotzdem gewonnen. Da hätte eine Stimme jetzt auch keinen Unterschied gemacht."

Vielleicht haben manche Kids das mit dem Wählen doch noch nicht ganz durchblickt. Stellt sich die Frage, ob bei den Jugendlichen vorwiegend die Polemik hängen bleibt – und Rezo und Co die Basis-Infos zu Demokratiebeteiligung vielleicht besser in einem eigenen Tutorial nachlegen sollten. (Muzayen Al-Youssef, Nana Siebert, 31.5.2019)