Es ist noch nicht lange her, da rackerte sich das gehobene Feuilleton an einer sehr konkreten Anklage von Feministinnen ab, und die ging so: Ältere Frauen werden unsichtbar. Sie werden in der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen, sie kommen nicht mehr vor, sind nutzlos geworden, sie müssen sich anhören, dass sie der Allgemeinheit nur noch auf der Tasche liegen.

Ist sie Topmanagerin, wird sie beim Erreichen des gesetzlichen Antrittsalters gnadenlos in Pension geschickt – während der männliche CEO oft bis ins hohe Alter den abgeklärten Konzernlenker gibt.

Ist sie Schauspielerin, bekommt sie keine Rollen mehr – höchstens die der schrulligen Alten.

Veteranin Nancy Pelosi (78) ist Speaker of the House des US-Kongresses.
Foto: APA / AFP / Angela Weiss

Hat sie einen viel jüngeren Lover, kriegt sie dafür Spott bis maximal Mitleid, dass sie so etwas "nötig" habe – während Sugardaddy mit der Mittzwanzigerin am Arm noch immer von vielen als Beispiel nie versiegender Virilität bewundert wird (Viagra sei Dank!).

Steht sie zu ihren Falten, gilt sie als alt, tut sie etwas dagegen, höhnt man(n) sie als "Botox-Opfer".

Mit diesen bitteren Realitäten hatten sich alternde Frauen abzufinden. Bis vor kurzem. Aber Frauen haben sich noch nie abgefunden. Und plötzlich erscheint alles in einem etwas anderen Licht.

Hört sie brüllen!

Erst kam #MeToo, das Männlichkeitsbilder aller Schattierungen gehörig durcheinanderschüttelte. Dann kamen die jüngste Wahlen zum US-Kongress. Und Anfang dieses Jahres stellte die renommierte New York Times bass erstaunt fest, wie viele (ältere) Frauen dort gerade sichtbar wurden: Neben Veteranin Nancy Pelosi (78), Speaker of the House, Maxine Waters (80), Vorsitzende des machtvollen Finanzausschusses, Donna Shalala, mit 78 ein "Frischling" im Kongress.

Maxine Waters (80) ist Vorsitzende des machtvollen Finanzausschusses des US-Kongresses.
Foto: APA / AFP / Lisa O'Connor

Und dann gewann auch noch Hollywoodgröße Glenn Close mit 71 einen Golden Globe als beste Schauspielerin. Dass die deutsche Kanzlerin, Jungspund Angela Merkel (64), einen Gastauftritt an der Universität Harvard dafür nutzte, einem alten weißen Mann namens Donald Trump kräftig gegen das Bein zu treten, erscheint fast als logische Folge einer Emanzipationsbewegung der besonderen Art.

Die NYT widmete dem Phänomen "ältere Frauen" gleich eine Artikelserie – darunter einen der erfolgreichsten in der Geschichte, mit dem Titel "Ich bin (eine ältere) Frau. Hör mich brüllen."

Seit Donnerstag dieser Woche, sinnigerweise Christi Himmelfahrt, brüllt es aus dem kleinen Österreich zurück. "Wir sind Kanzlerin", titelte etwa die Boulevardzeitung Heute, enthusiasmiert ob der Bestellung der Höchstrichterin Brigitte Bierlein zur Interimskanzlerin.

Glenn Close (71) gewann den Golden Globe als beste Schauspielerin.
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Das soll nicht spöttisch klingen: Alle Medien, auch DER STANDARD, waren freudig überrascht über die Entscheidung des Bundespräsidenten: eine Frau an der Spitze einer österreichischen Regierung, die in alle politischen Lager hineinwirkt, die als gelassen, souverän, sattelfest gilt – und zuverlässig.

Das war und ist nach all dem Getöse der vergangenen Wochen, dem "Machogehabe" der gewesenen FPÖ-Führung und dem öffentlichen Scheitern des "Reformprojekts" des jungen Kanzlers endlich einmal eine gute Nachricht.

Zudem kann Bierlein in den kommenden Monaten, zumindest nach den Zahlen der Statistik Austria, auf einen gewissen Solidarisierungseffekt zählen: 710.707 Frauen über 70 (Stand Jänner 2019) leben derzeit in Österreich, das sind 15 Prozent oder jede Sechste der insgesamt 4,5 Millionen Frauen – das sind mehr, als Graz und Linz gemeinsam Einwohner haben. Das mag, neben ihrer erfrischend wirkenden Nicht-Politikerinnen-Art, auch eine Rolle gespielt haben für den Achtungserfolg der damals 70-jährigen Ex-Höchstrichterin Irmgard Griss bei der Präsidentschaftswahl 2016.

Brigitte Bierlein (69): Mischung aus Erfahrung, Wissen, Gelassenheit und Coolness.
Foto: Robert Newald

Überhaupt: Es ist ja nicht das erste Mal, dass eine ältere Frau die Republik aus einer schwierigen Situation heraushaut. Die ehemalige Notenbankpräsidentin Maria Schaumayer war jugendliche 69, als sie im Jahr 2000 vom damaligen Kanzler Wolfgang Schüssel zur Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime ernannt wurde.

Schaumayer, 2013 verstorben, machte damals einen hervorragenden Job. 132.000 ehemalige Zwangsarbeiter erhielten nach jahrzehntelanger Verweigerung der Republik Österreich endlich eine Entschädigung, der Österreichische Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit wurde eingesetzt – und das unter EU-Sanktionen peinlich bewegte, schwarz-blau regierte Österreich erlebte einen internationalen Achtungserfolg.

Und sie blamierte damit den Opferanwalt Ed Fagan, der öffentlich gewettert hatte: "Warum setzt mir Österreich eine alte Frau vor?" Fagan flog ein paar Jahre später übrigens auf, weil er mit einer minderjährigen Prostituierten zugange war – mittlerweile wurde ihm die Anwaltslizenz entzogen.

Glück ist eine Entscheidung

Was aber zeichnet Frauen fortgeschrittenen Alters aus? Warum können sie vielleicht mitunter mehr bewegen, als es Jüngere könnten? Da ist zunächst einmal Gelassenheit: Wer schon viel erlebt, viele Krisensituationen in seinem Leben bewältigt und auch manche Niederlage eingesteckt hat, den oder die wirft so schnell nichts mehr um.

Man geht mit Übersicht und innerer Ruhe zur Sache – es hilft ja nicht, das ganze Hyperventilieren. Der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid beschreibt diese "Art of Aging" in seinem Band Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden.

Die US-Psychologin Mary Pipher geht noch einen Schritt weiter. Entgegen allen Vorurteilen und Klischees seien Amerikas ältere Frauen die glücklichste Bevölkerungsgruppe, sie hätten gelernt, netter zu sich selbst zu sein – aber auch ehrlicher und authentischer. Das Glück älterer Frauen sei eine bewusste Entscheidung.

Ex-Höchstrichterin Irmgard Griss (73).
Foto: APA / Georg Hochmuth

Freilich entsprechen jene Frauen, die nun sichtbar mit Siebzig Erfolge feiern, jenem Bild, das eine Mehrheit der Menschen von gebildeten, wohlhabenden, eleganten älteren Damen hat. Von Nancy Pelosi über Glenn Close – bis hin zur neuen österreichischen Kanzlerin: Keine dieser Frauen fällt aus diesem Rahmen.

Das sei denn auch der große Unterschied zwischen Männern und Frauen, schreibt die Journalistin und Feministin Bascha Mika in ihrem Buch Mutprobe – Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden. Sie stellt die Frage: "Wäre ein Bond Girl im Alter des jeweiligen James-Bond-Darstellers denkbar?"

Es mag sein, dass sich am Ende, wenn man alles genau durchdenkt, doch nicht allzu viel geändert hat. Der französische Philosoph François de la Rochefoucauld schrieb im 17. Jahrhundert sehr apodiktisch: "Das Alter ist die Hölle der Frauen."

Mag sein, dass da heute noch etwas dran ist. Aber zumindest sind sie dort nicht allein – sondern in Gesellschaft vieler anderer toller Frauen. (Petra Stuiber, 1.6.2019)