Das Star-Cinema in der Afra-Mall in Khartum ist derzeit das einzige Kino im Sudan. Männer und Frauen müssen noch getrennt an der Kasse anstehen.

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Vor dem Ticketschalter des Star-Kinos in Khartums Einkaufszentrum Afra haben sich zwei nach Geschlechtern getrennte Schlangen gebildet, wie überall, wo Sudanesen anstehen müssen – am Taxistand, vor Geldautomaten oder bei Sicherheitskontrollen. Nachdem sie ihre Eintrittskarte erhalten haben, finden die Pärchen im Saal des Star-Kinos dann aber wieder zusammen: Allerdings wird das Licht selbst während des Hauptfilms nicht ganz gelöscht, außerdem geht ein Sittenwächter auf und ab, um bei unziemlichem Verhalten einzuschreiten. Zungenküsse im Kino seien nicht geduldet, erklärt Filmvorführer Mohamed Abd al-Karim: "Wer das nicht akzeptiert, fliegt raus."

Einst gab es im Sudan mehr als 65 Kinos – heute ist das Star das einzige Lichtspieltheater in dem 40 Millionen Einwohner zählenden Land. Als mit Omar al-Baschirs Militärputsch vor 30 Jahren auch die islamistischen Muslimbrüder an die Macht kamen, war es mit der flimmernden Unterhaltung in dem nordostafrikanischen Staat vorbei. 15 Jahre lang gab es in der ersten "Islamischen Republik" auf afrikanischem Boden überhaupt keine Kinos mehr: Erst als sich der Griff der Mullahs etwas lockerte, konnte das Star-Kino im Jahr 2004 seinen Betrieb aufnehmen.

Entblößte Haut ist tabu

Abends, vor allem an Feiertagen, sei der rund 200 Sitzplätze umfassende Saal gewöhnlich ausgebucht, berichtet Filmvorführer Mohamed. Gezeigt werden Blockbuster aus Hollywood und Schnulzen aus dem Nachbarstaat Ägypten.

Entblößte Haut oder gar Sexszenen auf der Leinwand sind tabu. Genauso ernst nehmen die Zensoren des Geheimdienstes NISS politische Aussagen in Filmen, die nicht der Auffassung der Herrschenden entsprechen. Werde in einem Streifen ein Protagonist gefeiert, der gegen eine unterdrückerische Staatsmacht ankämpft, erzählt Mohamed, würden die Zensoren genauso prompt abwinken wie bei dem ägyptischen Streifen Hassan und Markus, der religiöse Eiferer entblößt und muslimisch-christliche Versöhnung preist.

Frauen legen Schleier ab

Dennoch verschafft sich im revolutionären Sudan derart liberales Gedankengut gegenwärtig zunehmend Gehör. Tag für Tag versammeln sich auf der Straße vor dem Hauptquartier der Streitkräfte in Khartum hunderttausende Demonstranten: Sie haben bereits die Absetzung al-Bashirs erzwungen und fordern neben der Rückkehr zur Demokratie auch ein Ende der Islamistenherrschaft und die Säkularisierung des Landes. Frauen legen ihre Schleier ab und ziehen Hosen an: Dafür wären sie noch vor wenigen Jahren mit Geldbußen oder gar Stockschlägen abgestraft worden.

Noch ist der seit Wochen anhaltende Machtkampf zwischen den Aufständischen und den Militärs nicht entschieden: Die Generäle wollen weder auf die Macht noch auf das islamische Recht, die Scharia, verzichten.

Reden und Kulturprogramm

Um die Revolutionäre bei Laune zu halten, organisieren die Initiatoren der Massen-Sit-ins vor dem Hauptquartier der Streitkräfte Abend für Abend neben feurigen Reden auch Kulturprogramme. Diesen Abend soll nach dem Auftritt einer Volksliedgruppe ein Kurzfilm von Mohamed Kardofani gezeigt werden: Vor dem Lastwagen mit der elektronischen Leinwand haben sich bereits Tausende von Demonstranten niedergelassen. In dem Zwölf-Minuten-Film geht es um einen Folterknecht, der einen politischen Häftling misshandelt. Wie sich schließlich herausstellt, handelt es sich bei Täter und Opfer um dieselbe Person. Derselbe Mensch kann sowohl zum Folterer wie zum Gefolterten werden, will Kardofani sagen. Es ist der Kontext, auf den es ankommt.

Mit seiner genialen Idee hätte der Filmemacher keinen günstigeren Zeitpunkt erwischen können: Denn der Kurzfilm "Kejers Gefängnis" wirkt der Verteufelung des politischen Gegners entgegen und öffnet so den Raum für einen Neuanfang. Als der Film endet, brechen tausende Zuschauer in Sprechchöre aus: "Werft eure Ketten ab!", rufen sie, und "Freiheit!". Kardofani kriegt eine Gänsehaut: "Jetzt weiß ich, dass wir gewonnen haben", sagt er gerührt.

Filme im Geheimen gedreht

Mit dem Filmen hatte der hauptberufliche Flugzeugingenieur erst nach seiner Heirat begonnen. Seine Schwiegermutter war zerknirscht darüber, dass sie im Hochzeitsvideo nicht oft genug vorkam: Kurzerhand arbeitete sich der Ingenieur in die Filmtechnik ein und unterzog die mangelhafte Familiendokumentation einer Postproduktion. Die Rettungsaktion wurde zur Liebesgeschichte: Seitdem produziert Kordofani einen Kurzfilm nach dem anderen. Alle seine Filme mussten im Geheimen gedreht werden: Für seine sozialkritischen Themen hätte der Hobby-Regisseur von der staatlichen Filmbehörde niemals eine Drehgenehmigung erhalten. Kordofanis Kurzfilm "Nyrkuk", der die kriminelle Karriere eines Kriegswaisenkindes beschreibt, wurde im vergangenen Jahr auf dem Khartumer Filmfestival als bester Streifen des Jahres ausgezeichnet.

Ja, auch das gibt es bereits: Ein Filmfestival in der Hochburg der Islamisten. Es wurde vor neun Jahren von dem in Hamburg geborenen Cineasten Talal Afifi gegründet und zunächst drei Jahre lang im Schoß des Khartumer Goethe-Instituts aufgepäppelt. Danach zog die Sudanesische Film Fabrik (SFF) in ihr eigenes Gebäude um: Eine adrette, vom Philanthropen George Soros gesponserte Villa mit einer gemauerten Leinwand im Garten. Hier werden nicht nur die jährlichen Festivals organisiert, sondern auch Workshops, Koproduktionen und Meisterkurse angeboten. Der Umgang mit der staatlichen Kulturbehörde sei wie "ein Tanz mit Wölfen" gewesen, erzählt Afifi: Einerseits hätten die Kulturfunktionäre das Filmzentrum gerne als Aushängeschild genutzt, andererseits behinderten sie ständig die Arbeit. Das könne in Zukunft nur besser werden, meint der 43-jährige Kinoliebhaber.

Im ganzen Land sind die Kinos aus früheren Zeiten verfallen.
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Blütezeit in 70er- und 80er-Jahren

In den 1970er- und 1980er-Jahren gab es im Sudan eine blühende Filmkultur: kein internationales Festival, bei dem nicht auch Produktionen aus dem Halbwüstenstaat gezeigt wurden. Im ganzen Land verfallen die in besseren Zeiten gebauten Kinos. Was von den Filmen übrig blieb, findet heute in einem dunklen Lagerraum in Khartums Innenstadt Platz. Das sudanesische Filmarchiv, in dem rund 13.000 Filmrollen in ihren Blechbehältern vor sich hinschmoren, war einst das größte des Kontinents. Viele der 16- oder 35-Millimeter-Streifen sind von der Hitze schwer beschädigt. Was sich noch retten lässt, will Filmemacher Suhaib Gasmelbari digitalisieren.

Preis bei der Berlinale

Der in Paris lebende Sudanese wurde auf der diesjährigen Berlinale für seinen Dokumentarfilm "Gespräch über Bäume" mit dem Panorama-Zuschauerpreis ausgezeichnet. Darin geht es um vier Cineasten, die unter islamistischer Herrschaft ein Kino eröffnen.

"Der sudanesische Film wird eine großartige Renaissance erleben", ist Talal Afifi sicher. Die Kinos werden dann mit nur einem Ticketschalter auskommen. Denn dass sich Sudanesen noch lange in zwei Schlangen anstellen müssen, ist nicht zu erwarten. (Johannes Dieterich, 3.6.2019)